Des kleinen Drachen Hinterland

In keiner Region hat die Republik China (Taiwan) so viele diplomatische Verbündete wie in Mittelamerika - ein kleiner historischer Überblick über eine weitgehend unbekannte Allianz

Die Republik China, vor allem bekannt unter seinem Namen Taiwan, ist international isoliert. Lediglich 23 international allgemein anerkannte Staaten erkennen Taiwan anstatt der Volksrepublik China an. Von diesen Staaten liegen zwölf in Mittel- und Südamerika. Das macht das westpazifische Taiwan zu einem diplomatischen und wirtschaftlichen Spieler kleinerer Dimension in dieser Region.

Im Jahr 1949 endete der Chinesische Bürgerkrieg mit dem Rückzug der nationalchinesischen Regierung auf die Insel Taiwan weitgehend. "Ich werde auf das chinesische Festland zurückkehren und die Kommunisten vernichtend schlagen", verkündete der Präsident der Republik China, Tschiang Kai-schek.1 Über das Festland hatten die chinesischen Kommunisten unter Mao Tse-tung ihre Kontrolle etablieren können und Mao rief am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China aus. Für beide Seiten war der Krieg jedoch nicht vollständig beendet; die nationalchinesische Regierung in Taipeh ließ 1950 die südchinesischen Festlandstädte "fast unablässig" bombardieren.2 Diplomatisch verlief die Konfliktlinie international eindeutig an den Blockgrenzen: Während die realsozialistischen Staaten Europas die VR China anerkannten, blieb die Republik China die einzige international anerkannte chinesische Regierung. Lateinamerika unterhielt weiterhin Beziehungen zur Republik China.

Taipeh behielt auch bis 1971 einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und war somit die gesamten 1950er und 1960er Jahre ein international wichtiger Spieler.3 Ideologisch versuchte die Regierung Tschiang Kai-schek mit der Gründung der Antikommunistischen Weltliga (World Anti-Communist League, WACL) international für Aufsehen zu sorgen. Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren baute die politische Führung Taiwans durch die WACL ihre Beziehungen mit dem lateinamerikanischen Raum aus. Ein prominentes Mitglied dieser Organisation war der argentinische Juntachef Jorge Rafael Videla, der 1980 auf einer in Argentinien stattfindenden Konferenz der WACL eine Rede hielt.

Einen tiefgreifenderen Einfluss hatten die Republik China, die World Anti-Communist League und das Political Warfare Cadres Academy in Taipeh auf das politische System El Salvadors. Der Gründer der ARENA-Partei, Roberto D’Aubuisson, hatte einen Kurs auf der Political Warfare Cadres Academy auf Taiwan absolviert und organisierte wahrscheinlich seine rechte Partei nach dem Vorbild der taiwanesischen Kuomintang.4 Weitere prominente Mitglieder der WACL umfassten Contras in Nicaragua, die bolivianische Nationaldemokratische Aktion, die guatemaltekische Militärpartei MLN, den paraguyanaischen Diktator Alfredo Stroessner und die ultrarechte Bewegung Freies Costa Rica (MCRL).

Neben dem Versuch des Brückenschlagens über ideologische Gemeinsamkeiten etablierte die Republik China in den 1960er Jahren eine Entwicklungshilfepolitik, die bis heute für einige mittelamerikanische Staaten wichtig ist. So entsandte Taiwan Hilfsmissionen im landwirtschaftlichen Bereich sowie Arztmissionen. Nach dem Ausschluss der Republik China aus den Vereinten Nationen 1971 verlagerte sich der Fokus der taiwanesischen Entwicklungshilfe von Afrika auf Lateinamerika.5 Ein ideologischer Pragmatismus gegenüber den letzten diplomatischen Verbündeten der Republik China führte außerdem dazu, dass Taiwan auch der kubanischen Außenpolitik beistand. So kam es, dass in den 1990er Jahren Taiwan auch die Löhne kubanischer Ärzte auf einer Hilfsmission in Gambia (das damals Beziehungen zu Taipeh unterhielt) bezahlte.6

Neben der Entwicklungshilfepolitik entwickelte sich die Vergabe von Krediten und Zuschüssen in den 1980er Jahren zu einem wichtigen Mittel der taiwanesischen Außenpolitik. Beispielsweise erhielt Nicaragua nach der Abwahl der Sandinisten 1990 einen Kredit über 100 Millionen US-Dollar, der mit der Anerkennung der Republik China durch Managua einherging.7 Doch auch Beijing nutzte dieses Mittel auf dem diplomatischen Schachbrett Mittelamerikas und der Karibik. 1997 offerierte die Volksrepublik China der Inselrepublik Saint Lucia einen Kredit über eine Million US-Dollar, sollte der Inselstaat Taiwan die diplomatische Anerkennung verwehren und zu Peking wechseln.8

