Militarisierung widerständiger Gemeinden in El Salvador

Regierung diffamiert Bewohner als Drogenhändler:innen und Terrorist:innen. Machtmissbrauch durch Polizei und Armee nimmt zu

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Selbsorganisierte Hilfe in Corona-Zeiten: Das CCR organisiert auch die Verteilung von Lebensmitteln in den Gemeinden
Selbsorganisierte Hilfe in Corona-Zeiten: Das CCR organisiert auch die Verteilung von Lebensmitteln in den Gemeinden

Interview mit Rosa Lilian López von der "Vereinigung der Gemeinden für die Entwicklung von Chalatenango" (CCR)

Können Sie sich und Ihre Organisation kurz vorstellen?

Mein Name ist Rosa Lilian López, ich arbeite in der Organisation "Vereinigung der Gemeinden für die Entwicklung von Chalatenango" (Asociación de Comunidades para el Desarrollo de Chalatenango, CCR).

Die CCR entstand am 19. Juni 1988 aus dem Bedürfnis vieler Bauernfamilien, die aufgrund des bewaffneten Konflikts in Honduras und in den Departamentos von El Salvador auf der Flucht waren, an ihre Herkunftsorte zurückzukehren und dort zu leben. So gründete eine Gruppe von Bauernführer:innen diese Organisation, um das Leben in den Gemeinden zu verbessern. Sie kämpften vor allem dafür, dass die Familien das Nötigste haben: Unterkunft, Gesundheit, Bildung, Wasser und andere Dinge, die zum Überleben notwendig sind.

Unser Ziel ist die Verteidigung der Menschenrechte und die Entwicklung der Gemeinden. Wir beteiligen uns an einer Reihe von sozialen Kämpfen, wie z.B. dem Kampf für ein allgemeines Wassergesetz sowie für ein Gesetz zur Ernährungssouveränität. Heute ist die Situation anders als vor 20 Jahren, die Politik hat sich in allen Bereichen des sozialen, kulturellen und politischen Lebens radikal verändert.

Die CCR begleitet die Organisationsbasis in den Gemeinden. Die Adescos (Gemeindeverbände) sind die Gremien, die die Interessen der Gemeinden vertreten. Sie stellen politische Forderungen, vergeben Budgets, präsentieren den jeweiligen Gemeinderäten und den Institutionen Projektvorschläge, die ebenfalls zur Entwicklung der Gemeinden beitragen.

Wann und wie hat die Militarisierung von Chalatenango begonnen?

Frühere Regierungen haben immer Militär an der Grenze der beiden Länder eingesetzt. Bis zu einem gewissen Grad wurde dies von den Bewohner:innen der Gemeinden als gute Sicherheitsmaßnahme angesehen. Aber die derzeitige Regierung verstärkte unter dem Vorwand der Covid-19-Pandemie die Militärpräsenz in übertriebener Weise und nutzte sie als Vorwand für eine Reihe von Dekreten, die die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung sowohl an den Grenzübergängen als auch zwischen den einzelnen Gemeinden selbst einschränken. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Polizist:innen und Soldat:innen in den vier Gemeinden (Arcatao, Nueva Trinidad, San Fernando und San Ignacio) des Departamentos Chalatenango deutlich erhöht.

Polizei und Armee begehen zunehmend Machtmissbrauch gegenüber der Bevölkerung. Ein Problem dabei ist, dass in der Vergangenheit für die Menschen die Grenze zu Honduras praktisch eine einzige Region war. Sie wird nicht als Grenze gesehen, sondern als eine einzige Gemeinde. Die Gemeinden sind sehr friedlich und sicher und es findet ein reger Austausch von landwirtschaftlichen Produkten zwischen den beiden Grenzenregionen statt. Das ist jetzt durch die Militarisierung sehr eingeschränkt.

Wie wird die aktuelle Militarisierung von der Regierung gerechtfertigt?

Ursprünglich wurde die Präsenz des Militärs mit der Covid-19-Pandemie begründet. Im Rest des Landes wurden diese Maßnahmen weitgehend aufgehoben. In Chalatenango hingegen nahm die Militarisierung zu.

Der Präsident rechtfertigt dies mit schweren Vorwürfen gegen die Gemeinden und insbesondere gegen deren Bürgermeister, die in einem Tweet als Drogenhändler:innen und Terrorist:innen bezeichnet wurden. Gleichzeitig gibt es keine laufenden polizeilichen Ermittlungen gegen die Beschuldigten und es werden auch keine Beweise vorgelegt.

All dies kann als ein sehr ausgeklügeltes Manöver gegen die organisierten Gemeinden bezeichnet werden. Diese Gemeinden sind seit vielen Jahren Hochburgen der Partei FMLN [Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional]. Wir befinden uns in einer Vorwahlperiode. Die Partei des Präsidenten hat zum Ziel, die ganze Macht zu erlangen und will die Bürgermeister:innen dieser Gemeinden deshalb in ein schlechtes Licht rücken. Die FMLN hat ihre Wurzeln in sozialen Kämpfen und verfügt über eine gut organisierte Basis.

Welche spezifischen Probleme ergeben sich aus der Militarisierung?

