"Uns geht es gut, seit wir uns von den USA befreit haben"

Boliviens Präsident Evo Morales über den US-Geheimdienst, linke Wirtschaftspolitik, Atomkraft und seine mögliche Wiederwahl

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Präsident Evo Morales und Amerika21-Redakteur Harald Neuber beim Podiumsgespräch in der Technischen Universität Berlin am 4. November 2015
Präsident Evo Morales und Amerika21-Redakteur Harald Neuber beim Podiumsgespräch in der Technischen Universität Berlin am 4. November 2015

Evo Morales Ayma ist seit 2006 Präsident von Bolivien. Der erste indigene Staatschef des Andenstaates steht zugleich der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) vor. Das folgende Interview ist Teil eines ausführlicheren Podiumsgespräches, das Amerika21-Redakteur Harald Neuber mit dem linken Staatschef während dessen jüngsten Deutschland-Besuch bei einer Großveranstaltung in der Technischen Universität Berlin geführt hat.


Herr Präsident, ich hoffe, Sie hatten dieses Mal eine gute Reise nach Europa. Ich erinnere mich an einen Zwischenfall bei Ihrem letzten Europaaufenthalt, als Sie 2013 nach Abflug in Moskau von den europäischen Behörden zur Notlandung in Wien gezwungen wurden. Wie sehen Sie diesen Zwischenfall rückblickend?

Ich glaube, das war eine Strafaktion der USA und einiger europäischer Verbündeter. Sie hatten mir ja vorgeworfen, diesen jungen Aktivisten, Edward Snowden, an Bord zu haben. Ich war von den Erdöl exportierenden Staaten nach Russland eingeladen worden. Als alle Treffen vorbei und der Gipfel beendet war, reiste ich wieder ab, aber als wir nahe Lissabon, Portugal, landen wollten, war mir das nicht möglich, es wurde verboten. Auf einmal hieß es, wir dürften nicht nach Italien, auch nicht nach Frankreich. Es blieb nur der Weg zurück nach Russland und ich glaube, der Treibstoff hätte dafür nicht mehr gereicht. Also sagte ich: "Warum bitten wir Österreich nicht, uns wegen eines technischen Notfalls die Landung zu erlauben?" Glücklicherweise wurde uns das genehmigt und so konnten wir in Wien landen. Ich denke, dass uns Österreichs Präsident und Regierung das Leben gerettet haben.

Aber wie konnten die USA mit einem solchen Geheimdienstapparat – der CIA, dem Pentagon, der DEA und allem möglichen anderen – glauben, dass wir diesen Jungen, Edward, an Bord gehabt hätten? Das kann ich nicht verstehen, denn am Ende geht es darum: Dass es dem Geheimdienstapparat der USA an Intelligenz fehlt.

Und noch eines glaube ich: Wenn Dilma (Rousseff, die Präsidentin Brasiliens) oder Cristina (Fernández der Kirchner, die Präsidentin Argentinien) oder etwa (Kolumbiens Präsident Juan Manuel) Santos geflogen wären und diesen Mann tatsächlich an Bord gehabt hätten, dann wäre niemand eingeschritten. Weil im Flugzeug aber ein Indio saß, musste man uns einschüchtern, damit wir von unserem Antiimperialismus ablassen. Es war eine Entführung der Präsidentenmaschine, so sehe ich das. Unser Delikt ist es, Antiimperialisten zu sein.

Natürlich haben sie uns später um Verzeihung gebeten, um Entschuldigung. Sie hätten es nicht gewusst, hieß es, als ob sie nicht gewusst hätten, dass die USA auch auf europäischem Territorium das Sagen haben. Anders war das ja nicht zu erklären. Nicht alle Europäer stehen unter der Fuchtel der US-Regierung. Aber es wäre wichtig, dass wir uns alle befreien und unsere Souveränität verteidigen, nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Europa, zu dem ja auch Österreich gehört, das unser Leben gerettet hat.

Sie haben in Ihrem Vortrag in der Technischen Universität Berlin über die Notwendigkeit gesprochen, nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Souveränität zu gewinnen. Wie kann Deutschland Bolivien dabei helfen, die wirtschaftliche Souveränität zu erlangen?

