Proteste gegen Bildungsreform in Guatemala

Nach Chile und Kolumbien regt sich auch in Guatemala Widerstand gegen die von der Regierung geplante Reform des Bildungswesens. Seit Februar 2012 kämpfen Schüler und Studenten für ihre eigenen Vorschläge

Polizeipräsenz vor Schulen, Gewalt gegen Minderjährige, Einschüchterung von Exponenten der Studentenbewegung –die vom guatemaltekischen Erziehungsministerium angekündigte Bildungsreform schlägt hohe Wellen in dem mittelamerikanischen Land. Mit der Besetzung von Schulen und Protestmärschen versuchten die angehenden Lehrer das Erziehungsministerium an den Verhandlungstisch zu bringen, um über die vorgeschlagenen Reformen der Lehrerausbildung zu diskutieren.

Seitdem im Februar bekannt wurde, dass das Erziehungsministerium eine schon lange angekündigte Bildungsreform vorantreiben will, forderten die Betroffenen mehr Mitspracherechte. Auf diese Anfragen reagierte das Bildungsministerium in den letzten Monaten in keiner Weise.

Seit dem 14. Mai besetzen Studenten im ganzen Land ihre Schulen, es kam zu friedlichen Protestkundgebungen. Doch die Erziehungsministerin ging nicht auf die Anliegen der Schüler ein. Erst auf eine Straßenblockade am 5. Juni reagierte die Polizei – mit Gewalt und Tränengas. Sechs noch minderjährige Studenten wurden bei dieser Aktion durch die Sicherheitskräfte verletzt.

Jetzt konnten Politik und Öffentlichkeit die Forderungen der Protestierenden nicht mehr ignorieren. Am 12. Juni kam es zu einem ersten Treffen von Studenten, Lehrpersonen und Eltern mit Vertretern des Bildungsministeriums. Die dort erzielte Übereinkunft wurde schon nach wenigen Tagen von beiden Seiten wieder als ungültig erklärt. Die Regierung von Otto Pérez Molina forderte die Studenten auf, die Schulen wieder freizugeben und setzte ihnen den 20. Juni als letzte Frist. Danach würden, so Pérez Molina, die Schulen geräumt werden.

Trotz eines Großaufgebots der Polizei und offenen Drohungen des Präsidenten konnte eine gewaltsame Räumung der drei besetzten Schulen in Guatemala–Stadt im letzten Moment und nach langen Verhandlungen abgewendet werden. Als Resultat dieser Verhandlungen wurde am 21. Juni zwei Institute in der Hauptstadt wieder freigegeben. Weitere 26 Schulen im ganzen Land bleiben aber besetzt. Am 2. Juli kam es bei der Eröffnung von Schulräumen, eine Maßnahme zur Umgehung der Besetzungen, zu wilden Protesten. Die anwesende Erziehungsministerin wurde eingeschlossen und konnte den Ort nur noch mit Hilfe der Polizei verlassen.

Das Kernstück der Erziehungsreform ist auch der Teil, welcher am meisten Widerstand hervorruft. Statt wie heute drei, soll die Ausbildung zum Lehrer in Zukunft fünf Jahre dauern. Doch die Studenten kritisieren, dass diesen Reformen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen fehlten. Eine längere Ausbildungsdauer und zwei zusätzliche Jahre Vollzeitstudium könnten sich viele Studenten nicht leisten und finanzielle Unterstützung oder Stipendien sieht der Reformentwurf nicht vor.

Für die Gegner der Reform sind andere Änderungen wichtiger: Nach wie vor gibt es vor allem auf dem Land viel zu wenig Schulen. Gleichzeitig finden von den jährlich 20.000 neu ausgebildeten Lehrern bloß 4000 eine Stelle. Bevor über eine Umstrukturierung der Lehrerausbildung nachgedacht wird, müssten die Ausgaben für die Bildung erhöht werden. Laut dem aktuellen Gesetz müsste Guatemala 35 Prozent des Staatshaushaltes für Bildung und Erziehung aufwenden. Zur Zeit liegen diese Ausgaben bei sieben Prozent.

In der geplanten Form und zum aktuellen Zeitpunkt ist die vorgesehene Bildungsreform vor allem ein Dienst für die privaten Bildungsinstitutionen Guatemalas. Um dieser Tendenz zur Privatisierung etwas entgegen zu setzen braucht es in der Lehrbildung – so hat es einer der Sprecher der Schüler ausgedrückt – nicht so sehr Quantität, sondern eine höhere Qualität.

Diese Anliegen kamen auch im Vorschlag zur Bildungsreform der Schüler zum Ausdruck, den sie am 10. August dem Bildungsministerium übergaben. In diesem Dokument, das Resultat einer nationalen Versammlung der Studenten von Anfang Juli, beharrten sie auf der dreijährigen Ausbildungsdauer, forderten aber dafür Verbesserungen bei der Infrastruktur, eine Spezialisierung der Lehrerbildung und ein stärkeres Gewicht auf die Didaktik, Wissenschaft und neue Technologien.

Der neue Entwurf für die Reform, welchen das Bildungsministerium am 16. August nach Ablauf der Anhörungsfrist veröffentlichte, ging auf diese Vorschläge aber nicht ein. Die verantwortliche Arbeitsgruppe übernahm laut Kritikern keinen einzigen der 3500 eingegangenen Änderungsvorschläge. Vor allem hielt sie weiterhin an der Verlängerung der Ausbildungsdauer auf fünf Jahre fest.

Die Studenten wiesen den neuen Entwurf denn auch sofort zurück. Sie forderten stattdessen die Reform auf der Basis ihres Vorschlags zusammen mit dem Entwurf des Bildungsministeriums voranzutreiben. Der Konflikt ist also noch lange nicht beigelegt. Weiterhin kommt es zu Schulbesetzungen und zu Straßenblockaden im ganzen Land, die von den Sicherheitskräften zunehmend rücksichtslos wieder geräumt werden.