Guatemala: "Einen neuen Guerillakampf wird es nicht geben, aber das Land steht vor einer sozialen Explosion"

Gespräch mit dem inhaftierten ehemaligen Guerillero César Montes aus Guatemala

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Mitglieder der von César Montes gegründeten Fundación Turcos Lima beim Gedenkmarsch am Jahrestag des Friedensabkommens
Mitglieder der von César Montes gegründeten Fundación Turcos Lima beim Gedenkmarsch am Jahrestag des Friedensabkommens

Sie wurden im Oktober 2020 in Mexiko wegen eines Vorfalls aus dem Jahr 2019 festgenommen und Ende März zu einer Haftstrafe von 175 Jahren verurteilt. Bei einer Auseinandersetzung im Dorf Semuy II im Nordosten Guatemalas kamen drei Soldaten ums Leben. Obwohl die Hintergründe nicht abschließend geklärt sind, sah es das Gericht als erwiesen an, dass "15 bewaffnete Männer" die Einsatzkräfte erschossen hätten. Sie wurden wegen "Rädelsführerschaft" und "Anstiftung zur Tat" verurteilt. Seitdem sitzen Sie im Gefängnis Mariscal Zavala in der guatemaltekischen Hauptstadt. Wie geht es Ihnen und wie sind die Haftbedingungen?

Ich bin in einer bevorzugten Situation, was die Haftbedingungen angeht. Diese Haftanstalt ist ein Modellgefängnis für Guatemala, hier gibt es keine Erpressungen, keine Aggression. Es gibt kein anderes Gefängnis wie dieses in Guatemala.

Nebenan ist das Areal der sogenannten VIP-Gefangenen, ehemalige Politiker etc. sitzen da ein, auch der ehemalige Staatspräsident Otto Pérez Molina 1. Ich werde gut behandelt, bin gut ernährt. Ich bin bei guter Gesundheit, einige kleine Probleme, aber das entspricht meinem Alter, ich bin 80 Jahre alt.

Ich habe einen strukturierten Tagesablauf, lese und schreibe viel, zur Zeit schreibe ich an einem Buch über meine Erfahrung in der Haft. Zunächst war ich acht Monate in einer Haftanstalt in der Zone 1 hier in der Hauptstadt, dort war es wesentlich schwieriger, beengte Bedingungen, Drogenkonsum, Erpressungen, da waren viele Personen aus der Bande Maras 18 2). Mit einer Gruppe anderer Gefangener hatte ich mich zusammengeschlossen um uns so gut wie möglich zu schützen.

Um diese Erfahrungen und die Haft wird es in dem Buch gehen, das in Mexiko erscheinen wird. Nach dem Friedensabkommen hatte ich mein Buch "La guerilla fue mi camino" (Die Guerilla war mein Weg) veröffentlicht, für guatemaltekische Verhältnisse durchaus ein Bestseller mit 15.000 verkauften Exemplaren, hier wird nicht viel gelesen.

Aber natürlich, bei allen erträglichen Haftbedingungen, es ist ein Gefängnis, ich bin eingesperrt.

Ich bekomme auch Unterstützung von solidarischen Menschen, hier in diesem Gefängnis gab es im Grunde nur das Gelände und den Zaun, die Infrastruktur, auch die Unterkünfte, haben die Gefangenen selbst geschaffen, auf eigene Rechnung.

Meine Mitangeklagten wegen des Vorfalls in Semuy II sind in Cobán unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert, schlechte hygienische Bedingungen, mangelhafte Ernährung, und zusammen mit Kriminellen aus den berüchtigten Banden, sie erleiden täglich Gewalt und Erpressungen.

Was waren Ihre Motive, sich Anfang der 1960er-Jahre der Guerilla in Guatemala anzuschließen?

Ich war 1962 Mitbegründer der Fuerzas Armadas Rebeldes (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte, FAR). Warum? Ich war ab Dezember 1961 in Kuba, in Havanna, Anfang 1962 begann ich dort ein Medizinstudium. Dort erlebte ich die Stimmung der Kubaner, die "Pflicht eines Revolutionärs ist es die Revolution zu machen". Nicht reden über die Revolution, machen. In diesem Jahr war die sogenannte Kuba Krise, die Bedrohung des Landes. Ich konnte nicht weiter studieren, als Studierende wurden wir zur Verteidigung herangezogen, an Waffen ausgebildet. Als sich die Krise nach dem Oktober 1962 entspannte, hatte ich aber trotzdem das Studienjahr nicht zu Ende führen können. Das neue begann erst im Februar, ich hätte ein halbes Jahr verloren, wir entschlossen uns zurück nach Guatemala zu gehen.

