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Trump, Biden und die "heiße Kartoffel" der Dieselknappheit in Venezuela

Wird US-Präsident Biden die Diesel-Sanktionen aufheben? Auch regierungskritische NGOs und Vertreter der Opposition warnen vor deren Folgen

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Sanktionsbedingte Dieselverknappung in Venezuela wird Landwirtschaft, Transport, Bauwesen und Stromerzeugung schädigen
Sanktionsbedingte Dieselverknappung in Venezuela wird Landwirtschaft, Transport, Bauwesen und Stromerzeugung schädigen

Diese Kolumne will nicht sensationslüstern sein oder die Situation vor Ort in Venezuela übertreiben. Hier zu leben und mit den täglichen Problemen konfrontiert zu sein, erfordert es, verantwortungsbewusst zu sein, um angemessen in die Debatte über die aktuelle Krise einzugreifen und unsere Analyse nicht auf parteiische Standpunkte zu reduzieren, die von den Kräften in dem Konflikt eingenommen werden.

Die jüngste Dieselknappheit zwingt uns jedoch dazu, bei denjenigen, die sich weltweit solidarisch zeigen, Alarm zu schlagen.

Diesel ist der Hauptkraftstoff, der für den Transport von Lebensmitteln, Medikamenten sowie anderen Gütern und Passagieren in Venezuela verwendet wird. Da es kein Schienengüterverkehrsnetz gibt, ist der LKW-Verkehr darauf angewiesen.

Bis vor ein paar Monaten war die Ölkrise nicht auf den Dieselsektor übergeschwappt, da dieser von den US-Sanktionen ausgenommen war. So konnte Venezuela mit mehreren multinationalen Unternehmen Rohöl gegen Diesel tauschen.

Elliott Abrams, Beauftragter des Weißen Hauses für venezolanische Angelegenheiten in der Regierung von Donald Trump, änderte dies fünf Tage vor der US-Präsidentschaftswahl drastisch. Abrams folgend verbot das Finanzministerium am 1. November die Rohöl-für-Diesel-Swaps.

Die Auswirkungen dieser Änderung sind nun offensichtlich und viele politische und ökonomische Analysten erwarten, dass sich die Situation in naher Zukunft verschlechtern wird.

Mangel an Diesel

Der venezolanische Berufsverband der LKW-Fahrer hat berichtet, dass seine Mitglieder bis zu einer Woche in Warteschlangen an Tankstellen verbringen, wobei LKW, die Lebensmittel und andere Güter transportieren, viele Tage auf der Suche nach Diesel gestrandet sind und sich ihre Ankunft an ihrem Ziel verzögerte.

Am 9. März warnte der Verband auch, dass die Dieselvorräte, die für die Aufrechterhaltung der Industrieproduktion unerlässlich sind, auf eine Woche gesunken sind.

Venezuelas Viehzüchterverband (Fedenaga) fügte hinzu, dass "der Mangel an Diesel es unmöglich macht, Lebensmittel wie Fleisch, Milch und Käse zu produzieren und zu verteilen".

Es gibt Schätzungen, dass sieben von zehn Lastwagen bereits nicht mehr fahren.

Der venezolanische Verband für die chemische und petrochemische Industrie (Asoquima) hat erklärt, dass 80 Prozent des Sektors Distributionsprobleme haben, während 76 Prozent Schwierigkeiten haben, Rohstoffe zu bekommen.

All dies geschieht inmitten schwerwiegender wirtschaftlicher Probleme im Land, einschließlich eines ständigen Anstiegs der Lebensmittelpreise und einer kaputten staatlichen Struktur, die den Mindestlohn unter einem US-Dollar pro Monat hält.

Wie konnte das passieren, wenn trotz der Ölkrise Venezuelas Diesel bis jetzt nicht ins Visier genommen wurde?

Abrams Erscheinung: Falke oder Taube?

In Venezuela sind Abrams Politik und seine ständigen Aktionen gegen das Land wohlbekannt. Wir sind daran gewöhnt, dass der Trump-Beamte öffentlich militärische Putschversuche wie den vom 30. April 2019 koordiniert und obsessiv daran gearbeitet hat, ein Sanktionssystem zu entwerfen, um das Leiden der Menschen zu verschlimmern.

Daher ist es sonderbar, dass Abrams ein paar Wochen nach der Amtseinführung von Präsident Joe Biden einen Artikel für den Council on Foreign Relations schrieb, in dem er den neuen Bewohner des Weißen Hauses aufforderte, bei den Dieselsanktionen zurückzurudern.

