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Kuba: Agrarökologie trotz US-Blockade

Die Öko-Landwirtschaft gehört in Kuba zum Alltag. Es geht um "ein gesünderes, besseres Leben" ‒ und um Nahrungsmittelsouveränität

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In Kuba seit der Agrarreform 1959 Realität: "Das Land denen, die es bearbeiten"
In Kuba seit der Agrarreform 1959 Realität: "Das Land denen, die es bearbeiten"

Vanessa Dourado und Braulio Domínguez, Medienschaffende aus Argentinien, haben sich in Kuba über die agrarökologische Produktion informiert, die in allen Ecken der Insel präsent ist.

Stadtgärten und Öko-Bauernhöfe gibt es in Kuba reichlich und überall kann man Früchte und Gemüse kaufen; am improvisierten Kiosk auf dem Flur des Nachbarn; von den Fuhrwerken, mit denen die Verkäufer laut rufend durch die Straßen ziehen; von den Holzkarren der fahrenden Händler und in den Obst-und Gemüseläden der Geschäftsstraßen. Das ist eine beeindruckende Realität angesichts der im Jahr 1960 von den USA gegen die Insel verhängten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die ab dem Jahr 1996 mit der Unterzeichnung des Helms-Burton-Gesetzes noch verschärft wurde.

Dieses Gesetz, das als "Gesetz für kubanische Freiheit und demokratische Solidarität" (Cuban Liberty and Democratic Solidarity (LIBERTAD) Act of 1996) bezeichnet wird und den Namen der Republikaner Jesse Helms und Dan Burton trägt, wurde von Präsident Bill Clinton (Demokrat) unterzeichnet und beinhaltet die Internationalisierung der Blockade, indem unter anderem ausländische Investitionen im Land erschwert werden.

Zu den Hauptschwierigkeiten, auf die die Menschen hinweisen, gehören die Mängel bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten. In Kuba werden zwar viele Lebensmittel hergestellt, aber – so erklären die Produzenten – aus klimatischen Gründen kann vieles nicht angebaut werden, was die Vielfalt in der Ernährung begrenzt.

Die Verschärfung der Blockade seit dem Amtsantritt der Regierung von Donald Trump hatte auch viele einschneidende Konsequenzen für diejenigen, die in der Landwirtschaft arbeiten. Viele Bauernhöfe verbinden die Öko-Landwirtschaft mit dem Tourismus, besonders in den Gebieten, wo Tabak produziert wird.

Die Restriktionen für Flüge von den USA nach Kuba hatte schwerwiegende Auswirkungen auf die in der Landwirtschaft Tätigen. Die Sanktionen der Trump-Regierung gegen die Schiffe, die Erdöl auf die Insel bringen, bedeuten eine weitere Erschwernis für die Produzenten, denn es wird ihnen unmöglich gemacht, die Lebensmittel in die Städte zu bringen; ebenso wird die Verteilung des Wassers für die Anpflanzungen erschwert. Außerdem gibt es noch andere Einschränkungen, beispielsweise die Sanktionen gegen die Kreuzfahrtschiffe aus allen Ländern, die in Kuba anlegen wollen. All dies führte zu einem Rückgang des Tourismus und dadurch zu weiteren wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Bevölkerung insgesamt.

Trotz der gegebenen Bedingungen, die viel schwerer sind als in anderen Teilen der Welt, ist das Engagement der Menschen für die Produktion von Lebensmitteln auffällig. Die genossenschaftlich organisierte Arbeit und der Landbesitz spielen eine wichtige Rolle und machen es möglich, das Land weiter zu bewirtschaften.

Das berichtet Julia Rosa, Agraringenieurin und Koordinatorin der Nationalen Vereinigung der Kleinbauern (Asociación Nacional de Agricultores Pequeños, Anap) in der Stadt Viñales, die uns freundlicherweise ihren freien Samstag widmet und mit uns einen Öko-Bauernhof besucht. Es erübrigt sich eigentlich, in Kuba von "Kleinbauern" zu sprechen, denn die Revolution führte eine Landreform durch und schaffte den Großgrundbesitz ab.

"Der Aufschwung der ökologischen Landwirtschaft kam in Kuba 1995, mit der Sonderperiode. Wir waren sehr eingeschränkt bei Betriebsmitteln und chemischen Düngemitteln und so sahen wir das als eine Alternative. Heute ist Öko-Landwirtschaft ein Unterrichtsfach in den Studienplänen der in Ausbildung befindlichen Agronomen. Als ich in den 1980ern studierte, war das nicht so", sagt Julia Rosa. „Wenn jemand die Öko-Landwirtschaft vorantreibt, dann ist es der Staat. Im ganzen Land, in allen Provinzen gibt es einen Koordinator für Agrarökologie. In den Munizipien, in jeder Basisstruktur haben wir einen 'Vermittler' (facilitador) für Agrarökologie; das sind diejenigen, die die Öko-Landwirtschaft zu den Bauern bringen und zum Beispiel die Erfahrungen eines Bauernhofes zum nächsten", führt sie aus.