Am Flughafen in Guatemala wurden ein Genosse und ich verhaftet und in ein geheimes Gefängnis des Militärs gebracht. Dort blieben wir 15 Tage, wurden misshandelt und gefoltert, letztlich mussten sie uns aber wieder freilassen.Wir hatten unsere Unterlagen als Medizinstudenten dabei, konnten belegen, dass wir als Medizinstudenten auf Kuba waren und nicht zu einem "Guerillatraining".

Meine Unterlagen und auch Ausweispapiere blieben aber im Gefängnis, so nahm ich den Namen César Montes an. Wir trafen uns dann mit ehemaligen Militärs, die 1960, am 13. November, daher der Name „Revolutionäre Bewegung 13. November“, erste militärische Aktionen gegen die Diktatur unternommen hatten. Daraus entstanden die FAR. So begann ein Kampf der 36 Jahre dauern sollte. Die FAR waren einer der ersten Guerillagruppen auf dem Kontinent, mit einem sehr militärischen Konzept, die Gründer waren halt Militärs. Später gab es mehrere Gruppen mit ähnlichen Namen in verschiedenen Ländern, wie die 1964 gegründete Farc in Kolumbien.

Wie ging es dann weiter?

1966 übernahm ich nach dem Unfalltod des Genossen Turcios Lima die Leitung der FAR und nahm auch als Ersatz für ihn an einer Konferenz mit den Kubanern und revolutionären Bewegungen aus Lateinamerika und Vietnam teil. Trotz dieses Internationalismus war die Bewegung hier in Guatemala sehr national eingestellt, wir bekamen auch keine Hilfe aus dem Ausland, auch nicht aus den sozialistischen Ländern Osteuropas. Am Anfang wollte die Organisation, als von Militärs gegründet, auch keine Zivilisten in ihren Reihen.

Nach besagter Konferenz auf Kuba verließ ich die Insel 1967 und wurde nach Vietnam eingeladen. 1968 war ich dort während der Tet-Offensive der Vietnamesischen Volksarmee und erlebte die ersten Angriffe der US-amerikanischen B 52 Bomber auf Hanoi mit hunderten Toten. Danach wurde Hanoi teilweise evakuiert und wir waren mit Einheiten der Volksarmee in der Nähe der Grenze, die Nord- und Südvietnam trennte, eine künstliche Grenze. Die Vietnamesen kämpften für die Unabhängigkeit und Einheit ihres Landes. Über die Tschechoslowakei und Westeuropa gelangte ich wieder nach Mexiko, von dort über die grüne Grenze in der Selva Lacandona zurück nach Guatemala.

Wie entwickelte sich die Guerilla organisatorisch weiter?

1972 gründete sich das "Guerillaheer der Armen" (Ejército Guerillero de los Pobres, EGP), das einen Massencharakter annahm, von 15 Mitgliedern bei der Gründung bis zu 15.000 Kämpferinnen und Kämpfern. Zuvor hatte sich aber die Entführung und Ermordung des westdeutschen Diplomaten Karl von Spreti 3 ereignet, durch Strukturen der FAR. Dies bedauere ich heute sehr, auch wenn ich daran nicht beteiligt war, die Tat war angetrieben von einem falschen Radikalismus jener Jahre.

Können Sie so etwas wie einen "Alltag" der Guerilla beschreiben?

Wir waren überwiegend aktiv in der Region im Norden der Sierra de las Minas, in den indigenen Gebieten der Maya Q'eqchi. Daher sind auch heute viele der Aktiven in unserer Organisation Angehörige der Volksgruppe der Maya Q'eqchi.

Unser Alltag war vor allem in den abgelegensten Gebieten davon bestimmt, mit den Menschen zu reden. Erzählen,wie wir uns ein neues Guatemala vorstellten, wie die Agrarreform realisiert werden könnte. Wir handelten nach den Worten vom Comandante Turcios Lima, der uns schon damals sagte: "Versprecht nichts, wir sind keine Politiker. Fragt die Leute, was sie wollen".

Meistens kam, sie wollten Land und und ein Gewehr, um dieses zu verteidigen. In der Region in Alta Verapaz hatten sich viele deutsche Großgrundbesitzer im Rahmen der liberalen Reformen ab 1871 Gemeindeland angeeignet, von der Regierung gekauft oder sich durch Vertreibung der Bewohner angeeignet. Sie kontrollierten den Kaffeehandel, sorgten für die Infrastruktur und den Transport zum Hafen, wo der Kaffee dann direkt nach Hamburg transportiert wurde.

