Wieder eine erwartbare Überraschung

Die Auslandsberichterstattung lag auch bei diesen Wahlen mit ihren Prognosen daneben. Warum nur?

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Tendenziöse Berichterstattung auf welt.de (Bildschirmkopie)
Tendenziöse Berichterstattung auf welt.de (Bildschirmkopie)

Die Auslandsberichterstattung gibt sich wieder einmal überrascht. "Überraschend hoch" sei die Wahlbeteiligung gewesen, "überraschend" gesiegt habe der amtierende Präsident Hugo Chávez. Überrascht sind sicher auch die Leserinnen und Leser von taz bis FAZ. Denn die Korrespondenten und Auslandsredakteure hatten bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wenn nicht sogar einen Sieg von Herausforderer und Bürgersöhnchen Henrique Capriles Radonski vorausgesagt.

Diese Prognosen hatten allerdings nichts mit der Realität zu tun, sondern entsprachen bestenfalls den persönlichen Vorlieben der Journalisten - schlimmstenfalls folgen sie, ohne die Situation selber einschätzen zu können, dem von den Agenturtexten vorgegebenen Mainstream. Und der heißt: Chávez runterschreiben. Allen Beobachtern, die die Umfragen der zahlreichen Meinungsforschungsinstitute in Venezuela ernst nahmen, war seit Wochen klar, dass die Venezolanerinnen und Venezolaner Hugo Chávez wiederwählen werden - mit mehr oder weniger großem Vorsprung.

Nun müssen die Auslandsberichterstatter ihrem zahlenden Publikum und möglicherweise auch sich selbst erklären, warum sie die Mehrheitsverhältnisse in Venezuela so eklatant falsch einschätzen. Der Grund ist offensichtlich: Seit Jahren betreibt die deutsche Presse Chávez-Bashing. "Immer diktatorischer", "zunehmend autokratisch", "wirtschaftliche Katastrophe", "Politclown", "Tropencaudillo" - um diese Schlagwörter gruppieren Vogt, Stausberg & Co. willkürlich passende Ausschnitte der Realität in Venezuela. Wer jahrelang predigt, die Bilanz der bolivarischen Revolution sei "vernichtend", kann seinen Leserinnen und Lesern nun kaum begreiflich machen, weshalb die Mehrheit der Venezolaner diesen Mann wählt.

Dass die Mehrheit der venezolanischen Bevölkerung sich keineswegs irrational verhält, sondern gute Gründe hat, sich mit der bolivarischen Revolution zu identifizieren, konnte das deutsche Publikum nur erfahren, wenn es intensiv selber recherchiert und alternative Nachrichtenangebote wie amerika21.de aufsucht. Die skandalöse Selbstbereicherung und Korruption von Sozial- und Christdemokraten, ihre katastrophale Wirtschaftspolitik, die krasse soziale und rassistische Ausgrenzung, die brutale Repression - eben die ganze Normalität des real existierenden Kapitalismus in Lateinamerika und anderswo kommt in der selbst ernannten Qualitätspresse nicht vor.

Die enormen Leistungen der Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik, die unzähligen erfolgreichen Infrastrukturprojekte, eine vorbildliche Technologiepolitik - vieles was die Regierung Chávez seit 1998 erreichte, wurde dem deutschen Publikum, wenn überhaupt, unter dem Aspekt des Klientelismus und der Korruption verkauft. Ganz nach der Logik der alten venezolanischen Eliten, die Sozialpolitik nur als Form von Stimmenkauf und Wirtschaftspolitik nur als Bereicherung kennen.

Der vielleicht wichtigste Punkt ist nicht unmittelbar materieller Natur: Dass ein Regierungschef die seit Jahrhunderten unterdrückte und ausgegrenzte Bevölkerungsmehrheit - Schwarze, Indigene, traditionelle Unterschichten in all ihren Formen und Farben - als gleichwertige Bürger respektiert, ihnen eine Stimme zugesteht und sich sogar deutlich als einer von ihnen zu erkennen gibt, diese symbolische Anerkennung hat Chávez von Anfang an die Herzen der Mehrheit zugetragen. Und den Hass der alten Eliten. Denn sie hassen und verachten die Mehrheit der Bevölkerung. Sie geben Unmengen von Geld aus, um sich zu bleichen und westlich schön zu operieren, um einen albernen westlichen Mittelklasse-Life-Style zu kopieren. Für ihre Wertvorstellungen ist jemand wie Chávez einfach nur eine Beleidigung.

Diese Wertvorstellungen teilen sie mit den Meinungsführern der Bezahlpresse. Nach diesem erneuten Vollkontakt mit der Realität werden deren Verleumdungen, wie schon bei den Wahlgängen 2004, 2005, 2006, 2008 und 2009, für einige Wochen abflauen. Für ein paar Tage müssen deutsche Journalisten Energie aufwenden, um die kognitiven Dissonanzen zu glätten, die sie bei ihrem Publikum verursacht haben. Aber dann werden sie schnell zur gewohnten Linie zurückfinden. Schon bald, spätestens zu den Wahlen in Ecuador im Februar 2013, wird sich das gewohnte Spiel wiederholen. Es bleibt nur zu hoffen, dass bis dahin einige Leserinnen und Leser in Deutschland die Konsequenzen aus der "Glaubwürdigkeitskrise" der Medien gezogen und ihre private Subventionierung lästiger Ideologieproduktion eingestellt haben.

Viva Zeitungssterben!!


Videotip (Spanisch): Hugo Chávez beschäftigt sich mit der Auslandsberichterstattung (2008)

Presidente Chávez confrontó a periodista Patricia Janiot de CNN