Argentinien / Wirtschaft

Ein Jahr nach der Verstaatlichung der Erdölgesellschaft YPF

Argentinien ringt mit der Energiebranche. Die Förderung sinkt weiterhin und Energie-Importe belasten den Haushalt

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Förderanlage mit YPF-Tankwagen
Förderanlage mit YPF-Tankwagen

Buenos Aires. Vergangene Woche erhielten verschiedene Firmen des argentinischen Gassektors eine E-Mail, in der sie aufgefordert wurden, dem Planungsministerium (Ministerio de Planificación Federal, Inversión Pública y Servicios) eine Abrechnung über ihre Geschäftsaktivitäten für die folgenden zwei Semestern vorzulegen. In der Email wurden detailliere Informationen über die Menge der angebohrten Ölquellen, die technische Ausrüstung, die geplanten Investitionen sowie die erwartete Produktion für Erdöl und -gas gefordert. Die E-Mail wirkt wie ein verzweifelter Versuch der argentinischen Regierung, die sinkenden Öl- und Gasproduktionen wieder in den Gang zu bekommen. Denn seit der Verstaatlichung der Erdölgesellschaft YPF steckt der argentinische Staat in einem Dilemma.

Etwas über ein Jahr ist es her, dass die Regierung unter Cristina Fernández de Kirchner die Erdölgesellschaft YPF verstaatlichte. Am 3. Mai 2012 wurden 51 Prozent der Aktien von der damaligen spanischen Besitzerfirma Repsol übernommen. Das löste nicht nur einen bis heute andauernden Rechtsstreit mit Repsol aus, sondern entfachte eine weltweite Diskussion. Präsidentin Kirchner blockte jegliche Gegenstimmen mit dem Argument ab, Repsol habe zu wenig in die Förderung neuer Quellen investiert, die Erdölförderung in Argentinien bliebe unter ihrem Möglichkeiten. Deswegen müsse der Staat in hohem Maße Gas und Öl importieren. Weg von den Energieimporten, hin zur Energie-Selbstversorgung, so das Credo Kirchners.

Das Gesetz zur Treibstoffsouveränität (Ley de Soberanía Hidrocarburífera), welches die Verstaatlichung YPFs nach sich zog, kam bei der argentinischen Bevölkerung überwiegend gut an. Die letzten Jahrzehnte gelten gemeinhin als verloren, was die umfassende Förderung von Öl und die gerechtere Verteilung der Einnahmen angeht. Doch ist die argentinische Bevölkerung heute weit davon entfernt, von den Renditen der Energieproduktion zu profitieren. Ganz im Gegenteil: Die Energie-Importe nehmen horrende Anteile der Staatsausgaben in Anspruch, belasten die Wirtschaft und reißen den Staat tiefer in den Schuldensumpf.

Knapp ein Jahr nach der Verstaatlichung ist die problematische Energiesituation unverändert. Die Ölproduktion ist laut Daten des argentinischen Energie-Sekretariats im ersten Quartal 2013 um 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen, die Gasproduktion um 7,6 Prozent. Die Ziffern der Energie-Importe hingegen steigen unhaltbar an. In diesem Jahr wird mit Ausgaben in Höhe von 15.000 Millionen US-Dollar gerechnet. Gelder, die zum Fenster hinausgeworfen scheinen, angesichts der Tatsache, dass Argentinien unter die 40 Länder mit den höchsten Öl- und Gas-Reserven fällt. Der argentinische Staat könnte die Millionen dringend für andere Bereiche gebrauchen, würde es ihm gelingen, die nationale Öl- und Gasproduktion hochzufahren und damit die von Präsidentin Kirchner programmierte Energie-Selbstversorgung zu schaffen. Doch woran hapert es bei dem Projekt Selbstversorgung?

Zunächst einmal beträgt der Anteil der verstaatlichten Erdölgesellschaft durchschnittlich 35 Prozent bei den Erdöl- und Erdgasgeschäften. Der Rest befindet sich weiterhin fest in Händen ausländischer Firmen wie Shell, Pan American Energy, Petrobras, Chevron. Während bei der staatlichen YPF die Gas- und Öl-Produktion um 2,19 Prozent und 1,33 Prozent fiel, sind es bei PAE für Erdöl und Erdgas um die 12,5 Prozent, Petrobras senkte die Erdgas-Produktion um 12,53 Prozent, Chevrons Erdöl-Produktion sank um 19 Prozent.