Während des zweiten Weltkrieges, als Guatemala auf Druck der USA teilnahm, wurden die deutschen Großgrundbesitzer enteignet, das Land ging an die Regierung. Viele gingen zurück nach Deutschland, wo sie dann, wie mir Deutsche in der Region später selbst erzählten, vielfach in der SS und hohen Funktionen der Wehrmacht am Krieg teilnahmen. Viele kamen dann aber nach Kriegsende zurück nach Guatemala und bekamen auch das Land zurück.

Ich habe es selbst erlebt, viele der indigenen Einwohner, oft Analphabeten und des Spanischen nicht mächtig, wussten gar nicht, dass es so etwas wie das Registeramt für Landtitel gab, die Deutschen hatten „ihr“ Land, also ehemaliges Gemeindeland, aber schnell registriert. Das Land, auf dem die Vorfahren der Menschen jahrhundertelang gelebt hatten, gehörte jetzt plötzlich den Deutschen.

Ihr Weg führte Sie dann auch nach Nicaragua und El Salvador. Wie kam es dazu?

Nach dem Tod meiner ersten Ehefrau, sie kam bei einem Gefecht der Guerilla ums Leben, ging ich mit unsere gemeinsamen Tochter, damals acht Jahre, nach Mexiko, das war 1977. Dort kontaktierte mich die FSLN (Sandinistische Nationale Befreiungsfront) aus Nicaragua. Wir hatten schon Anfang der 1970er-Jahre Einheiten der FSLN in der Sierra de la Minas in Guatemala trainiert, und sie wandte sich jetzt an mich für die Teilnahme an der Abschlussoffensive gegen den Diktator Somoza 1979 4

Nach dem Sturz Somozas ging ich wegen meiner Tochter wieder zurück nach Mexiko.

1981 ging ich dann als Ausbilder und militärischer Berater der FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Marti) nach El Salvador. Die FMLN hatte dort 1980 den bewaffneten Kampf begonnen, sie hatten große Erfahrung im Kampf in den Städten, starken Rückhalt in der städtischen Arbeiterbewegung, aber wenig Erfahrung im Kampf in den Bergen.

Ab 1984 war ich wieder in Nicaragua. Die neue Regierung der siegreichen Guerilla war dort mit dem Terror der Contras konfrontriert, die von den USA finanziert und in Honduras ausgebildet wurden. Die Contras wollten mit Terroranschlägen zum Beispiel auf Kooperativen die Entwicklung im Land hemmen.

Der Unterschied zum bewaffneten Kampf in Guatemala war, dass die Befreiungsbewegung dort die Regierung übernommen hatte, dort saß ich dann im Militärhubschrauber. Ich war Ausbilder und später Leiter einer Spezialtruppe der Armee zur Bekämpfung der Contras. Mein Vorgänger als Leiter der Spezialtruppe war ein Genosse deutscher Abstammung, Sohn deutscher Einwanderer. Nach seinem Tod in einem der ersten Gefechte mit den Contras übernahm ich seinen Posten.

Ich blieb in Nicaragua bis ende der 1980er-Jahre, bis zu einem Friedensabbkommen zwischen der sandinistischen Regierung und den Contras. Danach ging ich wieder zurück nach El Salvador.

Die FMLN hatte damals große militärische Erfolge. Nach dem Friedensabkommen, die Verhandlungen begannen 1991 in Mexiko und endeten 1992 mit dem Friedensvertrag, blieb ich in El Salvador. Damit gab es keine Probleme, ich wurde als Zentralamerikaner auch von den Militärs akzeptiert. In den Reihen der FMLN kämpften damals viele Internationalisten aus Kolumbien, Ecuador, Spanien, aus dem Baskenland, Katalanen, auch Deutsche.

Warum blieben Sie weiter in El Salvador?

Die Situation nach dem Friedensabkommen war entspannt, es gab nicht diesen Hass von Seiten der Oligarchie und ranghoher Militärs auf uns ehemalige Guerilleros wie in Guatemala, nach dem Friedensabkommen konnte ich mich unbewaffnet bewegen. In El Salvador war ich mit am Aufbau von Kooperativen beteiligt, die eine ökonomische Existenz für ehemalige Kämpfer der FMLN sichern sollten, auch nach den Erfahrungen des Contra-Krieges wollten wir schnell eine gute ökonomische Basis für die Menschen schaffen, und in der Transformation der FMLN von einer bewaffneten Organisation in eine politische Partei.

