Ecuador / Medien

Ecuador, Lügen und schlechter Journalismus

Anmerkungen zur Presse-Berichterstattung über Ecuador in Deutschland

Bei einem Großteil der Nachrichten über Ecuador in unseren Medien handelt es sich entweder um Zeitungsenten (siehe z.B. Tobias Käufer, "Yasuni in Ecuador: Das Regenwald-Projekt ist gescheitert", Der Spiegel, 17.12.2012) oder die Artikel wimmeln nur so von Fehlern. Dafür gibt es sowohl strukturelle als auch kulturelle Gründe.

Ecuador ist ein kleines Land, über das wenig bekannt ist. Die Korrespondenten sind meist nicht vor Ort. Oft fehlt den Journalisten die Muße, sich in die Materie einzuarbeiten. Bestimmte Eigenheiten der ecuadorianischen Kultur kommen erschwerend hinzu. Traditionell existiert in Ecuador eine hohe Toleranzschwelle gegenüber Lügen in der Politik. Präsident Correa findet dazu deutliche Worte:

"Das ist eines der größten Übel unserer Gesellschaft, die Toleranz gegenüber der Lüge, die Toleranz gegenüber der Korruption. (…) Der Kampf gegen die Korruption ist eine Aufgabe nicht nur für die Regierung, sondern für das ganze Volk, und sie wird eliminiert werden, sobald die Korrupten mit moralischen, sozialen Sanktionen zu rechnen haben. (…) Desgleichen mit den Lügnern. (…) Wenn wir es nicht schaffen, diese soziale Akzeptanz der Lüge zu überwinden, wird es keinen Fortschritt im Land geben (…). Die Toleranz gegenüber der Lüge ist eines der Dinge, die uns in der Unterentwicklung halten."1

Zweifellos hat die Revolución Ciudadana hier bereits einen kulturellen Wandel eingeleitet. Aber solche Veränderungsprozesse brauchen viel Zeit. Und die Jahrzehnte der Vernachlässigung, von denen sich das Bildungswesen nun in raschem Tempo erholt, sorgen weiterhin dafür, dass es für Politiker, vor allem in Sektoren und gegenüber Bevölkerungsgruppen mit geringem politischem Bewusstsein, praktisch keine Hemmschwelle gibt, wenn es um den Einsatz von Lügen zum eigenen Vorteil geht.

Das gleiche gilt für die nationalen Medien, die sich im Besitz von nur sechs der reichsten Familien des Landes befinden und direkt der Verteidigung von deren ökonomischen und politische Interessen untergeordnet sind, oft auf Kosten der Wahrheit. Professionalismus ist praktisch unbekannt.

Ein Pressegesetz, das z.B. Regeln für Gegendarstellung und Richtigstellung festlegen würde, gibt es nicht. Die Verleumdungsgesetzgebung ist sehr spezifisch: solange der Journalist die falschen Anschuldigungen nur schwammig genug hält und vermeidet, jemanden eines konkreten Verbrechens zu bezichtigen, kann ihm nichts passieren.

Entsprechend niedrig ist das Niveau der ecuadorianischen Presse, deren mit Lügen und Halbwahrheiten gespickte Artikel in vielen Fällen ungeprüft als Quellen für die Berichterstattung der internationalen Medien dienen.

Ein gutes Beispiel für die Übernahme von falschen Informationen in der europäischen Presse bietet der im Standard am 7. Februar 2013 erschienene Artikel "Gegenkandidat vergleicht Ecuadors Präsidenten mit Hitler".

So wurde etwa die Tageszeitung "El Universo" nicht deshalb verurteilt, weil ihr Redakteur Correa als "Diktator" bezeichnete, sondern weil er ihn fälschlich des Mordes bezichtigt hat und die Zeitung sich in der Folge weigerte, eine Richtigstellung zu drucken. Die Beschuldigten hätte das gesamte Verfahren zu jedem Zeitpunkt mit einer einfachen Entschuldigung beenden können.

Der Stierkampf ist auch nicht verboten in Ecuador, sondern nur das Töten des Stieres und das auch nur in den Städten und Regionen, in denen sich beim Volksentscheid eine Mehrheit für ein Verbot ausgesprochen hat. In der Regierung gibt es ausgesprochene Stierkampf-Fans wie z.B. den Vizepräsidenten Lenín Moreno. Die im Artikel Eric Samson zugeschriebene aber in Wirklichkeit vom Teleamazonas Journalisten José Velasquez stammende Behauptung, der Sender übe hier Selbstzensur, ist also leicht als Lüge zu entlarven.