Die Ausbeutung der Energiequellen scheint sich allmählich zu erschöpfen, so ein Erklärungsansatz. Manche Unternehmen machen vorangegangene Proteste der Gewerkschaften für die sinkende Produktion verantwortlich. Doch die Ursache ist eher in der desolaten wirtschaftlichen Lage Argentiniens zu suchen:

Die hohen Energie-Importe ziehen einen Rattenschwanz an wirtschaftlichen Problemen nach sich. Die negative Handelsbilanz, sprich Importe sind größer als Exporte, führt zu einer Devisenknappheit, einem Defizit an Dollar, und daraus folgend zu einer ansteigenden Inflation. Das macht die Produktion von Erdöl und Erdgas für private Firmen unattraktiver. Dazu kommt die seit 2003 geltende Steuer auf Erdölexporte, sowie eine festgelegte Preis-Obergrenze für den Inlandsmarkt.

Die Maßnahmen sollten, zum Wohle der argentinischen Bevölkerung, den inländischen Vertrieb von Erdöl fördern und gleichzeitig die Konsumenten schützen. Sie führten jedoch dazu, dass private Erdölfirmen ihre Produktion wie auch die Investitionen zurückfuhren. Sie behaupten unter den gegenwärtigen Umständen ließen sich in Argentinien kaum noch Gewinne zu erzielen. Um die Energie-Nachfrage zu decken, muss Argentinien zunehmend Erdöl und -gas importieren – ein Teufelskreis. Eine weitere Folge ist das Fernbleiben von Investoren, die der Staat so dringend benötigt, um die veraltete Technologie aufzurüsten und neu entdeckte Lagerstätten auszubeuten. Es sind nicht nur die geringen Gewinnaussichten, die Investoren abschrecken, sondern auch die Enteignung von Repsol, die ein Eintritt in den argentinischen Markt als zu unberechenbar erscheinen lässt, heißt es bei Wirtschaftsanalysten.

Energie-Selbstversorgung bedeutet nicht finanzielle Unabhängigkeit Argentiniens bei der Erschließung der Energiereserven. Das musste die Regierung Kirchner schmerzlich erfahren. Neben Investoren für die herkömmliche Energieproduktion, suchte sie händeringend nach Geldgebern für die bis zu 800 Billionen Kubikfuß großen Schiefergasvorkommen. Nun scheint sie den US-Konzern Chevron dafür gewonnen zu haben. Das ökologisch fragwürdig Verfahren zur Energiegewinnung könnte dem argentinischen Staat finanzielle Erleichterung schaffen, doch bis dahin wird noch viel Zeit vergehen.

Solange heißt es weiterhin die inländischen Energieproduzenten mit Zuckerbrot und Peitsche zu mehr Produktion zu bewegen: Der Sekretär des Planungsministeriums Axel Kicillo traf sich Anfang des Jahres mit Vertretern der Gasindustrie und bot ihnen an, jedes neu geschöpfte Gasvolumen mit 7,50 US-Dollar pro Million BTU (British thermal units) zu finanzieren. Zum Vergleich: 2011 wurden auf dem Gasmarkt 2.50 US-Dollar pro Million BTU gezahlt. Neben diesen Subventionen wurden weitere Mechanismen institutionalisiert.

Ende Mai wurde ein Abkommen zur Treibstoffsouveränität zwischen den Bundesstaaten und der Regierung geschlossen. Dazu wurde ein Komitee zur Technischen Befolgung ( Comité Técnico de Seguimiento) innerhalb der Organisation der Treibstoffproduzierenden Bundesstaaten (Organización Federal de Estados Productores de Hidrocarburos) (Ofephi) gegründet, welches die Umsetzung des Abkommens kontrollieren soll. Eine der ersten Amtshandlungen dieses Komitees sind nun besagte E-Mails an die Gasfirmen. Zeitgleich erwähnte das Planungsministerium die Möglichkeit, Sanktionen bei zu geringer Produktion zu verhängen. Ob es was bringt, wird die Zukunft zeigen. 


Quellen

El ojo sobre el yacimiento (Pagina12)

El Gobierno vuelve a presionar a las petroleras para que suban la producción de gas (La Nación)

Fuerte caída en la producción de petróleo y gas durante la primera parte del año (La Nación)