Bolivien / Politik

Bolivien: Wird die Bewegung zum Sozialismus mit Evo Morales die Wahlen gewinnen?

Die Gruppen der Opposition sind weit von der zentralen Stellung entfernt, die Evo Morales in der bolivianischen Politik einnimmt

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Liegt bei Umfragen vorn: Boliviens amtierender Präsident Evo Morales, hier bei der Einweihung der Digitalen Universitätsklinik von Santa Cruz am 30. September
Liegt bei Umfragen vorn: Boliviens amtierender Präsident Evo Morales, hier bei der Einweihung der Digitalen Universitätsklinik von Santa Cruz am 30. September

Ein sehr klares Wahlszenario

Bei der Analyse des Wahlumfelds ist es von Bedeutung, auch auf Fragestellungen einzugehen, die man nicht voraussehen kann, und so ist es wichtig, sowohl die Abstimmungstendenzen bei den Wählern deutlich zu machen als auch die Stimmung bei der vorherrschenden öffentlichen Meinung.

Es ist üblich geworden, große Datenmengen aus der einen oder anderen Umfrage über die möglicherweise zu erreichenden Prozente der einzelnen Kandidaten anzuschauen, so als ob es sich um ein Pferderennen handelt. Aber der Schlüssel zu einer genauen Aussage liegt in der Kohärenz zwischen der Zahl der potentiellen Wähler und anderen Variablen, die ein soziologisch und politisch breiteres Panorama darlegen.

Laut der letzten Umfrage der Celag (Centro Estratégico Latinoamericano de Geopolítica), die mit 2.000 repräsentativen persönlichen Interviews auf dem Land und in den Städten durchgeführt wurde, herrscht in Bolivien ein Klima positiver Empfindungen in Bezug auf die Lage der Nation vor. Fast ein Drittel aller Bolivianer haben Hoffnung; das war das wichtigste Gefühl gefolgt von Vertrauen (14 Prozent). Das ist genau das Gegenteil von dem, was im "Argentinien von Mauricio Macri" passiert, wo nach einer Celag-Umfrage vom Juli Ärger und Angst die vorherrschenden Gefühle sind. Anders ausgedrückt: In Bolivien ist das Klima, in dem die Wahlen stattfinden, absolut nicht so, wie das einige Stimmen der Opposition darstellen wollen, die das Land am Rand einer Katastrophe sehen.

Der selben Quelle nach muss man feststellen, dass 54 Prozent der Bolivianer ein positives Bild von Präsident Evo Morales haben; die selbe Prozentzahl gibt an, seine Person positiv zu beurteilen (Vertrauen, Respekt und Zuneigung). Die Zustimmung zu seiner Amtsführung beträgt außerdem nach dreizehn Jahren Präsidentschaft 72 Prozent, das sind sieben Prozentpunkte mehr als im März 2018. Diese positive Bewertung des Präsidenten steht im Gegensatz zur Meinung der Bürger über die Opposition: Zwei Drittel der Bolivianer hegen negative Gefühle über die "Kämpfe der Opposition" (Angst, Ermüdung, Ärger). Oder mit einer weiteren Zahl der Celag-Umfrage ausgedrückt: Nur 37 Prozent bewerten das Auftreten der Opposition als positiv.

Man muss jedoch auch feststellen, dass die Opposition kein einheitlicher Block ist, und daher ist es wichtig, die Vorgänge in ihrem Inneren genau anzuschauen. Es sieht so aus, dass die Kandidatur von Mesa bei einer Wahlobergrenze von rund 37 Prozent stagniert (Prozentsatz derer, die ihn wählen könnten) und sinkt, was das positiver Bild angeht (das ging von 35,2 auf 28,6 Prozent zurück). Er weckt insgesamt nur 39 Prozent positive Gefühle, während er bei Enttäuschung und Ablehnung auf 42,3 Prozent kommt. Die Kandidatur "Made in Santa Cruz" von Oscar Ortiz auf der anderen Seite verbessert ihre Position bei allen Indikatoren und erzielt einen hohen Bekanntheitsgrad, was bis vor einigen Monaten noch ihre größte Schwachstelle war. Ortiz' positives Bild wuchs von 15,2 auf 23,1 Prozent und erhöht signifikant die potentielle Wählerschaft von 12,5 auf 28,7 Prozent. Im Vergleich zu Mesa ist der Wert in Bezug auf Enttäuschung und Ablehnung sehr viel kleiner (33 Prozent).