In den 1990er Jahren entwickelte sich eine neue politische Bewegung in Taiwan, die die Eigenständigkeit der Insel betont und beispielsweise eine eigene Mitgliedschaft in der UNO unabhängig von Festlandchina anstrebt. Diplomatische Rückendeckung für diese Politik kam erneut auch aus dem mittelamerikanischen Raum. Während der 53. Sitzung der UN-Vollversammlung sprachen sich 25 Staaten für die Aufnahme Taiwans als einfaches UN-Mitglied aus, darunter waren Belize, Costa Rica, Dominica, die Dominikanische Republik, El Salvador, Grenada, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Paraguay, Saint Christopher und Nevis sowie Saint Vincent und die Grenadinen. Nahezu die Hälfte der Staaten der Pro-Taiwan-Lobby kamen somit aus dem lateinamerikanischen und karibischen Raum. Im August 2000 setzten Repräsentanten von Honduras, Nicaragua, St. Vincent und den Grenadinen sowie afrikanischen und südpazifischen Staaten einen Brief auf, der die Aufnahme Taiwans als UN-Mitglied forderte.9

Noch 1971 unterhielten 68 Staaten diplomatische Beziehungen mit der Republik China und gleichzeitig erkannten 53 Staaten die Volksrepublik an. 1990 hatte sich das Verhältnis auf 28 zu 139 verändert und heute erkennen lediglich 23 Staaten Taiwan als einzige rechtmäßige Vertretung Chinas an. Die einzige Region der Weltpolitik, in der Taiwan größeren Rückhalt hat, ist Mittelamerika.

Heutzutage tritt Taiwan in Mittel- und Südamerika als Entwicklungshilfegeber10, diplomatischer Partner und wirtschaftlicher Akteur auf. Nach dem Erdbeben vor der Küste Haitis im Jahr 2010 entsandte Taiwan ein Rettungsteam auf die karibische Insel und versprach Hilfsleistungen von fünf Millionen US-Dollar sowie 200 metrische Tonnen Reis.11 Nach dem Staatsstreich 2009 gegen den rechtmäßig gewählten Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, war die Regierung Taiwans eine der wenigen, die die Putschregierung von Roberto Micheletti anerkannte.12 Aufgrund der mangelnden internationalen Anerkennung blieb der Republik China jedoch realistischerweise kaum eine andere Wahl. Wirtschaftlich bedeutende Beziehungen unterhält Taiwan mit der Dominikanischen Republik.13 Das Land auf der Ostseite der Insel Hispaniola hat sowohl Freihandelsverträge mit den USA als auch mit der Republik China abgeschlossen und ist deswegen ein wichtiger Wegpunkt taiwanesischer Waren auf dem Weg in die Vereinigten Staaten.

International weitgehend isoliert ist und bleibt wohl auch auf absehbare Zeit die Regierung der Republik China (Taiwan) ein diplomatischer, entwicklungshilfepolitischer und wirtschaftlicher Akteur in Lateinamerika und der Karibik.

  • 1. Jede Sonne geht einmal unter, Der Spiegel 10/1950. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44447684.html
  • 2. Alexander Troche: "Berlin wird am Mekong verteidigt": Die Ostasienpolitik der Bundesrepublik in China, Taiwan und Süd-Vietnam, 1954-1966, Düsseldorf 2001, S. 44.
  • 3. Bei der UN-Vollversammlungsresolution 2.758, die Taiwan den Sitz im UN- Sicherheitsrat abnahm, votierten die Staaten des lateinamerikanischen Raums unterschiedlich. Brasilien beispielsweise sprach sich dagegen aus, Mexiko, Chile und Peru dafür und Kolumbien sowie Argentinien enthielten sich.
  • 4. Thomas Bodenheimer, Robert Gould: Rollback! Right-Wing Power in U.S. Foreign Policy, Brooklyn 1989, S. 76.
  • 5. Gerald Chan: Taiwan as an Emerging Foreign Aid Donor: Developments, Problems, and Prospects, in: Pacific Affairs, Jg. 70, Nr. 1 (1997), S. 48 (37-56).
  • 6. Ian Taylor: Taiwan's Foreign Policy and Africa: The limitations of dollar diplomacy, in: Journal of Contemporary China, Jg. 11, Nr. 30 (2002), S. 131 (125-140).
  • 7. Gerald Chan: Taiwan as an Emerging Foreign Aid Donor: Developments, Problems, and Prospects, in: Pacific Affairs, Jg. 70, Nr. 1 (1997), S. 51 (37-56).
  • 8. Ian Taylor: Taiwan's Foreign Policy and Africa: The limitations of dollar diplomacy, in: Journal of Contemporary China, Jg. 11, Nr. 30 (2002), S. 134 (125-140).
  • 9. Ian Taylor: Taiwan's Foreign Policy and Africa: The limitations of dollar diplomacy, in: Journal of Contemporary China, Jg. 11, Nr. 30 (2002), S. 137 (125-140).
  • 10. Vgl. David X. Noack: Taiwan hilft Belize bei Ernährungssicherheit, amerika21.de, 11.03.2012. http://amerika21.de/meldung/2012/03/49340/belize-taiwan-blaubarsche
  • 11. More aid, relief sent for Haitian quake victims, The China Post, 15.01.2010. http://www.chinapost.com.tw/taiwan/foreign-affairs/2010/01/15/240841/More-aid.htm
  • 12. Trotzdem verurteilte die taiwanesische Regierung den Putsch. Vgl. Dennis Engbarth: Taiwan foreign minister says Honduras 'coup' should be 'condemned', Taiwan News, 01.07.2009. http://www.etaiwannews.com/etn/news_content.php?id=991380
  • 13. Vgl. David X. Noack: Die Außenpolitik der Dominikanischen Republik, amerika21.de, 18.07.2011. http://amerika21.de/analyse/35983/die-aussenpolitik-der-dominikan