Wir erwerben gerade viel Technologie hier. Wir stehen derzeit vor einer großen Herausforderung, dem Ausbau der weltweit sehr gefragten Windenergie. Wir möchten uns dabei in eine gute Position bringen, vielleicht auch mit überschaubaren Krediten, um das Thema des Umweltschutzes zwischen Bolivien und Deutschland zu entwickeln. Deutschland könnte Windkraftanlagen liefern, die wir installieren, das wäre ein Thema.

Unsere Freundin Kanzlerin Merkel ist aber auch bereit, uns beim Thema der Justiz beizustehen, wir haben da leider einige Probleme. Bei diesem Thema hat sie uns Hilfe angeboten, den Austausch von Erfahrungen, um die bolivianische Justiz zu verbessern.

In Bolivien ist es uns gelungen, die wirtschaftliche Situation zu verändern, wir haben nun ein neues Bolivien, und ich möchte den Europäern sagen, vor allem den Deutschen, dass ich sie und ihre Technologien bei uns willkommen heiße, ihre wissenschaftlichen Kenntnisse. Ich möchte, dass Deutschland diesen Wandel begleitet, dass es zu einem Technologietransfer kommt. Das ist unser großer Wunsch.

Ein deutsches Unternehmen, K-utec, hat den Auftrag zur Planung einer Lithium-Gewinnungsanlage erhalten. Später werden wir eine weitere Ausschreibung für Unternehmen machen, die die Lithium-Industrie in Bolivien aufbauen. Dafür habe ich die Finanzierung in Höhe von einer Milliarde US-Dollar schon gesichert. Um dieses Geld bitten wir niemanden, wir verfügen darüber. Aber ich möchte ehrlich sein: Weder unser Staat noch die bolivianische Privatwirtschaft verfügen über spezialisierte Unternehmen, um diese Industrie aufzubauen.

Bei einer solchen internationalen Ausschreibung wird sicherlich eine vielleicht asiatische oder europäische Firma den Zuschlag erhalten. Wenn diese Industrie dann steht, wer wird sie aber leiten? Denn das Unternehmen, das den Zuschlag bekommt, wird nicht als Besitzer ins Land kommen, sondern als Dienstleister. Die Besitzer der Lithium-Industrie bleiben die Bolivianer. Und an dieser Stelle sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen, um Fachkräfte auszubilden. Denn die ausländischen Unternehmen bleiben, je nach Vertrag, nur einige Jahre im Land. Aber wer wird dann übernehmen? Dafür brauchen wir Ihr Wissen und Ihre Erfahrung.

Im internationalen Handel der lateinamerikanischen Staaten hat es zuletzt eine starke Dynamik mit den Staaten der BRICS-Gruppe gegeben. Welche Rolle spielt Europa in diesem geopolitischen Kontext?

Eine wichtige, denke ich. Man darf die Schäden aus den vergangenen 500 Jahren zwar nicht vergessen. Aber viel kommt eben auch auf die Technologie an, über die bekannte und respektierte Länder hier verfügen. Sicherlich gibt es auch andere Gruppen wie etwa die BRICS-Staaten. Diese Länder sind vor allem beim Aufbau von Infrastruktur aktiv und dem Straßenbau, was wir sehr begrüßen. In unserem Land haben wir für die bolivianischen Brüder und Schwestern sieben Milliarden US-Dollar für den Ausbau von Straßen zugesagt, um Osten und Westen zu verbinden.

Wie Sie wissen, haben wir im bolivianischen Osten große Flüsse. Dort bauen wir Brücken wie Beni I, Beni II und Madre de Díos, die alleine 25 Millionen US-Dollar kosten. Aber wir kommen beim Ausbau der Verbindungen voran. Beim Thema der Infrastruktur ist vor allem China führend. Aber Europa brauchen wir, um bei der Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen die Wertschöpfung zu verbessern.

Herr Präsident, während in Europa der Sozialismus vor 25 Jahren verschwunden ist, hat sich in Lateinamerika der Widerstand gegen den Neoliberalismus formiert: mit den sozialen Bewegungen in Bolivien, Venezuela und anderen Staaten. Was kann Europa Ihrer Meinung nach heute von Lateinamerika lernen?

