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Brasilien: Richtungswahl auch für das Klima und die Umwelt

Sowohl Jair Bolsonaro als auch Lula da Silva werben mit mehr Klimaschutz um die Gunst der Wähler. Eine Analyse

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Sollte Lula die Wahlen gewinnen, dürfte Brasilien eine politische Kehrtwende beim Umweltschutz hinlegen
Sollte Lula die Wahlen gewinnen, dürfte Brasilien eine politische Kehrtwende beim Umweltschutz hinlegen

Am 2. Oktober 2022 können 156 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer einen neuen Präsidenten wählen. Die Wahl zwischen dem Amtsinhaber Jair Bolsonaro und seinem Herausforderer Lula da Silva gilt als richtungsweisend, auch für die Umwelt- und Klimaschutzpolitik des südamerikanischen Landes, welches der sechstgrößte Treibhausgasemittent der Welt ist.

Nach den letzten Präsidentschaftswahlen in 2018 steht das Land wieder vor einem Scheideweg. In der Stichwahl hatte das Volk die Wahl zwischen Lula-Ersatzmann Fernando Haddad, der für eine Kontinuität im Umwelt- und Klimaschutz der PT-Regierungen stand, und dem ultrarechten Bolsonaro, der die wirtschaftliche Nutzung des Amazonaswaldes ausbauen wollte.

Aktuelle Umfrage gehen davon aus, dass Lula im ersten Wahlgang am kommenden Sonntag etwa 45 Prozent der Stimmen bekommen wird, Bolsonaro 30 Prozent.

Der Wahlkampf ist durch eine angespannte Stimmung im Land gekennzeichnet, was die Themen teilweise in den Hintergrund rücken lässt. Dennoch ist die Klimakrise und die Abholzung im Amazonasgebiet – im Vergleich zu vergangenen Wahlen wichtig für die Wähler. Bei allen Kandidaten wäre ein Verzicht auf diese Themen in ihrem Wahlkampf angesichts des globalen und nationalen Kontextes politischer Selbstmord.

Und so haben fast alle Kandidaten inklusive Amtsinhaber Bolsonaro, der auf eine zerstörerische Bilanz seiner Politik im Amazonasgebiet zurückblicken muss, Vorschläge zum Stopp der illegalen Entwaldung im Amazons gemacht, um besorgte Wähler zu gewinnen.

Was den Amazonas betrifft, so läuft die Wahl zwischen den beiden Favoriten jedoch auf zwei gegensätzliche Vorhaben für den Regenwald hinaus.

In Bolsonaros Regierungsplan für 2023-20261 heißt es, er werde versuchen, "Maßnahmen zur Emissionsreduzierung" zu beschleunigen, und dass Brasilien ein "Anbieter von Klimalösungen sein und sich als Weltmarktführer in einer globalen grünen Lieferkette etablieren" könne. Konkret ist die Einführung von grünen Anleihen und Kohlenstoffgutschriften zur Finanzierung von Emissionsreduzierungen oder die Einstellung von 6.000 Feuerwehrleuten zur Kontrolle extremer Waldbrände vorgesehen.

Für Marcio Astrini, Exekutivsekretär der Klima-NGO-Koalition Observatório do Clima, zeigt Bolsonaros Bilanz bei der Abholzung und seine Unterstützung für große Agrarunternehmen, dass seine Vorschläge nicht ernst genommen werden können.2 Seit er im Amt ist, ist die Abholzung im Amazonasgebiet sprunghaft angestiegen und verzeichnet regelmäßig neue Rekordwerte. Voraussichtlich wird 2022 zum vierten Jahr in Folge die Entwaldung mehr als 10.000 Quadratkilometer betragen, der höchste Wert seit 2008.

Auch wurden vermehrt Angriffe auf die indigene Bevölkerung verzeichnet.3 Der NGO Global Witness zufolge war Brasilien im Jahr 2020 das viertgefährlichste Land für Umweltschützer, 20 Naturschützer und Umweltaktivisten wurden dort getötet.4

Zuletzt erließ Bolsonaro im Februar 2022 das Dekret "Pró-Mapa", mit dem die Goldsuche weiter gefördert und die Bestrafung illegaler Goldsucher erschwert werden soll. Dies kommt einem Freifahrtschein für die Verschmutzung der Amazonasflüsse durch Tonnen Quecksilber, das bei der Goldsuche eingesetzt wird, gleich.5

Seine Abkehr vom Regenwaldschutz ist den globalen Klimazielen so abträglich, dass Brasilien in einigen westlichen diplomatischen und wirtschaftlichen Foren isoliert wird. Mitgliedsstaaten der Europäischen Union weigerten sich etwa, das ausgehandelte Mercosur-EU-Freihandelsabkommen wegen Bedenken über die Abholzung des Amazonaswaldes zu ratifizieren (amerika21 berichtete).6

Der Climate Action Tracker, ein unabhängiges Analysezentrum, stufte Brasiliens neue nationale Klimabeiträge (NDCs) von März 2022 jüngst als "unzureichend" ein, da diese höhere Emissionen erlauben als noch in den ersten NDCs von 2016.7 Eigentlich sieht das Pariser Klimaabkommen vor, dass die Unterzeichnerstaaten ihre Klimaanstrengungen alle fünf Jahre steigern.

Mit Lula zurück zu alter Stärke beim Klimaschutz?

Lula kann während seiner beiden Amtszeiten zwischen 2003 bis 2011 hingegen auf eine erfolgreiche Bilanz beim Schutz des Waldes und in der Klimapolitik zurückblicken. Seine Regierung reduzierte die Abholzungsrate im Amazonasgebiet um über 70 Prozent und war damit ein bedeutsamer Faktor in der internationalen Klimadiplomatie. Bei den Vereinten Nationen setzte er sich dafür ein, dass Industrieländer Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in Ländern des globalen Südens finanzieren.