Eine weitere wichtige Variable, die hilft, das Wahlklima besser zu verstehen, ist die Erwartungshaltung an den künftigen Präsidenten. Und was das betrifft, sprechen die Daten gemäß der Celag-Umfrage für sich: 60 Prozent der Bolivianerinnen und Bolivianer glauben, dass der nächste Präsident Evo Morales sein wird. Sogar bei den Wählern der Opposition ist dieser Wert sehr hoch: Bei den Mesa-Wählern glaubt fast die Hälfte, dass Evo Präsident werden wird. Anders ausgedrückt, vier von zehn Wählern von Carlos Mesa glauben nicht, dass seine Kandidatur erfolgreich sein wird, und das zeigt, dass die Hoffnung innerhalb seiner eigenen Reihen sinkt.

Die Gefühlslagen und ideologischen Positionen der Wähler sind ein weiterer Aspekt bei der Erforschung der Affinität zu den einzelnen Kandidaten. In der genannten Celag-Umfrage können wir zum Beispiel beobachten, dass mehr als 50 Prozent der Bevölkerung eine Weiterführung der gegenwärtigen sozialen Politiken unterstützt und denkt, dass man mit der Verstaatlichung strategischer Sektoren fortfahren müsse. Bei einer allgemeinen Auswertung der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre hat den Daten einer Celag-Umfrage vom März zufolge mehr als die Hälfte der Bolivianer angegeben, dass das Wirtschaftsmodell den Wohlstand, den Konsum, die Zahl der Beschäftigten und die Löhne verbessert hat.

Nach all dem Dargelegten erübrigt es sich fast, die Daten zur Wahlabsicht darzulegen, denn jeder Leser geht bereits davon aus, dass es eine immer größere Differenz zugunsten von Evo Morales gegenüber seinen Konkurrenten gibt. Es sind genau 18 Prozentpunkte Vorsprung zu Carlos Mesa. Evo Morales hat seit März sechs Punkte zugelegt und ist von 37,5 auf 43,4 Prozent gestiegen. Carlos Mesa ist dagegen bei den Umfragen von 28,6 auf 25,1 Prozent gefallen und Ortiz hat sich von 7,6 auf 12,8 Prozent verbessert. Man kann also feststellen, dass es der Opposition nicht gelingt, die Wünsche der Bürger aufzugreifen, obgleich Ortiz in den letzten Monaten eine steigende Tendenz aufweist.

Die Gruppen der Opposition sind weit von der zentralen Stellung entfernt, die Evo Morales in der bolivianischen Politik einnimmt. Der gegenwärtige Mandatsträger genießt eine große Glaubwürdigkeit, eine mehrheitlich positive Beurteilung seiner Regierungstätigkeit und verkörpert den großen Konsens, der vor allem dank der in diesen Jahren im wirtschaftlichen und sozialen Bereich umgesetzten Politik erzielt wurde. Aus all diesen Gründen ist ein zweiter Wahlgang bei den Wahlen am 20. Oktober immer unwahrscheinlicher.

Gisela Brito, Sergio Pascual, Alfredo Serrano Mancilla arbeiten im Centro Estratégico Latinoamericano de Geopolítica (Celag) mit

Der Beitrag erschien am 28. August bei Telesur

Anführer, Wahlvorschläge und Kandidaturen

Die Wahlprozesse sind zu einem der wichtigsten demokratischen Mechanismen bei der Regierungsbildung in modernen westlichen Ländern geworden. Sie sind jedoch nicht die einzigen Bezugsgrößen beim Aufbau der Demokratie. Denn dieser bedeutet auch die wirksame Suche nach gleichen ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Rechten der Bevölkerung. In diesem Sinn hat Bolivien große Fortschritte gemacht, vor allem, wenn man sich die Marginalisierung und Diskriminierung von Millionen Männern und Frauen in der Vergangenheit anschaut, besonders der Armen, Indigenen und Frauen.