Zunächst möchte ich sagen, dass ich keine Bewertung über Europa abgebe, sozialistisch oder nicht sozialistisch. Wie gesagt, jeder Kontinent hat seine Eigenarten. Und ob es heute hier rechte oder linke Regierungen gibt, sofern sie nur demokratisch gewählt sind, werden wir mit ihnen diskutieren, denn wir pflegen eine Kultur des Dialogs, die auch ideologische und programmatische Unterschiede respektiert. Unsere Aufgabe ist es, Handel für unsere Völker zu betreiben, die Handelsbilanz zu verbessern.

In Bolivien geht es uns gut, seit wir uns von den USA befreit haben. Es geht uns gut, seit wir uns wirtschaftlich von Internationalen Währungsfonds befreit haben. Das ist ein gelebtes Beispiel, dass auch die Kanzlerin Merkel und Präsidenten kennen und sehen, von dem sie wissen. Auch wenn wir ständig Angriffe, wirtschaftliche, politische und militärische Attacken der US-Regierung ertragen müssen. Es wäre also sehr gut, wenn von diesem demokratischen Land aus hier auch unser demokratischer Prozess der großen Transformationen und der demokratischen Revolution verteidigt werden würde.

Dennoch gibt es ja aber auch interne Probleme der lateinamerikanischen Ökonomien, vor allem die Abhängigkeit von Erdöl und den Rohstoffen. Beunruhigt Sie das nicht?

Sehen Sie, wenn wir über Abhängigkeit sprechen, dann möchte ich sagen, dass wir wirtschaftlich stabil dastehen. In diesem Jahr hat Bolivien das stärkste Wachstum in Südamerika und das zweitstärkste in ganz Lateinamerika. Der Grund ist, dass wir uns von der imperialen Dominanz und dem neoliberalen Modell befreit haben.

Bleiben wir bei der Wirtschaft, konkret: bei der Atomkraft. Die deutsche Regierung hat entscheiden, die Atomkraft zur Energiegewinnung bis zum Jahr 2022 abzuschaffen. Bolivien hat unlängst ein Abkommen mit der russischen Agentur Rosatom unterzeichnet. Welche Vorteile bringt die Atomkraft Bolivien?

In Deutschland und Europa, wie viele Zentren für Atomkraft gibt es hier, können Sie mir das sagen?

Die gibt es, sicher.

Sagen Sie mir, wie viele hat Deutschland, wie viele hat Europa? Gibt es sie oder nicht?

Doch, klar.

Wieso soll uns also das Recht verwehrt bleiben, ein Zentrum zur Erforschung der Atomkraft zu haben, der zivilen Nutzung. Wir werden es haben. Und zwar für das Gesundheitswesen, für die Landwirtschaft, zur Konservierung von Nahrungsmitteln. In Südamerika gibt es nur in Bolivien keinen Teilchenbeschleuniger. Sogar Paraguay besitzt ein solchen Gerät für die Strahlentherapie. Dabei geht es nicht um die Nutzung der Atomkraft, um Bomben zu bauen. Niemals. Denn wir stehen für eine Kultur des Friedens und des Lebens. In Argentinien wurden zwei Zentren zur Nuklearforschung gebaut, in Rio de Janeiro gibt es acht. Aber eben nicht zu militärischen Zwecken. Und auch wir haben das Recht darauf, für das Gesundheitswesen, Bildung und Landwirtschaft, darauf bestehe ich.

Wenn das also hier Aufmerksamkeit findet, weshalb ziehen dann nicht die Atomwaffen der USA die Aufmerksamkeit auf sich, warum richtet sich die Kritik nicht gegen diese Nutzung der Atomkraft, nur um Menschen zu töten, nicht um ihre Leben zu retten? Das ist der Unterschied zwischen uns und dem kapitalistischen System.

Aber sprechen wir nun über Zentren zur Nuklearforschung oder Atomkraftwerke? Denn das Problem des Atommülls ist ja auch in Lateinamerika nicht gelöst.