Der zitierte Artikel von John Otis vom Committee to Protect Journalists, auf den sich der Standard als Quelle stützt, strotzt nur so von solchen Lügen. Z.B. heißt es dort, eine Zeitschrift sei zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil ein Artikel "dem Präsidenten nicht gefallen hat". In Wirklichkeit wurde Vistazo verurteilt, weil die Zeitschrift gegen das Wahlgesetz verstoßen und im Zeitraum der 48-stündigen Wahlruhe unmittelbar vor der Volksabstimmung noch Wahlpropaganda veröffentlicht hat.

Eine objektive Analyse der Berichterstattung in der ecuadorianischen Presse würde zeigen, dass sich diese in einem permanenten Propagandafeldzug gegen die Regierung befindet, der sich nun im Vorfeld der Wahlen noch verschärft hat.

Nebenbei stellen wir fest, dass der im Titel erwähnte Kandidat Guillermo Lasso in Anerkennung von Godwin's law mit seinem Hitlervergleich zugibt, dass er schon verloren hat… Und er macht uns freundlicherweise gleich noch mit einer anderen, weit verbreiteten Eigenheit der ecuadorianischen Kultur vertraut, über die sich Correa regelmäßig in seinen Reden lustig macht: die Schuld wird immer beim anderen gesucht; der Schiedsrichter, das Spielfeld, der Ball ist schuld, nicht etwa das eigene fehlende Charisma oder das wenig überzeugende Parteiprogramm…

Dem leicht als 'Vertreter des Establishments' zu identifizierenden Bankier und Opus-Dei Mitglied Lasso gilt natürlich sogleich das Wohlwollen des Standard, der darauf verzichtet, den Wahrheitsgehalt seiner absurden Behauptungen zu überprüfen.

Man kann aber nicht sagen, dass sich der Autor keine Mühe gemacht hat, denn man muss sich schon schwer anstrengen, um eine Umfrage mit so niedrigen Werten ("40-42%") für Correa zu finden.

Skurril mutet der Versuch an, eine Verbindung des Zwischenfalls in Quinindé, bei dem ein Drogenabhängiger im Vollrausch zwei Anhänger Correas erstach, mit dem Hitler-Vergleich Lassos herzustellen ("indes"). Lücken im Wissen ergänzt der Autor bereitwillig durch Vorurteile, die zusammen mit den Lügen in den Original- und Sekundärquellen einen hochqualitativen Text ergeben.

Zwar ist richtig, dass der Slogan aus der Kampagne 2006 ,"Rafael para tu pueblo, correa ("Riemen", "Gürtel") para los corruptos", heute nur noch gelegentlich angestimmt wird, eben weil es sich um einen alten Slogan handelt. Wer aber behauptet, Correa gehe diesmal "zurückhaltend" mit der korrupten politischen Klasse ('partidocracia') um, der hat den Wahlkampf nicht verfolgt. Ein objektiver Vergleich der Diskurse von 2006/07 und 2013 würde eine bemerkenswerte Kohärenz in der Botschaft und eine geradezu unglaubliche Konsequenz bei der Umsetzung von Wahlversprechen aufzeigen.

Der Autor meint, heute warne Correa "lediglich" (sic) vor einer Rückkehr der Vergangenheit. Ihm scheint gar nicht bewusst zu sein, was dies für die Ecuadorianer bedeutete: Bankenkrise und Währungskollaps, Massenarbeitslosigkeit, Zwangsmigration von zwei Millionen Bürgern, Abwesenheit von Staat und Rechtsstaatlichkeit, verallgemeinerte Korruption, institutionelles und politisches Chaos, etc.

Zu guter Letzt drückt der Standard dann noch den armen, gebeutelten Erdölkonzernen in Ecuador sein Mitgefühl aus: Früher konnten sie von je 100 Fässern Öl 85 ihr eigen nennen, heute sind es nur noch 15. Allerdings vollzog sich die vom Autor beklagte "Erpressung" nicht, wie behauptet, über Sondersteuern, sondern in Gestalt einer vom Volk mit großer Mehrheit ratifizierten neuen Verfassung, mit der das Land die Souveränität über seine Bodenschätze zurückgewonnen hat.

  • 1. Enlace Ciudadano 281, Santa Elena, 21.07.2012 (Zitat 1:07:12 - 1:08:26 und 1:09:05 - 1:09:10)