Einer der Hauptpunkte ist, dass benachbarte Gemeinden keinen Kontakt mehr haben dürfen. Doch gerade die Gemeinden auf der anderen Seite der Grenze zu Honduras sind auf staatliche Leistungen wie Gesundheit und Bildung in El Salvador angewiesen. Es ist vorgekommen, dass schwangere Frauen nicht zu Arztterminen für Gesundheitsuntersuchungen gehen konnten, es gibt Menschen, die ihre Termine für Operationen schon festgelegt haben, aber leider werden sie vom Militär unterdrückt, das sie nicht durchlässt.

Ein weiteres Problem ist, dass die Bewohner:innen nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Ernte in Form von Tausch, Kauf und Verkauf zu vermarkten. Die Unterdrückung gibt den Menschen das Gefühl, dass sie all die Freiheiten verlieren, für die sie in der Vergangenheit hart gekämpft haben.

Eines der größten Probleme ist die Repression, die Verletzung des Rechts auf Bewegungsfreiheit. Zum Beispiel können die Jugendlichen nicht mehr normal in den Gemeinden herumlaufen. Sie werden Kontrollen unterzogen, um zu überprüfen, ob sie kriminellen Gruppen angehören, ob sie Tattoos haben, ob die Hemden groß sind und die Frisur verdächtig ist. Das alles passiert nur, weil die Gemeinden zu Unrecht beschuldigt und diskreditiert werden.

Die ältere erwachsene Bevölkerung hingegen leidet unter der Militärpräsenz, der Unterdrückung und der Verletzung der Menschenrechte. All das erinnert an die Ereignisse des Bürgerkrieges. Das verursacht, dass die psychologischen Traumata, die sie während des gesamten Prozesses des Bürgerkriegs erlebt haben, wieder aufbrechen.

Warum verfolgt der Präsident diese Strategie?

Aus unserer Sicht ist das Ziel des Präsidenten, die Kontrolle über die drei zentralen Institutionen Exekutive, Judikative und Legislative zu erlangen. Um die absolute Macht im Land zu erlangen, führt er eine massive Kampagne gegen die anderen politische Parteien durch.

Was haben Sie mit Ihrer Arbeit bisher erreichen können?

Was wir bisher erreicht haben, ist die Organisation der Gemeinden angesichts von Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen. Insbesondere kämpfen wir für die Rechte der Frauen, damit sie ihre Rechte kennen und selbst einfordern können. Denn es ist der Staat, der der Garant für all diese Rechte sein sollte. Generell geht es aber auch darum, die Teilhabe von Frauen, ebenso wie von Männern, an allen politischen Prozessen und an der Verteidigung ihrer Rechte sicherzustellen.

Ein weiterer Erfolg ist die Verteidigung der Umweltrechte und der damit verbundene Kampf für die Verabschiedung eines allgemeinen Wassergesetzes sowie die Verabschiedung des Gesetzes zum Verbot des Metallbergbaus in El Salvador.

Wie erschwert die Militarisierung Eure Arbeit?

Die Militärpräsenz erschwert unsere Arbeit, weil sie den freien Zugangs zu den Gemeinden erschwert. Es besteht die Angst, jeden Moment unterdrückt zu werden. Wir sind den Kontrollen an den Militärsperren ausgesetzt. Die Begleitung der Gemeinden ist jedoch gerade in dieser Situation sehr wichtig.

Was sind Ihre Forderungen an die Regierung in dieser Situation und wie können wir Euch aus Deutschland unterstützen?

Eine unserer Forderungen an die Regierung ist die Einhaltung der Menschenrechte. Wir wollen die Autonomie unserer Gemeinden erhalten und wollen nicht unterdrückt werden. Die Friedensverträge sind seit 1992 in Kraft und wir wollen nicht in die alten Zeiten zurückfallen. Wir wollen nicht wieder so leben, als befänden wir uns in einem Krieg. Wir brauchen Frieden, damit wir weiterhin positive Veränderungen in den Gemeinden bewirken können.

Sie könnten auch von Ihrer Seite aus die Einhaltung der Menschenrechte fordern. Es wäre gut, die positive Bedeutung der Gemeinden sichtbar zu machen. Zeigen wir der Welt ein Bild von dem, was wir sind, damit nicht der falsche Eindruck vorherrscht, wir seien Drogendealer oder schlechte Menschen, die unterdrückt werden müssen.

Sie könnten dazu beitragen, die Bedeutung der Autonomie sichtbar zu machen, und zeigen, dass es dort ein großes Potenzial gibt. Wir sind in der Lage, in verschiedenen sozialen Bereichen positive Impulse zu setzen. Aber es tut uns weh, wenn in den Nachrichten fälschlicherweise behauptet wird, die Menschen in Arcatao seien Drogenhändler.

Andererseits wäre es sehr wichtig, die Verantwortlichen der Gemeinden bei der Verteidigung der Menschenrechte zu unterstützen. Wichtig ist dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen die Geschichte des Bürgerkriegs in El Salvador kennen, damit wir nicht zulassen, dass sich dessen Ereignisse wiederholen.

Das Gespräch führte Samuel Weber, Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit

Die spanischsprachige Fassung finden Sie hier