Es geht um Zentren zur Nuklearforschung für medizinische Zwecke und Bildungszwecke. Das gibt es in ganz Lateinamerika, außer in Bolivien. Nun wird es das auch in Bolivien geben, auf Drängen des Volkes.

Inwieweit repräsentiert das Konzept des Buen Vivir, des Guten Lebens, die Forderungen der eigenen Bevölkerung, wenn Ihre Regierung selbst weiter auf die Ausbeutung der Bodenschätze setzt, auf eine extraktivistische Politik?

Ich würde diese Frage gerne an einige europäische Unternehmen richten, weil die Rohstoffe in der Vergangenheit nur außer Landes geschafft wurden, ohne dass eine Wertschöpfung stattgefunden hat. Zum ersten Mal greifen wir dieses extraktivistische Modell an. Wir behalten die Wertschöpfung bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Land, damit alle Bolivianerinnen und Bolivianer davon profitieren. Dafür brauchen wir die europäische und deutsche Technologie. Um die Wertschöpfung im Land auszubauen. Der extraktivistische Staat aber gehört der Vergangenheit an.

Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, hat unlängst in einem Bericht den Aufbau sozialer Sicherungssysteme empfohlen, um eine nachhaltige Entwicklung abzusichern. Wie konnten Sie diese Empfehlung in Bolivien in den vergangenen Jahren umsetzen?

Die Nationalisierung hat uns mehr Ressourcen zur freien Verfügung in die Hände gegeben und so konnten wir Sozialleistungen, Rentenzahlungen, Sozialprogramme in der Landwirtschaft und sozialpolitische Maßnahmen finanzieren. Der Verfall der Energiepreise auf den internationalen Märkten hat sich natürlich auch auf unsere Einkünfte ausgewirkt. Aber wir stehen dennoch besser als vorher da und die sozialpolitischen Maßnahmen sind absolut sicher. Und, nochmal, trotz des Rückgangs der Energiepreise gelingt es uns, weitere soziale Maßnahmen zu schaffen, etwa für schwangere Frauen. Darin sehen wir unsere vorrangige Aufgabe in der Haushaltsplanung. Es handelt sich um soziale Errungenschaften, die nicht zurückgenommen werden können. Daneben geht es uns um Investitionen in das Wachstum der Wirtschaft, gerade auch, um Ressourcen zu Gunsten des bolivianischen Volkes umzuverteilen.

Herr Präsident, kommen wir zur Frage Ihrer Wiederwahl, die gerade in Bolivien diskutiert wird. Das Verfassungsgericht von Bolivien hat unlängst grünes Licht für ein Referendum über eine Verfassungsänderung gegeben, um die Beschränkung der Wiederwahl aufzuheben. Weshalb wird diese Option nicht nur in Bolivien diskutiert, sondern auch in anderen Staaten der Region?

Nun, gerade in Deutschland sollte ich so etwas nicht gefragt werden. Aber schauen wir uns das Thema an: Deutschland und Bolivien haben eine Sache gemein. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland eine hohes Maß an wirtschaftlicher Stabilität erreicht. Die Kontinuität in der Parteienlandschaft hat das Land nach vorne gebracht. Wie kann ich so etwas also in Deutschland gefragt werden? Man sollte uns für die politische Stabilität gratulieren.

Vor allem aber ist ja ja nicht Evo, der die Verfassung ändern will. Das Volk hat die Veränderung der Verfassung vorgeschlagen. Zudem wird das Volk ja befragt. Es wird entscheiden, ob wir die Verfassung ändern oder nicht, alles sehr demokratisch. 

Schauen Sie sich doch mal die Lage in der Welt an. Wo es politische Stabilität gab, gab es Resultate und Entwicklung. Ich habe heute darüber gesprochen, wie es zuvor in Bolivien ausgesehen hat. Jedes Jahr gab es einen neuen Präsidenten, manchmal drei, vier in einem Jahr. Wie kann sich ein solches Land entwickeln? Bitte, lieber Freund Journalist, wenn Sie aus dem Volk kommen, sollten Sie von einer solchen Frage Abstand nehmen. Diese Frage ist antidemokratisch, denn in Bolivien gibt es Demokratie, das Volk wird befragt.

