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Der deutsche Hirte reist nach Mexiko und Kuba

Welche Folgen wird der Besuch des Papstes auf Kuba haben?

Lateinamerika hat Erfahrung mit "Hirtenbesuchen". Der polnische Papst Karol Wojtyla, politisch geprägt von dem Kampf gegen die damalige sowjetische Bürokratie, ihre Agenten vor Ort und ihren "Kommunismus", machte zwei solcher Besuche: Einen im sandinistischen Nicaragua und einen in dem von Fidel Castro regierten Kuba. Der erste Besuch erfüllte seinen Zweck voll und ganz: Er schaltete den sandinistischen und progressiven Flügel der Katholiken im Lande aus, stärkte dem konterrevolutionären Kardinal und der Rechten den Rücken und brachte auf lange Sicht Daniel Ortega zu einer Übereinkunft mit beiden (dem Erzbischof und der korrupten, antirevolutionären Rechten) und andererseits zum Bruch mit den progressiven Katholiken der Befreiungstheologie (wie Ernesto Cardenal und Miguel D'Escotto). Mit dem zweiten Besuch erreichte er Zugeständnisse und eine politische Öffnung von Seiten der kubanischen Regierung, was die Stellung der Katholischen Kirche als Dreh- und Angelpunkt der inneren politischen Opposition stärkte.

Ratzinger wird nach seiner Ankunft in Mexiko versuchen, die Rolle der kirchlichen Hierarchie und den Konservativismus im Land zu festigen und sich darum bemühen, dass der Staat die Erteilung von kirchlichem Religionsunterricht in den Schulen erleichtert.

In Kuba, dem Heimatland der Santeria, wo nicht nur die Evangelikalen, sondern auch der Agnostizismus und der Antiklerikalismus in den ärmeren Bevölkerungsschichten sehr stark präsent sind, hatte die Katholische Kirche nie viel Gewicht, ganz anders also als in Nicaragua, und diese Tatsache gewährt der Regierung viel größeren Handlungsspielraum der Kirche gegenüber. Zudem untergraben Hedonismus und der freie Markt das Fundament der Katholischen Kirche und obwohl der Vatikan das Aushängeschild für Ignoranz, Unterdrückung, soziale Ungleichheit und Ausbeutung ist, stellt er sich gegen Konsum, die Werte und die Ideologie des Finanzkapitalismus, der mit Fernsehen und Informationsmedien die religiöse Weltanschauung und die klassischen Familienstrukturen zerstört, für welche die Kirche steht. Es gibt also eine politische Gemeinsamkeit zwischen der kubanischen Regierung und einer lokalen Institution – der kubanischen Katholischen Kirche –, die klug genug ist, sich momentan darauf zu beschränken, ihre Netze zu spinnen und ideologische Unterstützung in den Kreisen zu säen, wo Ernüchterung und Konservativismus am stärksten sind.

Denn der Besuch des ehemaligen Inquisitionschefs, des deutschen Geistlichen auf dem Thron des Petrus, oder mit anderen Worten: Die Rundreise des Oberbefehlenden der einzig verbliebenen absolutistischen Monarchie von weltweitem Rang, Pyongyang ausgenommen, hat das klare Ziel, die kubanische Kirche zur Achse einer geduldeten konservativen und kapitalistischen Opposition zu machen, die unabhängig ist von gewaltbereiten Konterrevolutionären, Reaktionären aus Miami und dem US-Außenministerium, das eventuell die Unterstützung der Katholiken aus den USA hätte, falls auf der Insel die pro-zionistische und fundamentalistische protestantische Ultrarechte im Stile der "Tea-Party" triumphieren sollte.

Die ideologischen Zugeständnisse der pragmatischen kubanischen Regierung gegenüber dem Katholizismus sind enorm. Das Land ist weltlich orientiert und es besteht keinerlei Grund der "Erscheinung" der Jungfrau von Cobre zu gedenken, was vielleicht die Katholiken interessiert, die übrigen Kubaner aber nicht; und noch viel weniger Gründe gibt es, religiöse Manifestationen für einen Staatschef zu organisieren, der ein totalitärer Monarch und gleichzeitig Chef der ältesten und etabliertesten Bürokratien und der reichsten und am weitesten verbreiteten Kirche der Welt ist. Die Sozialisten Marx und Lenin und der Liberale Martí würden sich vermutlich in ihren Gräbern umdrehen, wenn sie von diesem unbedachten Gebrauch der Staatsräson wüssten.

Das zentrale Problem besteht darin, dass sich in Kuba derzeit ein starker Sektor von kleinen und mittelgroßen Eigentümern entwickelt, der in Kürze 40 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung beinhalten wird, und das alles auf dem Nährboden des Individualismus, der Akzeptanz wirtschaftskapitalistischer Werte und der politischen Demoralisierung der Arbeiter aufgrund einer Bürokratie, die jedweden Ausdruck unabhängiger Beteiligung im Keim erstickt. Wenn die kubanische Kommunistische Partei zur Ausbildung ihrer Entscheidungsträger, die für den Staat arbeiten, die theoretischen Überbleibsel einer dogmatischen Interpretation von Marx und Lenin durch stalinistische Bürokraten beiseite geschoben hat und jetzt auf Management-Seminare für Firmen zurückgreift, als wäre sie das TEC in Monterrey (Institut für Technologische und Höhere Studien Monterrey), dann ist es klar ersichtlich, dass jene, die für den Sozialismus als Synonym für Partizipation, Autonomie, Selbstverwaltung und Arbeiterselbstverwaltung kämpfen, gegen einen mächtigen pro-kapitalistischen Strom anschwimmen. Die Allianz zwischen den beiden Bürokratien, der staatlichen und der kirchlichen, ist eine reale Gefahr.

Zudem werden die Bürokraten und kubanischen Neokapitalisten in der Katholischen Kirche einen kostengünstigen Versammlungsort finden und einen "nationalen" oder sogar "nationalistischen" kulturellen Schutzwall. Der politisch-kulturelle Preis dieser staatlichen Operation lässt sich nicht durch die spärlichen Devisen decken, die diese Aktion nach Kuba bringen könnte. Stalin dachte, die Geschichte ließe sich betrügen, indem er den russischen Nationalismus förderte, die orthodoxe Kirche legitimierte und ihre Kaplane in die Streitkräfte integrierte, um dann höhnisch zu fragen, wie viele Divisionen dem Papst zur Verfügung ständen. Heute flattern dort, wo früher die Sowjetunion war, die Fahnen der Zaren.

Nichtsdestotrotz, Kuba ist nicht die Sowjetunion und in den Kubanern steckt eine alte anarchistische und links-liberale Tradition, die sie in gewisser Hinsicht immun macht gegen die Priester und weltlichen und religiösen Bürokraten sowie gegen ihre Versuche die Gedanken zu beherrschen und Dogmen einzupflanzen. Doch die Sache ist wichtig und das bedeutungsschwere Schweigen der Freunde Kubas zu dieser Angelegenheit ist ein weiterer plumper Fehler und ein echtes Verbrechen. Gegenüber dem, was in Kuba geschieht, kann niemand die Augen verschließen oder sich taub stellen. Unterlassene Hilfeleistung gegenüber jemandem, der in Schwierigkeiten steckt, ist eine Straftat.