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Guatemala wählt: Ein General soll es richten

Ein prominenter Ex-General aus den Zeiten des Bürgerkrieges könnte bei den Wahlen am Sonntag einen Erdrutschsieg einfahren. Aber statt die Krise des Landes zu lösen, ist eine weitere Verstrickung mit der organisierten Kriminalität zu befürchten

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General Perez Molina im Wahlkampf 2007
General Perez Molina im Wahlkampf 2007

Abstand zu den Irrtümern der eigenen Geschichte zu gewinnen, ist für kein Land leicht. Große Hoffnungen und Visionen werden vielfach von eisernem Widerstand und zaghaften Reformkompromissen verwässert. Am Ende steht oftmals ein Rückfall in alt vertraute Rezepte, die man doch ursprünglich zu reformieren suchte. In Guatemala schließt sich möglichererweise ein solcher Kreis, wenn am Sonntag gewählt wird.

Die Kandidatinnen und Kandidaten

Mit 48,9 Prozent liegt laut der letzten Umfrage der konservative General Pérez Molina mit 30 Punkten deutlich vor seinem nächstplatzierten Konkurrenten. Ein begnadeter Redner ist er sicher nicht. Sein Slogan von der „Harten Hand“ trifft den Nerv einer Bevölkerung, die unter der zunehmenden Gewalt leidet. Auf 100.000 Menschen werden hier jährlich 46 ermordet. Damit ist Guatemala nicht nur eines der Länder der Welt mit der größten Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sondern auch eines der gewalttätigsten, mit einer Kriminalitätsquote, die zehnmal höher liegt als jene der USA. Sogar in den Zeiten des Bürgerkriegs war die Zahl der Gewaltverbrechen im Schnitt geringer.

Die Reaktion der Menschen: In Teilen der Hauptstadt sind ab 20 Uhr kaum noch Menschen auf den Straßen. Man fährt morgens von einem bewachten Parkplatz zum nächsten, nahe der Arbeitsstätte, schließt unterwegs die Tür von innen und achtet an den Ampeln auf mögliche Überfälle. Es gibt Viertel, in denen zeitweise ein abendliches Ausgehverbot verordnet wurde – von den kriminellen Banden selbst.

Der große Vorsprung des Generals lässt sich aber auch anders erklären. Als ernst zu nehmende Konkurrentin hatte lange Zeit die Gattin des derzeitigen Präsidenten Alvaro Colom gegolten, Sandra Torres. Die resolute Frau galt in den vergangenen Jahren als die Macht hinter dem Thron. Sie war aber nicht nur Mitglied der Ex-Guerilla, sondern schuf auch neue und teure Sozialprogramme. Damit war auch die Idee verbunden, direkte Zahlungen für die Armen an gewisse Bedingungen zu knüpfen, dass zum Beispiel ihre Kinder zur Schule gehen oder die Gesundheitsvorsorge eingehalten wird. Damit war ihr die Feindschaft der konservativen Eliten und eine Schmutzkampagne der mit ihnen verbundenen Medien gewiss. Jeder ihrer Initiativen haftete beinah pauschal der Korruptionsverdacht an. Aber die Verfassung verbietet auch Ehegatten, sich zur Wahl zu stellen. Und so gelang es ihr nicht einmal nach der offiziellen Scheidung, sich als Kandidatin einzuschreiben.

Sollte General Pérez die absolute Mehrheit verfehlen, dann kommt der Rechtspopulist Manuel Baldizón in die Stichwahl. In seiner Kampagne hatte er es vor allem auf der Stimmen der Armen abgesehen. Er ist ein Kandidat, der verspricht und verspricht: den Angestellten ein zusätzliches fünfzehntes Gehalt, den Rentnern viel mehr Geld, allen die Teilnahme an der nächsten Fußball-Weltmeisterschaft und vor allem fordert er die Einführung der Todesstrafe. Dabei werden gerade ihm von vielen Seiten Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt.

Die erste Nicht-Konservative Kandidatin liegt in den Umfragen weit hinten. Rigoberta Menchú steht an der Spitze einer Allianz aus linken Gruppen und der Maya-Partei Winaq. Als Gewinnerin des Friedensnobelpreises (1992) war sie einst Hoffnungsträgerin. Aber ihre Glaubwürdigkeit hat gelitten. Während es der indigenen Mehrheit in Bolivien gelungen ist, mit Evo Morales den Präsidenten zu stellen und Indigene in Ecuador erhebliche Einflussquoten halten, sagen die Umfragen Rigoberta Menchú nur 1,6 Prozent voraus. Dabei liegt der Anteil der Maya an der Bevölkerung bei 40 Prozent. Und auch die Linke alleine hatte zu besseren Zeiten, vor einem Jahrzehnt, immerhin noch knapp 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können.

