Mit der FAZ ist kein Staat zu machen

Korrespondent Josef Oehrlein sieht in Venezuela vor lauter welkem Gemüse die Veränderungen nicht

faz.jpg

Ausschnitt aus dem FAZ-Beitrag
Ausschnitt aus dem FAZ-Beitrag

FAZ-Korrespondent Josef Oehrlein hält nicht viel von dem Emanzipationsprozess in Venezuela, für ihn produziert die "Bolivarianische Revolution" nur welke Zwiebelpflanzen. Trotzdem ist sein Bericht "Eingepferchte Nomaden" lesenswert. Erstens ist er aus Buenos Aires nach Caracas geflogen und leistet sich damit einen Luxus, auf den viele "Venezuela-Experten" anderer Medien verzichten. Zweitens greift er nicht auf den blauen dritten Band des Dudens zurück, um Staatschef Hugo Chávez "geifern", "wettern" oder "schwadronieren" zu lassen, wie dies besonders Spiegel Online gerne mal macht. Drittens, und das ist der wichtigste Punkt, lässt er aus, was nicht in sein Venezuela-Bild passt.

Dieses sei "ein riesiger Flickenteppich aus Parallelinstitutionen, mit denen bestehende staatliche Einrichtungen systematisch unterminiert wurden", urteilt Oehrlein: "Chávez verwirkliche seine politischen Ideen, wie ihm seine Gegner vorwerfen, gleichsam improvisatorisch am liebsten mit ‚Missionen’ – Programmen, Projekten und Initiativen, die aus propagandistischen Gründen immer wieder ihre Namen ändern und von denen kaum eine von Dauer ist."

Der Schwarze Peter wird der Staatsführung zugeschoben, ohne die Motivation dieser Politik zu benennen. Die Sozialpolitik der venezolanischen Regierung wurde nach Chávez’ Antritt von den traditionellen Institutionen boykottiert und auch sonst hielt sich der Wille zur neuen Umverteilungspolitik in Grenzen. Als Chávez das Ärzte-Programm Barrio Adentro startete, meldeten sich nach Angaben von Programmverantwortlichen nur wenige venezolanische Mediziner zum Dienst in den Armenvierteln. Nachdem tausende kubanische Ärzte ins Land kamen, wetterte die venezolanische Oberschicht gegen die "Kubanisierung" und, schon dabei, gegen den Aufbau eines "Parallelstaates".

Ursache und Wirkung wird in der bürgerlichen Presse auch mal gerne in Fall von Kuba verwechselt. Sie akzeptiert die US-Blockade, um die Folgen der kubanischen Regierung anzulasten.

Und während der Kollege Oehrlein im Zentrum von Caracas frischem Lauch nachtrauert, entgeht ihm, was sich in dem Land wirklich verändert hat: die Ermöglichung der politischen Teilhabe eines zuvor ausgeschlossenen Teils der Bevölkerung durch Institutionen der lokalen Partizipation, die Demokratisierung der Medienlandschaft, die Beseitigung von extremer Armut durch gezielte "parallelstaatliche" Sozialprogramme und die statistisch im Gini-Koeffizienten ausgedrückte Reduktion sozialer Ungleichheit bei gleichzeitig steigendem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf durch die demokratisch legitimierte Umverteilung des Ölreichtums.