Paraguay: Kalter Putsch für Konzerninteressen

Zu den wichtigen Akteuren des Umsturzes in Paraguay gehören die internationalen Agrarunternehmen

proteste_in_asuncion_1.jpg

Proteste in Asunción gegen der Sturz von Fernando Lugo
Proteste in Asunción gegen der Sturz von Fernando Lugo

Am frühen Abend des 22. Juni 2012 hat der paraguayische Senat den gewählten Präsidenten Fernando Lugo im Rahmen eines "politischen Gerichtsverfahrens" als unfähig zur Amtsausübung beurteilt und ihm das Amt des Staatspräsidenten entzogen. Nur wenig später wurde der ehemalige Vizepräsident Federico Franco als neuer Präsident Paraguays vereidigt. Franco ist Mitglied der "Radikalen Authentischen Liberalen Partei" (PRLA), mit der Lugos Regierung koalierte, bis diese dem Bündnis "Frente Guasú", dem Lugo angehört, vor wenigen Tagen die Unterstützung entzog. "Frente Guasú" erklärte unmittelbar darauf, die neue Regierung nicht anzuerkennen und bat um internationale Unterstützung.

Das in der paraguayischen Verfassung vorgesehene Instrument des "politischen Gerichts" kann nur mit der Zustimmung von zwei Dritteln der beiden Parlamentskammern – Abgeordnetenhaus und Senat – durchgeführt werden. Angesichts der neuen Kräfteverhältnisse im paraguayischen Parlament bestand daran nach dem Richtungswechsel der PLRA allerdings kein Zweifel mehr. Bereits während der Abstimmung versammelten sich Tausende Paraguayer vor dem Parlament zu einer friedlichen Demonstration zur Verteidigung des demokratischen Prozesses und ihres rechtmäßig gewählten Präsidenten.

Mit dem historischen Wahlsieg Lugos im Jahre 2008 verlor die rechtskonservative Colorado-Partei erstmals nach 60 Jahren, inklusive der Strössner-Diktatur, ihren Führungsanspruch. Vor der feiernden Menge in Asunción verkündete Lugo damals seinen "großen Willen für einen Wechsel". Vergangenen Freitag bezeichnete er die Vorkommnisse als "parlamentarischen Staatsstreich, bei dem die Argumente für ein politisches Gericht keinerlei Wert hatten und von den Verteidigern grundlegend zurückgewiesen wurden". Unmittelbar nach dem Senatsbeschluss erklärte er seinen Anhängern: "Sie haben nicht Lugo gestürzt, sie haben die Demokratie gestürzt." Er akzeptiere das Urteil jedoch, um gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern. Dennoch kam es nach der Urteilsverkündung sowohl in der Hauptstadt Asunción als auch in vielen anderen Städten Paraguays zu Protesten, die von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst wurden.

Zu den Akteuren des "kalten Putsches" zählen neben der Landoligarchie, dem Agrobusiness und der rechten Opposition auch US-amerikanische Saatgutunternehmen wie Monsanto und Cargill. Bereits am 21. Oktober 2011 gab Landwirtschaftsminister Cardozo, wie Franco Mitglied der liberalen PLRA, die genmanipulierten Baumwollsamen Bollgard BT des US-Saatgutkonzerns Monsanto Chemical Works zur kommerziellen Nutzung in Paraguay frei. Bollgard BT trägt u.a. das Gen einer giftigen Bakterie in sich, die für die Baumwollpflanze schädliche Larven töten soll und in Asien bereits zu schwerwiegenden Dürren geführt hat. Bauern- und Umweltorganisationen protestierten gegen die Entscheidung. Die für die Saatgutkontrolle zuständige Behörde SENAVE verweigerte dem US-Unternehmen die Lizenz, da die vorgeschriebenen Bewilligungen des Gesundheits- und Umweltamtes nicht vorlagen.