Was die weltweite Ebene angeht, richtet Kuba alle zwei Jahre einen internationaler Kongress zum Thema Öko-Landwirtschaft aus. "Die die uns besuchen, sagen, dass unser Land eine gefestigte Agrarökologie hat. Für uns ist es wichtig, dass unsere Arbeit anerkannt wird. Aber darüber hinaus ist es wichtig, wenn andere das, was wir hier erreicht haben, aufnehmen und auch erreichen können. Es ist zum Nutzen aller Völker, in allen Ländern, weil die Giftstoffe entfernt werden" , so Julia weiter.

Die Anap wurde im Jahr 1961 gegründet, zum zweiten Jahrestag des Gesetzes über die Agrarreform, das im Prozess der kubanischen Revolution am 17. Mai 1959 in La Plata, in der Sierra Maestra, unterzeichnet wurde. Vor diesem Gesetz befanden sich 80 Prozent der besten Böden Kubas in den Händen einer Gruppe nordamerikanischer Unternehmen.

Maria del Carmen, Nationalkoordinatorin der Anap, beschreibt mit Begeisterung den Prozess der Befreiung der Bauern: "Als die Revolution siegte, war eines der ersten Gesetze, das Fidel [Castro] erließ, das Gesetz über die Agrarreform, mit dem nicht nur das Land an diejenigen übergeben wurde, die es bearbeiten, sondern ihnen auch der Zugang zu den Märkten geöffnet wurde, wo sie ihre Produkte verkaufen können. Außerdem wurde organisiert, dass es auf dem Land und in den Bergen Bildung und Gesundheitsversorgung gibt."

Sie erzählt auch, dass die kubanische Bauern damals kaum organisiert waren, am ehesten noch im Osten, was an den dortigen Anbau- Kulturen lag, es waren die Zuckerrohr- und Kaffeebauern.

„In der letzten Phase des revolutionären Kampfes, vor 1959, ereignet sich etwas sehr Wichtiges, nämlich der "Kongress der Bauern unter Waffen". Auf Anweisung von Fidel begibt sich Raúl [Castro] dorthin und trifft sich mit Bauern des Ostens in Santiago und sie legen eine Strategie fest. Denn es waren die Bauern, die das Rebellenheer beherbergten und versteckten. Der Kongress findet statt und dort verständigen sie sich darauf, was die Bauern wollen. Deshalb siegt die Revolution am 1. Januar 1959, und am 17. Mai erlässt Fidel das erste Gesetz und geht nach Baracoa im östlichsten Teil der Insel, um den ersten Landtitel zu übergeben. Der erste Titel geht an eine Afro-Kubanerin, um deutlich zu machen, dass Land an Männer und Frauen übergeben werden wird. Sie ist vor einigen Jahren gestorben" , erinnert sie sich.

"Mit diesem ersten Gesetz werden die Großgrundbesitzer, die ihre Felder bestellten, nicht angetastet. Aber dann organisierten sie sich in diesen ausgedehnten Gebieten und führten Aktionen gegen die Revolution durch, sie brannten Betriebe nieder, versteckten Mörder. Also wurde 1961 ein zweites Gesetz erlassen, das den Landbesitz auf maximal 63 Hektar begrenzt. Und das traf den Großgrundbesitz", fährt sie fort. "Seitdem und bis heute waren und sind die Bauern eine Priorität für die revolutionäre Regierung, denn sie sind eine wichtige Klasse für die Souveränität eines Landes: für die Nahrungsmittelsouveränität. Unsere Organisation, die ANAP , entsteht also am 17. Mai 1961."

Maria del Carmen läßt diesen Prozess Revue passieren: "Die Bauern organisieren sich nach Gemeinden [comunidades]. In einer ersten Phase produzieren sie weiterhin auf ihrem Hof, den ihnen die Revolution mit dem Eigentumstitel übergeben hat. Auf einem Bauernkongress in den 1970ern wird angesichts der wissenschaftlich-technischen Entwicklung vorgeschlagen, zu einer neuen Produktionsform überzugehen. Die Bauern sollten sich in kollektiver Art und Weise organisieren und die Bauern eines bestimmten Gebietes würden – wenn sie es so entscheiden – ihre Ländereien übergeben, die dann kollektives Eigentum von ihnen allen wären. Der Staat schuf einen Fonds und bezahlte denjenigen etwas, die sich entschieden, ihr Land abzugeben oder einen Traktor. Auf diesem Kongress war etwa die Hälfte damit einverstanden und die andere Hälfte nicht. Und Fidel sagt: 'Gut, wir werden das Prinzip der Freiwilligkeit achten. Diejenigen, die es tun wollen, machen es; wer nicht will, produziert weiterhin auf seinem Hof.' So entstehen diese beiden Organisationsformen, die die Anap gegenwärtig hat", ergänzt sie.

