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"Todas las Sangres": Pedro Castillo und die Vision einer gerechten Gesellschaft in Peru

Perus gewählter Präsident will eine integrative Gesellschaft aufbauen. Dafür muss auch die Verfassung der Diktatur geändert werden

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Pedro Castillo bei einer Wahlkampfveranstaltung im Mai 2021
Pedro Castillo bei einer Wahlkampfveranstaltung im Mai 2021

José María Arguedas (1911-1968) war Schriftsteller, Dichter, Pädagoge, Anthropologe, Ethnologe, Übersetzer, Journalist und Musiker. Mit seinen Übersetzungen von Quechua-Gedichten und -Erzählungen ins Spanische leistete er einen immensen Beitrag zur peruanischen Kultur. Seine Arbeit als Anthropologe und Sozialforscher nahm einen wichtigen Platz in seinem intellektuellen Leben ein und beeinflusste sein literarisches Werk. Sein Anteil bei der Aufwertung der indigenen Kunst war sehr wichtig, besonders in der Musik und im Tanz (hayano). Seine Romane und Kurzgeschichten geben die Erfahrungen seines Lebens in der andinen Kulturwelt wieder. Er verfasste mehr als 400 literarische und anthropologische Schriften. Sein Werk interpretiert die Wirklichkeit, es "spricht" aus dieser Wirklichkeit, es ist kein Abbild der Wirklichkeit.

Vor ihm war die indigene Kultur der Anden mündlich (Riten, Zeremonien, mündliche Weitergabe). Mehr als die Kunst ist es sein Anliegen, Zeugnis von der Ungerechtigkeit abzulegen. Er gilt als "Kulturheld", weil er durch die Literatur eine ungerechte Gesellschaftsordnung unterminierte. José María Arguedas wird zusammen mit dem Dichter Cesar Vallejo als einer der wichtigsten Vertreter der peruanischen Literatur angesehen.

Ethnische und kulturelle Konflikte in Peru

Die grundlegende Frage, die in seinen Werken aufgeworfen wird, ist der Konflikt zwischen den beiden wichtigsten Kulturen des Landes: der andinen Kultur der Quechua und Aymara und der westlichen Kultur, die von den Spaniern gebracht wurde. Die großen Dilemmata, Ängste und Hoffnungen, die dieser Konflikt hervorruft, sind der Kern seines Werkes. Der besondere Umstand, innerhalb zweier kultureller Traditionen, der westlichen und der indigenen aufgewachsen worden zu sein, und seine große Sensibilität, erlaubten es ihm wie keinem anderen peruanischen Intellektuellen, die komplexe Realität der indigenen Bevölkerung, mit der er sich voll identifizierte, zu verstehen und auszudrücken.

Die ungleiche Behandlung von Angehörigen der westlichen Kultur und Indigenen erlebte Arguedas als schmerzliche Erfahrung. Er kämpfte ein Leben lang gegen die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung. Sein Beitrag markierte innerhalb der peruanischen Gesellschaft ein Zuvor und ein Danach und beeinflusste das Denken vieler Peruaner und Intellektueller. Die Mutter Erde, die "Mamapacha" und die Natur spielen in der indigenen Kultur eine zentrale Rolle. Arguedas' Arbeit griff viele der ökologischen Fragestellungen auf und gilt somit als visionär.

"Todas las sangres"

1964 veröffentlichte er das Buch, das seinen größten Wunsch und seine Vision für die Zukunft Perus zum Ausdruck brachte: "Todas las sangres" (sinngemäß: Alle Völker vereint1). Ein erzählerisches Meisterwerk, in dem Arguedas die ganze ethnische Vielfalt der peruanischen Bevölkerung und die internen kulturellen und sozialen Konflikte zeigen wollte und in dem er sein Ideal einer gerechten und integrativen Gesellschaft für unser Land vorstellt, multiethnisch und multikulturell. Der Wert und die Bedeutung dieses Romans liegen darin, dass er nicht nur als künstlerisches Werk wichtig ist, sondern dass sein Titel in Peru als Ausdruck der Notwendigkeit für die Einigkeit aller Peruaner verwendet wird.