Vierzig Tage vor den Wahlen haben die politischen Parteien ihre Strategien und Wahlkampagnen fertiggestellt, um die Zustimmung der Bevölkerung zu ihren Vorschlägen und ihren Kandidaturen zum Parlament zu erreichen, und die Positionierung ihrer Kandidaten für die Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft steht fest.

Es ist wichtig zu bedenken, dass es den Wahlkämpfern nicht gelungen ist, Vorschläge und Ideen vorzustellen, die über die in den letzten 14 Jahren in Bolivien schon erreichten Umbrüche und strukturelle Veränderungen hinausgehen: Diese haben in Bolivien eine hohe ökonomische Stabilität mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von über vier Prozent erreicht und die extreme Armut von 40 auf 15 Prozent gesenkt. Das geschah auf der Basis einer souveränen Politik der Rückgewinnung der natürlichen Ressourcen und der strategischen Unternehmen, die vorher transnationalen Unternehmen überlassen wurden. Die Nationalisierung der Gas- und Erdölvorkommen, die Millioneneinkünfte für den Staat brachten und die Umverteilung des Reichtums, die Industrialisierung und den grundlegenden Aufbau einer Infrastruktur im ganzen Land ermöglichten.

Die stärkste Wählerschaft stellt die "Bewegung zum Sozialismus" (Movimiento al Socialismo, MAS) dar, welche die Vertiefung der Veränderungen vorschlägt und dies im Regierungsprogramm "Agenda Patriótica del Bicentenario 20-25" festgelegt hat. Die "Bürgergemeinschaft" (Comunidad Ciudadana, CC) hat ein Programm aufgelegt, das auf einer grünen Ökonomie basiert und die liberalen Postulate wieder einführt, die auf den Staat als Lenker der Wirtschaft verzichten. Noch radikaler ist "Bolivien sagt Nein" (Bolivia Dice No, BDN) mit dem neoliberalen Vorschlag einer Föderalisierung Boliviens. Und die "Bewegung drittes System" (Movimiento Tercer Sistema, MTS) bietet als Alternative die Gemeinschaft als Gegenstück zu Kapitalismus und Sozialismus an.

Die Nominierung der Kandidatinnen und Kandidaten für die Abgeordnetenkammer ist jedoch in den einzelnen Parteien unterschiedlich gewesen:

Bei CC, MTS und BDN wurden sie direkt von den Präsidentschaftskandidaten oder ihrer Parteigängern bestimmt, mit einem gewissen Spielraum für die Integration von Vertretern der sogenannten "Bürgerplattformen", die zu Stützen der Opposition gegen die Regierung geworden sind.

Die MAS hat eine sehr starke Organisationsstruktur auf der Basis der sozialen Bewegungen, der Gewerkschaften, der Organisationen der Gemeinden, der Indigenen, der Frauen und Nachbarschaften, die alle ihre Kandidaten direkt gewählt haben und ihre soziale, regionale und politische Basis organisch repräsentieren.

Schlussendlich weisen die Präsidentschaftskandidaten ausgeprägte Eigenschaften und Unterschiede auf. Carlos Mesa von der CC war Vizepräsident von Gonzalo Sánchez de Lozada, dem neoliberalen Präsidenten, der während des Volksaufstands im Oktober 2003 aus Bolivien ausgewiesen wurde. Oscar Ortiz von BDN repräsentiert die Unternehmer- und Landbesitzeroligarchie im Westen Boliviens und hat eine besondere Stellung als Senator von Santa Cruz. Félix Patzi vom MTS, aktueller Gouverneur von La Paz, ist mit Sektoren der Aymara- und akademischen Bewegung verbunden. Und natürlich Evo Morales von der MAS, der als Präsident erfolgreiche Regierungen angeführt und über eine einhellig anerkannte soziale, politische und Wahlpräferenz verfügt.

Den Umfragen und Wählertendenzen der letzten sechs Monate zufolge geht man davon aus, dass Evo Morales die Wahlen im ersten Durchgang mit mehr als 48 Prozent der Wählerstimmen gewinnen wird. In früheren Wahlen gewann er mit 54 Prozent (2005), mit 64 Prozent (2009) und mit 61 Prozent im Jahr 2014.

Eduardo Paz Rada aus Bolivien ist Soziologe und Dozent an der staatlichen Universidad Mayor de San Andrés in La Paz

Der Beitrag erschien am 12. September bei Alai