Die Verbesserung der Technik für die Nahrungsmittelproduktion ist eine wichtige Sache. Kuba verfügt über eine große Zahl an Agrartechnikern und -ökonomen, die auf agrarökologische Produktion spezialisiert sind. Die Ausbildung wird vom Staat gefördert und hat eine sehr positive und ergänzende Wirkung auf die Methodologie "Von Bauer zu Bauer" (Campesino a Campesino) gehabt. Diese wird gegenwärtig auch von der Vereinigung der Landarbeiter UTT (Unión de Trabajadores de la Tierra) in Argentinien angewandt, so Rosalía Pellegrini, eine der Koordinatorinnen dieser Bewegung.

Der kubanische Agraringenieur Raudel Rodríguez erläutert mit vielen praktischen Beispielen vom Bauernhof Coco Solo die Techniken und Ergebnisse. "Unvernünftigerweise gab es einen falschen und irrationalen Einsatz chemischer Produkte, was dazu führte, dass die natürlichen Feinde der Insekten vernichtet wurden. Denn wenn es einen Schädlingsbefall gibt, dann gibt es einen natürlichen Feind, der ihn unter Kontrolle hält. Das ist ein Gleichgewicht, das immer existierte, aber Schritt für Schritt zunichte gemacht wurde. Will heißen, dass sich die Schädlinge in den Anbaukulturen immer weiter verbreitet haben. Und um zu erreichen, dass sich dieses Gleichgewicht in einen Gebiet wieder herstellt, braucht es mindestens fünf Jahre ohne die Anwendung irgendeines chemischen Produkts, damit sich auf natürliche Weise nach und nach dieses natürliche biologische Gegenmittel, dass den Schädlingsbefall unter Kontrolle hält, wieder entwickelt. So müssen Sie sich unsere Arbeit vorstellen, die wir auf diesen Bauernhöfen leisten. Wir führen eine natürliche Kontrolle durch, indem wir die Insekten von Hand entfernen."

Rodriguez fährt fort: "Es ist sehr schön, aufs Land zu kommen und einen frischen Salat oder Kohlkopf vorzufinden, und du weißt, dass du etwas Ökologisches isst, etwas, das nicht vergiftet ist, das keinerlei chemisches Produkt enthält. Das ist ein gesünderes, besseres Leben."

Die Praxis der Öko-Landwirtschaft ist jedoch nicht nur denjenigen vorbehalten, die sich schon immer dem Anbau gewidmet haben. Das Beispiel des Ex-Baseball-Spielers Orestes González ist inspirierend. Nachdem er Ball spielend durch die Welt gereist war, mit einem Meistertitel der Nationalen Baseball-Liga im Gepäck, nachdem er sowohl Spieler als auch Trainer bei den Mannschaften von Nicaragua, Kolumbien und Venezuela war und eine beneidenswerte Sammlung von Titeln und Auszeichnungen aufweisen kann – darunter auch eine von Comandante Fidel unterschriebene Urkunde –, kehrt er in sein Geburtsland zurück und widmet sich fortan der Agrarökologie.

Er erzählt uns seine Geschichte: "Ich hatte keine Ahnung vom Land. Ich war Baseball-Spieler, und ich war auch Tierarzt. Aber meine Eltern waren immer Bauern. Als ich mit dem Baseball aufgehört habe, bin ich nach Viñales zurückgekehrt. Hier hatten wir diesen Bauernhof meines Schwiegervaters, und er hatte niemanden, der sich darum kümmerte. Schritt für Schritt versuchten wir, das hinzukriegen. Wir haben Ingenieure gesucht, die uns helfen, die Landarbeiter helfen uns und sagen uns manchmal, was man tun muss und was man nicht tun darf. So lernt man Schritt für Schritt von allen immer ein bisschen", berichtet er. "Die Anap hat uns sehr unterstützt. Sie sagt uns, was gut ist und was man machen soll, damit es nicht zu Kontaminationen kommt. Und sie gibt uns Hinweise, was wir machen müssen, um einen ökologischen Bauernhof zu haben", betont er.

González erklärt, für wen sie produzieren: "Wir haben beschlossen, eine schöne Arbeit zu leisten, um auch für andere ein Beispiel zu geben. Von den Ernten können wir Teile an die Zentren der sozialen Betreuung wie Polikliniken, Altenheime, Kindergärten liefern; wir geben das, was wir ernten, an alle möglichen Stellen ab. Es ist nicht so, dass wir alles, was wir haben, verbrauchen oder verkaufen; wir teilen auch mit anderen."

Wir sind an Argentinien gewöhnt, wo die Öko-Landwirtschaft gewöhnlich begleitet ist von der Idee des Kampfes, von Forderungen, Streit und der Suche nach Sichtbarkeit. Da fällt es auf, dass in Kuba jeder Produzent, jede Produzentin sagt, dass er oder sie Öko-Landwirtschaft betreibt ; so als wenn jemand sagt, dass zwei Straßen weiter der Bahnhof ist.

Die Öko-Landwirtschaft gehört in Kuba zum Alltag, ohne diese ganze Bürde des Kampfes, die es mit sich bringt, wenn man in unserem Land von "Agrarökologie" spricht.