Kolumbien / Politik

"Die Regierung wusste den Waffenstillstand nicht zu schätzen"

Der Kommandant der Farc-Guerilla, Pablo Catatumbo, im Exklusivinterview mit amerika21 über das Ende der Waffenruhe, die Friedensgespräche und die deutsche Kolumbien-Politik

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Die Delegationen der Revolutionären Streitkräfte Koumbiens (Farc) und der Regierung verhandeln seit November 2012 in Kubas Hauptstadt
Die Delegationen der Revolutionären Streitkräfte Koumbiens (Farc) und der Regierung verhandeln seit November 2012 in Kubas Hauptstadt

Pablo Catatumbo, dessen bürgerlicher Name Jorge Torres Victoria lautet, ist Mitglied der Verhandlungsdelegation der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – Armee des Volkes (Farc-EP) in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Catatumbo gehörte zuvor der Guerillabewegung M-19 an und war zuletzt Kommandant der Ost-Front (Bloque Oriental) der Farc.


Herr Catatumbo, welche Folgen hat die Beendigung des einseitig erklärten Waffenstillstandes durch Ihre Guerillaorganisation, die Farc, für die in der kubanischen Hauptstadt Havanna laufenden Friedensverhandlungen?

Es sind mehrere Folgen und sie alle sind sehr besorgniserregend. Wir müssen klarstellen, dass wir uns gezwungen gesehen haben, den von den Farc erklärten einseitigen Waffenstillstand aufzuheben. Die andauernden Angriffe der Streitkräfte gegen unsere Einheiten machten diese Situation unhaltbar. Es ist bedauerlich, dass wegen der Unfähigkeit der Regierung, einen beidseitigen Waffenstillstand zu vereinbaren, eine Initiative unsererseits beendet werden musste. Der einseitige Waffenstillstand der Farc bedeutete schließlich eine enorme Verminderung der gewaltsamen Aktionen im Land. Unabhängige Analysten weisen darauf hin, dass sich die Konfrontationen im Zuge des Konfliktes seit dem Beginn der Waffenruhe am 20. Dezember bis zur Aufhebung in der vergangenen Woche um fast 85 Prozent verringert hatten. Es war eine sehr wichtige Initiative zur Deeskalation, aber die Regierung wusste sie nicht zu schätzen. Heute verschärft sich der Konflikt wieder. Das hilft dem Friedensprozess nicht.

Seit März laufen Verhandlungen über eine bilaterale Waffenruhe. Wie ist die Arbeit der damit befassten "Technischen Kommission" zuletzt vorangekommen?

Nun, sie kommt ganz gut voran. Da ihre Diskussionen noch nicht abgeschlossen und diese vertraulich sind, kann ich zu dem Thema nicht viel sagen. Wir hoffen aber, dass bald bedeutende Ergebnisse für das Land präsentiert werden können. Dieses Szenario ist wichtig: Hochrangige Vertreter der Streitkräfte und der Polizei treffen sich persönlich mit einer Gruppe führender Guerillakommandanten unserer Fronteinheiten. Es sind Männer und Frauen, die den Krieg kennen, und die aus erster Hand um die Wichtigkeit wissen, diese Konfrontation zu beenden. 

Was halten Sie von der Beteiligung der Außenministerin an den Friedensgesprächen und über den Wechsel des Verteidigungsministers? Ist dies tatsächlich ein positiver Beitrag zu den Verhandlungen, wie Präsident Juan Manuel Santos sagt?

Außenministerin María Ángela Holguín sitzt noch nicht mit am Verhandlungstisch und wir wissen nicht, welche Funktion sie erfüllen wird. Aber zweifellos ist dies ein positiver Fakt und wir sind sicher, dass sie eine bedeutende Rolle bei der internationalen Begleitung dieses Prozesses spielen kann.

Den Wechsel des Verteidigungsministers bewerten wir ebenfalls positiv. Minister Juan Carlos Pinzón war immer ein lautstarker Gegner des Friedensprozesses. Gleichwohl beinhaltet seine Ablösung nicht unbedingt eine Änderung der militaristischen Politik der Regierung. Wir werden abwarten müssen, um die Arbeit des neuen Ministers Luis Carlos Villegas einzuschätzen.  

Wie ist der Stand der Diskussion über die "Übergangsjustiz" im Zuge des Friedensprozesses und was halten Sie von dem Versuch, die staatlichen Sicherheitskräfte darin mit einzubeziehen? 

Vonseiten der Regierung und internationalen Organisationen wird behauptet, es gäbe einen Konsens über Modelle der Übergangsjustiz, die "Sondergerichte" und die "Hauptverantwortlichen".

Wir glauben, dass dem nicht so ist und dass wir Alternativen unter den Kolumbianern schaffen müssen, ohne von transnationalen Auflagen abzuhängen. Wir müssen unser Tun daran ausrichten, dass die Überwindung des Krieges mit einer notwendigen Erweiterung der Demokratie einhergeht.

Die Einbeziehung der staatlichen Sicherheitskräfte in jedwede juristische Lösung des Konflikts ist ausschlaggebend: Der Krieg wird nicht beendet werden, indem die Farc an den Pranger gestellt werden, sondern indem erreicht wird, dass das Land die Wahrheit über all das erfährt, was im Verlauf der Konfrontation geschehen ist. Und da haben die Streitkräfte und die Polizei, ebenso wie die Geheimdienste, darunter auch der aufgelöste DAS-Geheimdienst, Kolumbien viel zu erklären.

Wie bewerten Sie die Ernennung des deutschen Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs von den Grünen zum Sonderbeauftragten der deutschen Regierung für den Friedensprozess?

Wir halten es für sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft das kolumbianische Volk bei seinen Bemühungen begleitet, eine Alternative zum Krieg zu finden. Wir sind darauf angewiesen, dass Regierungen, soziale Bewegungen, politische Parteien und Persönlichkeiten aus der ganzen Welt sich mit diesem Friedensprozess solidarisieren und mit ihren Möglichkeiten zu seinem Erfolg beitragen. Ein Ende des Krieges in unserem Land wäre ein großer Gewinn für die ganze Menschheit. Denken Sie daran, dass unsere Konfrontation der letzte bewaffnete Konflikt sozialen Ursprungs in Lateinamerika ist. Wir sind dankbar für die Gesten der deutschen Regierung, ebenso für die Botschaften, die wir von Gewerkschaften, Solidaritätsgruppen und politischen Gruppen aus Deutschland bekommen haben.

Noch eine Frage: Welche Folgen wird der jüngste, gewaltsame Tod von 26 Guerillakämpfern für die Verhandlungen haben?

Die Folgen nicht nur dieses Ereignisses, sondern der enormen Militärkampagne der Regierung gegen uns kann man an der aktuellen Entwicklung am Verhandlungstisch sehen: Wir haben die einseitige Feuerpause aufgehoben und das Vertrauen in die Gegenseite hat sich verringert.

Wir fordern, sofort einen bilateralen Waffenstillstand zu vereinbaren und sehr bald beim aktuellen Diskussionspunkt voranzukommen: den Opfern des Konfliktes.

Die Garantieländer – Kuba und Norwegen – ebenso wie die Sonderbeauftragte der UN, Zainab Bangura, haben in Havanna unmittelbar die Notwendigkeit und den Vorschlag einer bilateralen Waffenruhe bekräftigt. Es wäre sehr wichtig, dass sich Deutschland und die Europäische Union, im gleichen Sinne deutlich zugunsten eines tragfähigen Friedensprozesses – basierend auf sozialer Gerechtigkeit – äußern.

Unter Mitarbeit von Hans Weber und Vilma Guzmán.