Monsanto, vertreten durch den mächtigen Interessenverband der Großgrundbesitzer und landwirtschaftlichen Unternehmen Unión de Gremios de Producción (UGP), protestierte in den folgenden Monaten gegen die Nichtzulassung des Baumwollsamens. Über die nationale Tageszeitung ABC Color, die durch den UGP kontrolliert wird, beschuldigte die Gewerkschafterin Silvia Martínez den Vorsitzenden von SENAVE, Lovera, der Korruption. Martínez ist die Ehefrau eines der Repräsentanten mehrerer landwirtschaftlicher Großbetriebe, die in der UGP vereinigt sind. Ihr Ehemann Roberto Cáceres vertritt unter anderem das Unternehmen Agrosán, das nach Angaben des Internetportals mdzol.com unlängst für 120 Millionen US-Dollar von dem Saatgut-Riesen Syngenta übernommen wurde.

In den folgenden Wochen wurden im Rahmen einer ABC Color-Medienkampagne gegen Lovera ebenfalls Korruptionsvorwürfe gegen die Gesundheitsministerin und den Umweltminister erhoben, die sich der Zulassung des Monsanto-Samens verweigert hatten. Fast die gesamte Sojaernte Paraguays geht auf genmanipulierte Samen zurück, der Anbau von Gen-Baumwolle soll zukünftig ausgebaut werden. US-Agrochemieunternehmen wie Monsanto und Cargill erhalten in Paraguay erhebliche Steuervorteile.

In Curuguaty, einer 200 km von Asunción gelegenen Kleinstadt, liegt das 70.000-Hektar-Anwesen des Großgrundbesitzers und Ex-Parteichefs der Colorado-Partei, Blas Riquelme. Riquelme hatte sich durch legale Tricks ein Territorium von 2.000 Hektar angeeignet, das dem paraguayischen Staat gehörte und seit wenigen Wochen von Landlosen besetzt wurde, um für die Unterteilung in Parzellen für Kleinbauern zu demonstrieren.

Auf Basis von Beschlüssen eines Richters und einer Staatsanwältin wurde das besetzte Gelände am 15. Juni 2012 durch ein Elite-Sondereinsatzkommando der Polizei gewaltsam geräumt. Nach Angaben von Bauernorganisationen eröffneten private Sicherheitskräfte des Anwesens das Feuer, die rechte Opposition macht die Besetzer selbst verantwortlich. Bei den Auseinandersetzungen starben sechs Polizisten und zwölf Bauern, 50 Personen wurden schwer verletzt.

Die Vorkommnisse lösten landesweite Proteste aus. Lugo entließ daraufhin Innenminister Carlos Filizzola und den Obersten Polizeichef Paulino Rojas. Am 21. Juni verkündete die Koalitionspartei PLRA ihren Austritt aus dem Regierungsbündnis und schloss sich der Forderung der rechten Opposition nach einem politischen Gericht über die Amtsführung des Präsidenten Lugos an, die von der Colorado-Partei angeführt wird. Der Ausgang dieser Abstimmung ist bekannt.

Seit Ende der Diktatur wurden nach Angaben der Nationalen Menschenrechtskoordination CODEHUPY 124 Bauern im Rahmen von Landkonflikten getötet. 85 Prozent des Landes befinden sich im Besitz von nur zwei Prozent der Bevölkerung, deren Ländereien hauptsächlich für den großflächigen Anbau von genmanipuliertem Soja genutzt werden, das für den Export bestimmt ist. Immer mehr Kleinbauern werden zugunsten ausländischer Unternehmen von ihrem Land vertrieben. Lugo hatte angekündigt, die ungerechte Landverteilung demnächst zu reformieren. Fast 20 Prozent des paraguayischen Territoriums gelten als "unrechtmäßig bewohnt" und könnten verstaatlicht werden. Die Reform wird von der Landoligarchie, dem Agrobusiness und der rechten Opposition scharf abgelehnt.