Sollte der Gründer der Arbeiterpartei PT als Gewinner aus den Wahlen hervorgehen, dürfte das Land eine Neuausrichtung der Klimapolitik erleben. Experten sind sich weitgehend einig, dass Lula im Falle seiner Wahl die Funktionen des Umweltministeriums wiederherstellen wird. Unter Bolsonaro ist das Ministerium oft noch härter gegen die Umwelt vorgegangen als das Landwirtschaftsministerium, das sich lange auf die Seite der mächtigen Agrarlobby gestellt hat.

Im Juni veröffentlichte Lula sein Programm "Gemeinsam für Brasilien"8, in dem er sich verpflichtet, Umweltverbrechen wie den illegalen Holzeinschlag und Bergbau im Amazonaswald zu bekämpfen, auf eine Netto-Null-Entwaldung hinzuarbeiten und Brasiliens Emissionsreduktionsziele gemäß dem 1,5 Grad-Ziels des Pariser Abkommen zu erfüllen.

Die Regierung werde zum "Protagonisten" eines "ökologischen Übergangs" in Brasilien, heißt es im Programm von Lulas Parteibündnis. Auf internationaler Ebene sollte das Land in Sachen Klima "eine Führungsrolle spielen".

Mitte September kündigte er bei einem Treffen mit der ehemaligen Umweltministerin seiner Regierung, Marina Silva, weitere "grüne" Versprechen an. Silva, die 2008 nach Auseinandersetzungen mit Lula über die Genehmigung eines neuen Staudamms zurückgetreten war und aus der PT austrat, erklärte, dass sie seine Kandidatur unterstützen wird.

Lula hatte sich zuvor zu mehr als 20 von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen verpflichtet: unter anderem die Einführung eines CO2-Preises, die Schaffung finanzieller Anreize für eine nachhaltige Landwirtschaft und die Einrichtung einer Nationalen Klimabehörde, die sicherstellen soll, dass alle öffentlichen Maßnahmen die Ziele des Pariser Abkommens einhalten.9

Zunächst würde er allerdings vor der Herausforderung stehen, einige von Bolsonaros Gesetzen rückgängig zu machen. Zum Beispiel ein "Gesetz zur Landnahme", das Landbesetzer legitimiert, die illegal Waldflächen für Rinderfarmen oder Sojaplantagen abholzen. Das Gesetz hat das Unterhaus des Parlaments passiert und steht noch vor der Wahl auf der Prioritätenliste der Regierung für eine Abstimmung im Senat.10

Des Weiteren wird die Wiederherstellung eines effektiven Umweltschutzes schwieriger sein als der einfache Austausch von Politikern. Eine schnelle Umkehr der Abholzungsdynamik wird aufgrund des Zusammenspiels komplexer Faktoren nicht zu erreichen sein. Der Druck auf den Wald wird von einer Vielzahl von Akteuren ausgeübt, darunter Landwirtschaftsunternehmen, kleine Holzfäller, Kleinbauern und Goldwäscher. Folglich hängt jede wirksame Schutzmaßnahme davon ab, dass den potenziellen "Abholzern" wirtschaftliche Alternativen geboten werden und die Durchsetzungsmechanismen der Umweltbehörden gestärkt werden.

Wider den Klimaschutz: Lula und Bolsonaro versprechen, Ölproduktion auszuweiten

Beim Thema Energie spricht sich Lula in seinem Programm für die Idee einer Energiewende aus. Dank seiner reichhaltigen Wasserkraftkapazitäten verfügt Brasilien bereits über einen relativ sauberen Energiemix. Fossile Brennstoffe machten in 2021 nur 20 Prozent der Stromerzeugung aus.11

Umweltexperten begrüßen in Lulas Vorschlägen Anzeichen für die Förderung einer Energiewende. Ein Schlüsselprojekt soll die Umwandlung des staatlichen Konzerns Petrobras von einem Ölunternehmen in ein Energieunternehmen werden, das in Düngemittel, Biokraftstoffe und erneuerbare Energien investiert.

Gleichzeitig verspricht Lula – wie auch Bolsonaro - die Ölproduktion der Petrobras zu steigern, "um die Energiesouveränität" des Landes zu gewährleisten. Seine Regierung werde in neue Ölraffinerie-Infrastrukturen investieren, um das brasilianische Öl und die Energiepreise vom Weltmarkt zu entkoppeln.

Brasilien ist ein wichtiger Ölexporteur und der größte Ölproduzent Lateinamerikas. Der Ölsektor macht 11,5 Prozent seiner Exporte aus und die Investitionspläne für 2022-2026 des Staatsunternehmens sehen vor, bis 2026 die Produktion um 19 Prozent auf rund 3,7 Millionen Barrel Öläquivalent pro Tag zu steigern.12

Zum Teil hat die Regierung die Produktion bereits durch öffentliche Subventionen hochgefahren. Unter Bolsonaro wurden seit 2018 die Subventionen für fossile Kraftstoffe erheblich ausgeweitet. Im Jahr 2020 gab der Staat mehr als zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts dafür aus.13 Diese Subventionen wieder loszuwerden, wird schwer sein.

Die Entscheidung der Brasilianerinnen und Brasilianer am Sonntag wird weltweite Auswirkungen haben. Sollte Lula die Wahl gegen Bolsonaro tatsächlich gewinnen, wird es nicht einfach für seine Regierung  sein, den "grünen Ruf" Brasiliens wiederherzustellen. Für Astrini vom Klimaobservatorium muss "die Aktualisierung der nationalen Klimabeiträge Brasiliens bei den Vereinten Nationen Teil der Maßnahmen der neuen Regierung in den ersten 100 Tagen sein".