Venezuela / Politik

Venezuela: Tanz am Vulkan

Ein Teil der venezolanischen Opposition versucht die aktuellen Studentenproteste auszunutzen, um erneut die Machtfrage auf die Straße zu tragen. Bereits nach ihrer knappen Wahlniederlage im April 2013 hatten Politiker wie Leopoldo López und Maria Corina Machado zu gewalttätigen Straßenprotesten aufgerufen. Anlass war damals ein angeblicher Wahlbetrug durch die bolivarische Regierung. Nach einer kompletten Neuauszählung der Stimmen lösten sich die Vorwürfe in Luft auf. Zurück blieben zehn Tote – ausnahmslos Unterstützer der linken Regierung.

In den letzten Wochen eskalierten im Westen des Landes die Studentenproteste. Eigentlich handelt es sich dabei um althergebrachte und relativ harmlose Rituale an den Hochschulen von Merida, Tachira und in anderen Hochburgen der bürgerlichen Opposition. Kleine radikale Gruppen stürmen aus den Hochschulen, blockieren die Straßen und verwickeln die Polizei in Straßenschlachten. Wenn die Einsatzkräfte nicht mitspielen wollen, beginnen die Aktivisten mit scharfer Munition herumzuballern. Spätestens jetzt erscheinen die Ordnungshüter. In den vergangenen Jahren kamen bei diesen gefährlichen Spielchen mehrere Studenten durch Schüsse ihrer eigenen Kommilitonen ums Leben.

In den vergangenen zehn Tagen wuchsen sich die Proteste allerdings aus. Ein Faktor dafür ist sicher eine verbreitete Unzufriedenheit mit der wirtschaftspolitischen Situation, etwa der hohen Inflationsrate. Ein weiterer Grund mag sein, dass die Polizei teilweise unverhältnismäßig hart gegen die Demonstranten vorging. In zahlreichen Städten sollen Demonstranten durch Plastikschrot-Munition teilweise schwer verletzt worden sein. Ob dafür die linke Regierung verantwortlich zu machen ist, kann allerdings bezweifelt werden. Die Polizeieinheiten der betreffenden Bundesstaaten unterstanden bis zu deren Wahlniederlage vor 14 Monaten Gouverneuren aus dem Oppositionslager.

Ein Teil der Opposition eskaliert nun erneut auf der Straße. Die rechte Abgeordnete Machado erklärte, das Land lebe in einer "Tyrannei, einer Castro-kommunistischen Diktatur". Die "Freiheit" müsse nun auf der Straße erkämpft werden. Bei Auseinandersetzungen zwischen Chavisten und Oppositionellen kamen am Mittwoch drei Personen ums Leben, ein Oppositionsanhänger, ein Unbeteiligter und der Sprecher einer militanten bolivarischen Gruppe aus dem Armenviertel 23 de Enero.

Die Opposition spielt mit dem Feuer. Ihr Ziel ist es explizit, die seit 15 Jahren in demokratischen Wahlgängen immer wieder bestätigte linke Regierung zu stürzen. Möglicherweise bilden sich ihre Protagonisten auch ein, im Windschatten von Protesten in Thailand oder der Ukraine international Rückenwind zu erhalten. Aber die Machtverhältnisse auf den venezolanischen Straßen sind andere. Niemand profitiert mehr als die Oppositionsanhänger davon, dass sich – trotz der polarisierten öffentlichen Meinung – alle Parteien weitgehend an demokratische Gepflogenheiten halten.

Ein großer Teil der militanten proletarischen Basis des Chavismus reagiert zunehmend gereizt auf den Umstand, dass ihnen eine kleine, weiße und wirtschaftlich privilegierte Minderheit immer wieder mit Konfrontationen droht. Nach jedem Übergriff beeilen sich Präsident Maduro und seine Funktionäre, an die Disziplin ihrer Basis zu appellieren. "Lasst euch nicht provozieren", lautet die dringliche Bitte. In einem Land, in dem der größte Teil der männlichen Bevölkerung über Schusswaffen verfügt, ist dies durchaus ein notwendiger Appell.

Die gewaltsamen Sticheleien einiger Oppositionsanhänger – welche sich öffentlich ansonsten als Gralshüter der Gewaltfreiheit und als Opfer angeblicher Repressionen inszenieren – könnten die Situation irgendwann zum Entgleisen bringen. Was López, Machado und andere dabei zu vergessen scheinen: Bisher hat ihnen jeder ihrer Versuche, den Chavismus mit nicht legalen Mitteln zu stürzen, unglaubliche Niederlagen eingetragen. Der größte Teil der venezolanischen Bevölkerung ist zurecht stolz auf die demokratischen Institutionen des Landes und in den Wahlgängen seit dem Jahr 2005 konnte das Oppositionslager – anders als bei Straßenmobilisierungen – tatsächlich Gewinne verzeichnen.

Insofern ist das Vorgehen der Hardliner im Oppositionslager nicht nur extrem riskant sondern auch offensichtlich unvernünftig. Das einzige Argument für diese widersinnige Strategie ist die Tatsache, dass sich einige ihrer Protagonisten nicht bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2019 gedulden wollen, um dann auch noch zu riskieren, erneut einer demokratischen Mehrheit des Chavismus zu unterliegen.