Pedro Castillo und eine Regierung der "Todas las Sangres"

Castillo stellt in seinem "Plan de Gobierno Perú al Bicentenario - Sin corrupción" folgendes fest:

"Unser Land befindet sich heute in einem entscheidenden Moment in seiner Geschichte. Es wird festgelegt, ob wir einen gesellschaftlichen Wandel in Demokratie, in Frieden schaffen, der die verschiedenen Stimmen unseres Landes berücksichtigt, insbesondere die Stimmen derjenigen, die in all diesen Jahren unsichtbar gemacht und zum Schweigen gebracht wurden. … Unser Vorschlag umfasst die Hoffnung der Völker auf Veränderung und bekräftigt einen Weg des schrittweisen, aber tiefgreifenden Wandels, der wahrhaft demokratisch und von der Suche nach Rechten und Chancen für alle, mit Gerechtigkeit und Frieden, geleitet wird".

"Unser Vorschlag für den Wandel … ist der Vorschlag der Völker, die einen Wandel zum Wohle aller Familien Perus wollen …, und wir möchte alle aufrufen, die diese Wandel ersehnen, ihn gemeinsam zu schaffen. Peru verdient es, sein 200-jähriges Jubiläum der Unabhängigkeit mit einer Regierung zu feiern, die die so oft aufgeschobenen Veränderungen vornimmt, mit einer Regierung des Volkes und für das Volk. … und es ist auch dringend notwendig dass wir mit dem Wiederaufbau unserer Institutionen auf der Grundlage von Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität beginnen. … Es ist höchste Zeit, die wahre Bedeutung der Demokratie wiederzuerlangen: Die Souveränität des Volkes und der Dialog – nicht der Zwang noch die Gewalt – als Hauptwerkzeug für den Aufbau grundlegender Übereinstimmungen, die es uns ermöglichen, als Gesellschaft voranzukommen".

Die Verfassung der Diktatur, so Castillo, "hat zudem eine koloniale Matrix und erkennt die politischen und kulturellen Institutionen der indigenen Völker und bäuerlichen Gemeinschaften nicht an. Die Verfassung der Diktatur muss einer neuen demokratischen Verfassung weichen, die von allen Stimmen und allen Völkern ausgearbeitet wurde. … Die neue Verfassung, entstanden aus dem Willen des Volkes, wird die Farbe und den Geschmack des Volkes haben."

Er sagte weiter: "Heute rufen wir alle Schwestern und Brüder auf, sich unserem frontalen Kampf gegen die Korruption anzuschließen. ... Wir brauchen alle, um die Erneuerung unseres Landes zu schaffen. Nur ein organisiertes und wachsames Volk kann die Rückkehr der Fujimori-Diktatur verhindern. … Ich hätte niemals gedacht, dass ein Landschullehrer, Rondero und Bauer so heftig attackiert werden würde, nur weil er eine Botschaft der Hoffnung zum Ausdruck bringt, für die Wiedergewinnung des Heimatlandes und seiner Souveränität, zum Wohl aller meiner peruanischen Geschwister. Am 28. Juli werden wir mit dem Vertrauen, das ihr mir entgegenbringt, den ersten Stein eines souveränen Heimatlandes mit Rechtssicherheit legen, in dem wir alle in Frieden mit Freiheit und sozialer Gerechtigkeit leben können. Nur so werden wir unseren Nachkommen ins Gesicht schauen können, und ohne Scham."

Alberto Pascal aus Peru ist Professor, Wirtschaftswissenschaftler und Umweltschützer

  • 1. Trink mein Blut, trink meine Tränen. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Heintz. Verlag Neues Leben, Berlin 1983