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César Montes nach seiner Festnahme in Mexiko auf dem Weg zur Anhörung vor Gericht (Screenshot)
César Montes nach seiner Festnahme in Mexiko auf dem Weg zur Anhörung vor Gericht (Screenshot)

Sie sind aber doch zurück nach Guatemala. Wie ging es nach dem Friedensabkommen weiter?

Ja, nach dem Friedensabkommen bin ich zurück nach Guatemala, es war ja doch mein Land. Ein lehrreiches Schlüsselerlebnis war für mich kurz nach dem Friedensabkommen. Damals wandte sich eine Personengruppe in Alta Verapaz an unsere Fundación Turcios Lima, benannt nach dem 1966 tödlich verunglückten Gründer und Kommandeur der FAR, die wir nach dem Friedensabschluss gründeten. Sie wollten, dass wir ihnen Land kauften. Dies taten wir auch, dabei fiel mir auf, dass viele Personen sehr diszipliniert waren. Nachfragen ergaben, das es sich überwiegend um ehemalige Soldaten handelte, die nach dem Krieg entlassen wurden und nun in Armut lebten. Die Armee hatte sie benutzt, um gegen uns zu kämpfen, aber nach dem Kriegsende wurden sie entlassen und standen mit leeren Händen da.

Da merkte ich, dass dort auch ein revolutionäres Potenzial liegt, sie waren im Krieg unsere Gegner gewesen, aber profitiert haben nur die Generäle. Damals konnten wir 400 Familien aus extremer Armut holen. Heute sind in unserer Fundación 11.000 Menschen organisiert.

In den traditionellen Indigenen und Landarbeiterorganisationen wie CUC (Komitee für Bauerneinheit), CCDA (Bauernkomitee des Hochlandes) oder Conic (Nationale Koordination der Indigenen und Kleinbauern) sind etwa 20 Prozent der ländlichen Bevölkerung organisiert, das heißt aber auch rund 80 Prozent sind unorganisiert.

Die traditionellen Organisationen bekommen aber teilweise Geld von der Regierung, sie wollen nicht, dass die Regierung stürzt, sie werden von ihr bezahlt.

In diese Lücke stößt unsere Organisation. Wir organisieren verschiedene Kooperativen zum Beispiel im Anbau von Kakao und anderen Agraprodukten, in Fischfang und Fischzucht. Wir haben 28 Gemeinden gegen den Anbau der Ölpalme (Palma Africana) in der Region am Rio Polochic in Alta Verapaz und Izabal organisiert. Da konnten wir sogar erreichen, dass ein Unternehmen Land an die Kleinbauern zurückgeben musste, weil wir beweisen konnten, dass es ehemaliges Gemeindeland war. Das ist vorher noch nie passiert in unserem Land.

Viele Menschen haben nur die Alternative zwischen Leben in extremer Armut oder Eintritt in die Fundación. Wir treten ein für Frieden und indigene Würde, ohne Waffen aber mit militärischer Disziplin. Die Regierung sieht das mit Misstrauen und wirft uns vor, wir würden einen neuen Krieg vorbereiten. Und um es klar zu sagen, deshalb bin ich heute hier im Gefängnis. Die Regierung wollte mich politisch kalt stellen und unsere Organisation treffen.

Wann haben Sie gehört, das es wegen des Vorfalls in Semuy II mit den drei getöteten und drei verletzten Soldaten einen Haftbefehl gegen Sie gibt?

Kurz danach. Ein lokales Radio verbreitete, ich hätte die drei unverletzten überlebenden Soldaten festgehalten und gefoltert. Das ist eine der viele Ungereimtheiten, die drei Soldaten waren nach dem Vorfall verschwunden, es hieß, sie hätten sich verlaufen. Wie kann man sich dort verlaufen, auf der einen Seite sind die Berge, auf der anderen der Izabalsee? Die Soldaten kennen sich dort aus.

Dann die ganze Geschichte, die Regierung behauptet, die Soldaten hätten ein Flugzeug verfolgt, in dem Drogen transportiert wurden. Aber die Flugpisten, über die der Drogenhandel erfolgt in der Region, sind doch überhaupt nicht geheim, jeder weiß wo sie sind und das dort Drogen transportiert werden. Gerade auch das Militär weiß das.