Krieg und die stockende Demokratisierung

Erst 15 Jahre ist es her, da hatte es den Anschein, als ob das kleine Land südlich von Mexiko einen komplett neuen Kurs einschlagen wollte. Obwohl die Armee in einem langen Bürgerkrieg militärisch die Oberhand behalten hatte, trat sie mit den Friedensverträgen in den Hintergrund. Gilt sie doch als hauptverantwortlich für die Blutorgie mit einer Bilanz von 200.000 Toten. Eine kleinere Armee und der Aufbau einer zivilen Polizei sowie einer effizienten Justiz sollten das Land demokratisieren helfen.

Solche Reformansätze wurden jedoch von Regierungen umgesetzt, deren Mitglieder die Repression der Vergangenheit als nützlich kennengelernt und geschätzt hatten. Kein Wunder also, dass die wenigen Reformen zwar die Logik des alten Guatemala aushebelten, ohne aber dem Neuen zur Geltung zu verhelfen. Konsequenz ist ein gefährliches Vakuum, das den Staat erschüttert.
Von der Öffentlichkeit unbemerkt, haben die zaghaften Reformen jüngst die negative Tendenz umkehren können. Unter der aktuellen Generalstaatsanwältin gelang es, zahlreiche Drogenhändler zu verhaften und einige spektakuläre Morde aufzuklären. In einem Land, in dem die Justiz lange Zeit komplett unterwandert war, gilt dies geradezu als ein Wunder. Aber im Bewusstsein der Wähler sind andere Nachrichten dominant. Ein Beispiel: Man muss wissen, dass sich viele Häftlinge im Land noch aus dem Gefängnis ihrem Geschäft widmen. Besonders beliebt sind Erpressungsversuche per Handy. Um das endgültig zu unterbinden, wurde Anfang des Jahres in einer Art Verzweiflungstat angeordnet, den Strom in weiten Teilen der Haftanstalt abzuschalten. Aber auch darauf wussten die Insassen eine Antwort. Sie bestachen die Wärter, damit die ihre Batterien aufluden.

Auf halbem Reformwege sind die Menschen der Straflosigkeit müde geworden. Worte von Frieden, Demokratie und Menschenrechte verlieren für viele ihren Sinn. Man will Sicherheit jetzt. Aber damit werden leider Ursachen der Gewalt zu ihrer Lösung herangezogen.

Das Militär und die Straflosigkeit

1. November 2009. Der Bürgermeister einer Gemeinde im indigen geprägten Quiché versammelt die Anwohner um sich. Ein Mann steht dabei im Zentrum. Gefesselt und von Schlägen gezeichnet wird ihm vorgeworfen, ein Krimineller zu sei. Die Menge ist aufgepeitscht und dann wird der angebliche Kriminelle gezwungen, Benzin zu trinken – und angezündet. Sein tatsächliche Vergehen: Der so bestialisch gelynchte, ein Polizist, hatte sich mit dem Bürgermeister in einen Streit verwickelt, weil dessen persönliche Schutztruppe den Sohn des Polizisten Sohn gefangen genommen hatte – angeblich weil er zu lange Haare hat.

Natürlich hat General Pérez Molina selbst nichts mit diesem Vorfall zu tun, aber doch erinnert sie unweigerlich an dunkle Seiten. Verbrechen dieser Art basieren auf einer repressiven Tradition, die vom Militär im Krieg geprägt worden war. Auf deren Geheiß übten paramilitärische Einheiten damals soziale Kontrolle mit Gewalt aus. Für das Militär sind sie noch heute Helden des Krieges gegen die aufständischen Linken. Ohne sie und deren Ordnungsfunktion hätten wir nicht gewonnen, so heißt es.