In diesem Artikel räumte Abrams ein, dass die Sanktionen gegen Venezuela eine interne Debatte in der US-Regierung ausgelöst haben, da einige sie für nicht opportun halten. Aber vor allem argumentierte er, dass diese Sanktion Präsident Nicolás Maduro erlauben würden, "Krokodilstränen" zu vergießen.

Bereute er seine Initiative? Wurde dieser alte Falke zu einer Taube? Hatte er eine Erscheinung? Die letzte dieser Möglichkeiten könnte wahr sein.

Diesel-Sanktionen: ein Bumerang für Biden

In der Öl- und Wirtschaftskrise Venezuelas gibt es eine offene Debatte darüber, wer die Hauptverursacher der Krise sind. Es gibt gegenseitige Anschuldigungen und gewichtige Argumente von beiden Seiten.

Beim Thema Diesel gibt es keine solche Verwirrung: Die Verantwortung für die Situation liegt bei der US-Regierung, wobei die Republikaner die heiße Kartoffel den kommenden Demokraten überlassen haben.

Das Argument, dass Maduro Diesel an Kuba "verschenkt" oder ihn für die Streitkräfte aufhebe ‒ oft wiederholt vom Beauftragten des Weißen Hauses für die westliche Hemisphäre, Juan González ‒ klingt wie ideologische Propaganda und hält keiner rationalen Bewertung stand. Wie gesagt, nicht einmal Abrams wiederholt diese These, denn das Karibikland hatte offensichtlich zuvor noch nie ein Problem mit Diesel gehabt.

Selbst der zunehmend oppositionell orientierte Industrieverband Venezuelas hat zugegeben, dass "ihre Versorgung bis Dezember gut lief". Zu diesem Zeitpunkt existierten Kuba und die Armee bereits.

Mit ihren Entscheidungen in letzter Minute hinterließen Washingtons Falken ein Minenfeld für die neue Regierung der Demokratischen Partei: Wenn die Verbündeten der Regierung Maduro das Land nicht schnell mit Diesel versorgen können, könnten wir in ein paar Wochen Bilder von Knappheit, verrottenden Lebensmitteln und lahmliegenden öffentlichen Bussen sehen.

All dies kommt genau zu dem Zeitpunkt, an dem die brasilianische Covid-19-Variante die venezolanischen Gestade erreicht und eine neue Welle von Infektionen in einigen wichtigen Städten auslöst, und das Gesundheitssystem beginnt, Zeichen der Erschöpfung zu zeigen.

Könnte die humanitäre Krise, von der die globalen Medien so viel gesprochen haben, kurz davor stehen, wahr zu werden? Wenn ja, wird man es nicht als das Werk der Falken oder des Trumpismus ansehen, sondern als das der redlichen demokratischen Tauben.

Präsident Biden wird es schwer haben, das Minenfeld zu entschärfen, das die Republikaner hinterlassen haben. Dessen Funktionäre tun so, als hielten sie die heiße Kartoffel nicht in der Hand, aber sie werden für die Situation verantwortlich gemacht werden, was sich auf ihre einfühlsameren und engagierteren Wähler auswirken könnte, die noch Hoffnung auf eine humanere Außenpolitik haben. Es könnte auch die Beziehungen der USA zu einigen lateinamerikanischen Regierungen beeinträchtigen.

In den letzten Wochen haben US-Offizielle erklärt, dass es "keine neuen militärischen Interventionen geben wird" (Außenminister Anthony Blinken) oder dass [Venezuelas selbsternannter "Interimspräsident" Juan] Guaidó in den Umfragen furchtbar abschneidet (González). Aber niemand wagt es, Bidens Politik in der Diesel-Frage zu klären.

Die Regierung Maduro ihrerseits, die vielleicht auf eine mögliche Verhandlung mit der neuen US-Regierung hofft, hat die Dieselsituation nicht öffentlich angesprochen und auch nicht ihre unaufhörlichen Vorwürfe gegen die US-Regierung erneuert. Maduros Diskurs ist, zumindest im Moment, post-trumpistisch. Währenddessen war die Realität Venezuelas nie so trumpistisch wie derzeit.

Die Situation bei Diesel verschlechtert sich täglich und die venezolanischen Lebensmittelvorräte sind in Gefahr. Bidens Image könnte beschädigt werden, wenn er keinen Weg findet, die heiße Kartoffel, die Trump ihm hinterlassen hat, abzukühlen: Und dieses Mal sind Maduros Tränen vielleicht nicht so krokodilartig.