An jenem Tag fand im Gesundheitszentrum in der Gemeinde Semuy II eine Impfung statt, daher waren viele Menschen vor Ort, als die neun vermummten und schwerbewaffneten Soldaten dort auftauchten. Mehrere Leute haben sie dann offensiv angesprochen: Was wollt ihr hier? Wollt ihr uns verhaften? Wollt ihr uns vertreiben? Viele Menschen aus Semuy II stammen aus einer Nachbargemeinde, in der die Armee während des Krieges zahlreiche Frauen vergewaltigt und als Sexsklavinnen gehalten hat. Viele Mütter der Menschen die sich dort versammelt hatten waren Opfer dieser Vergewaltigungen geworden. Es haben sich viele Menschen um die Soldaten versammelt. Einer der Soldaten schoss dann erst in die Luft, dann in den Boden. Durch die Schüsse in den Boden wurde eine Frau verletzt.

Mir wird vorgeworfen, ich hätte den Befehl gegeben, die Soldaten zu töten. Ich war aber an dem Tag gar nicht vor Ort und auch nicht in telefonischem Kontakt mit den Menschen, schon allein weil in der Gemeinde gar kein Handynetz funktioniert. Und ich habe jahrzehntelange militärische Erfahrung, wenn ich diesen Angriff geplant hätte, wären jetzt alle Soldaten tot.

Eins möchte ich aber noch ganz deutlich sagen, wenn sie uns mit Drogenhandel in Verbindung bringen: Kein Guerillero in Guatemala, in den 36 Jahren bewaffneter Kampf und den Jahren danach, hat irgendetwas mit Drogenhandel zu tun. Niemand. Das Militär ja, aber kein Guerillero.

Sie sind dann nach Mexiko gegangen?

Richtig, ich wollte in Mexiko politisches Asyl beantragen. Das wurde mir auch positiv signalisiert von der Regierung von Andres Manuel López Obrador, zu der ich gute Kontakte habe. Trotzdem erfolgte dann meine Festnahme im Oktober 2020 (amerika21 berichtete) und meine Auslieferung nach Guatemala. In Guatemala nahm mich ein Großaufgebot von Soldaten in "Empfang", wie Rambo standen die dort, schwerbewaffnet und mit umgehängten Patronengurten. Präsident Alejandro Giammttei verkündigte daraufhin, meine Festnahme sei eines der Ziele seiner Regierung gewesen.

Ende Mai kam es im Departamento Alta Verapaz erneut zu einer versuchten Vertreibung einer Gemeinde durch Polizei und Militäreinheiten. Glauben Sie, dass die ungelöste Landfrage und die Landkonflikte einen neuen bewaffneten Konflikt provozieren können?

Die ganze Problematik ums das Land hat eine wichtige Komponente, das ist der Rassismus. Präsident Giammattei beleidigt die indigene Bevölkerung, macht öffentlich Witze über sie. Er ist weiß, italienischer Abstammung. Er attackiert die Indigenen verbal, sie seien Subersive, Invasoren, neue Guerilleros, hat keinerlei Respekt vor der indigenen Bevölkerung.

Diese Regierung beleidigt die Mehrheit der Bevölkerung, die Indigenen stellen die Mehrheit in unserem Land, rund 60 Prozent. Einen neuen Guerillakampf wird es nicht geben, aber das Land steht vor einer sozialen Explosion, die Morde an kommunalen Aktivisten werden zunehmen. Die Regierung will, dass das Land in den Händen der weißen Minderheit bleibt.

Aber was ist die Folge, die Kinder sind unterernährt, sterben an Unterernährung, ein Freund von einer Hilfsorganisation schickt mir Fotos von geschwächten Kindern, halbverhungerten Kindern, Kindern die kaum noch selbst laufen können (Montes zeigt entsprechende Fotos). Das passiert gestern, heute, morgen in Guatemala, im Trockenen Korridor (Niederschlagsarme Region in Zentralguatemala) aber auch in anderen Landesteilen. Verhungernde Kinder, gestorben durch Unterernährung.

Das Interview wurde am 3. Juni 2022 in der Haftanstalt Mariscal Zalavala in Guatemala-Stadt geführt.

Es erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung in der Beilage "Unser Amerika" der Tageszeitung junge Welt vom 20.07.2022

  • 1. Otto Pérez Molina ist seit 2015 wegen verschiedener Korrutionsfälle in Haft
  • 2. Eine der großen Jugendbanden in Guatemala
  • 3. Karl Borromäus Maria Heinrich Graf von Spreti, CSU Politiker, Diplomat, 1969 bis 1970 Botschafter der BRD in Guatemala
  • 4. Die Somoza-Familie herrschte in Nicaragua von 1934 bis 1979 diktatorisch und eignete sich ein enormes Vermögen an. Aufgrund ihres Antikommunismus wurde sie die meiste Zeit von den USA unterstützt. 1979 gelang es der FSLN und einer breiten Volksbewegung, die Diktatur zu stürzen. Anastasio Somoza flüchtete nach Miami