Zwar gilt Pérez Molina unter Offizieren als vergleichsweise moderat, aber in der heißesten Zeit des Krieges, von 1979 bis1983, war er Ausbilder der sogenannten Kaibiles, einer Elitetruppe, die für besonders grausame Taten verantwortlich ist, und er war Offizier in einem Gebiet, das zuvor stark von Massakern betroffen war. Später stieg er zum Chef des militärischen Geheimdienstes auf, eine Einheit die in zahllose individuelle Morde verwickelt war. Mehr als um persönliche Verantwortung geht es aber hier darum, ihn als einen Vertreter eines Systems zu betrachten, das im Lande totalitäre Macht hatte, sowie Polizei und Justiz zu Helfern im Kampf gegen die Guerilla pervertierte – eine Tradition die auch heute noch eine der wesentlichen Ursachen der Schwäche der Sicherheitsorgane ist.

Die Menschen hingegen sehen das Militär nicht als Ursache. Für sie ist die Armee als effizient im Gedächtnis verblieben. Dabei war sie es, die durch ihre verdeckten Strukturen den Grundstein für den Erfolg des organisierten Verbrechens im Lande gelegt hatte. So ist Guatemala heute ein wichtiges Durchgangsland für den Drogenschmuggel. Die Gewinne sind dabei so hoch, dass sie viele Wirtschaftszweige in den Schatten stellen.

Kolumbianisierung

Pérez Molina ist aber nicht nur Militär. Er gilt als Bewunderer des kolumbianischen Präsidenten Uribe und ist von zahlreichen neoliberalen Beratern umgeben. Ebenso wie Uribe sieht er im Bergbau und in der Exportorientierung insgesamt eine wichtige Chance, das Wachstum der Wirtschaft anzutreiben. Automatisch wird das zu zahlreichen Konflikten mit Gemeinden der Maya führen, die den Bergbau strikt ablehnen. Wie der General diese Konflikte lösen will, kann man nur vermuten. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass die Produktion von Palmöl, das eine Grundlage für den Biosprit darstellt, seine Förderung genießen wird.

Beide Einnahmequellen sorgen aber auch für Risiken. Die erwarteten Gewinne für den Staat, der die Aufgabe hätte, die Gewinne zu sozialisieren und zur regionalen Entwicklung beizutragen, die sind lächerlich gering. Denn auf den Wert der geförderten Metalle wird nur eine Abgabe von einem Prozent verlangt. Unter diesen Bedingungen heißt Bergbau also, wenig neue Arbeitsplätze, massive Vergiftung und Beeinträchtigung der Ernährungssicherheit. Und schwache Staaten wie Guatemala werden die ökologischen Folgen des Abbaus in Zukunft kaum beseitigen können.

Damit sind wir an einem Punkt angelangt, der die Funktionsunfähigkeit Guatemalas fortlaufend vertieft: Die extrem geringen Einnahmen des Staates. Aus Sicht der ökonomischen Elite ist dies eine Schicksalsfrage. Vor allem bei der aktuellen, gemäßigten Regierung wehrte sie sich nicht nur vehement gegen Steuererhöhungen, sondern auch gegen ein effizientes Finanzsystem. Ohne zusätzliche Einnahmen ist in Guatemala aber weder der Kampf gegen den Hunger zu gewinnen – jedes zweite Kind leidet an chronischer Unterernährung–, das Erziehungswesen und Gesundheitssystem zu finanzieren oder mehr Sicherheit zu organisieren. Vor allem bleibt der Staat ein Spielball der Eliten und der Finanzmacht des organisierten Verbrechens.

Aus all diesen Gründen haben sich die internationalen Geber in den vergangenen 15 Jahren darauf konzentriert, ein funktionsfähiges politischen System mitzugestalten, in dem die übermächtigen Eliten aus Militär und Wirtschaft an Regeln und Werte gebunden werden. Aber die Enttäuschung über die langsamen Fortschritte fallen zusammen mit einem internationalen Wandel. Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird künftig ganz erheblich der Logik von Freihandelsverträgen unterworfen sein. Ein Blick in das sogenannte Assoziierungsabkommen zwischen Europa und Zentralamerika, das kurz vor der Ratifizierung steht, macht eines deutlich: Demokratie und Menschenrechte werden als Ziele immer wieder vorgegeben, bleiben aber schwammig. Konkret werden die neuen Strategien der EZ nur dort, wo es um den Freihandel geht, in der offensichtlichen Annahme, dass dieser Handel die Eliten modernisieren wird. Aber was ist, wenn er sie nur in ihrer Position bestärkt?