Zugleich gibt es eine andere Agenda, die des Regimewechsels, Sie haben das in ihrer Rede angesprochen, die Staatsstreiche in Lateinamerika. Was ist Ihre Antwort auf diese Politik des Regime Change, des Regierungswechsels, denn das ist ja eine ständige Politik der USA, an der aber auch politische Stiftungen aus Europa und Deutschland beteiligt sind?

Unsere Freundin Merkel, wie lange ist sie im Amt?

Zwei volle Amtszeiten, zehn Jahre nun.

Nach dem Weltkrieg gab es hier einen Regierungschef, der fast 20 Jahre an der Macht war und sehen Sie nur, wie sich Deutschland verändert hat. Es geht um die Kontinuität, wissen Sie. Lassen Sie uns also nicht weiter über dieses Thema reden, denn, ganz ehrlich, wenn es hier die Wiederwahl nicht gegeben hätte, wer weiß wie sich die Sache entwickelt hätte.

Im Jahr 2008 hatte man versucht, mich über ein Abberufungsreferendum aus dem Amt zu drängen. Der Versuch scheiterte. Ebenso wie ein Putschversuch. Wenn diese Versuche Erfolg gehabt hätten, würde es heute kein neues Bolivien geben, so einfach ist das.

Außerdem haben wir ein Programm, einen Plan, währen die Opposition kein solches Konzept hat und passiv bleibt. Schon zu meinen Zeiten als Gewerkschafter habe ich immer klar gesagt: "Das hier ist schlecht, das hier schlagen wir vor". So sind wir vorangekommen. Die Rechte – die Prokapitalisten und Proimperialisten – schlagen nichts vor, sie lehnen nur ab. Das hilft uns durchaus. Weil sie nichts vorschlagen und wir konkrete Vorschläge haben, steht das Volk nach wie vor hinter dem Vorhaben der politischen und wirtschaftlichen Befreiung. So sieht es aus und, das wiederhole ich, all das sollte nicht zur Debatte stehen, denn das Volk entscheidet. Auch darüber, ob die Verfassung geändert werden soll. Äußerst demokratisch.

Ein für Deutschland, Europa und weltweit wichtiges Thema ist die Flüchtlingskrise. Europa erlebt zurzeit eine seiner schwersten humanitären Krisen. Tausende Familien aus Staaten wie Syrien, Afghanistan sowie anderen Kriegs- und Krisenregionen kommen hierher. Wie sehen Sie diese Situation von Lateinamerika aus?

Wie kann ich das sagen? Mal sehen … Ich denke, das die USA Konfrontationen befördern, denn leider ist der Krieg das beste Geschäft des Kapitalismus. Sie finanzieren terroristische Gruppen, um einen antiimperialistischen Präsidenten abzusetzen, sie suchen den Konflikt. Nun müssen Sie hier die Folgen ertragen, sie müssen die Kriegsflüchtlinge aufnehmen, Sie haben das Syrien-Problem. Aber woher kommt das alles? Der Ursprung liegt bei den USA, bei der NATO selbst.

Ich glaube, dass dies in Zukunft verändert werden muss. Ich lehne daher auch militärische Drohungen gegen Venezuela ab. Denn klar ist, dass die USA nur willfährige Regierungen möchten, loyale Regierungen gegenüber den USA und ihrem System und Modell. Damit stimmen wir nicht überein, da haben wir Differenzen.

Aber diese antiimperialistische Haltung trifft auf Gegner. Die USA werden nicht müde, sich mit uns anzulegen, aber damit kommen sie nicht durch. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Im Jahr 2010 hat das bolivianische Volk, nicht Evo Morales, darauf gedrängt, dass die Ärzte acht Stunden am Tag arbeiten. Das wollten sie nicht und sie traten über einen Monat in einen Streik. Die angeblichen politischen Analytiker der Rechten, was sagten sie? Dass angesichts des Streiks der Ärzte eine Intervention von Blauhelmen notwendig sei. Das sagten sie öffentlich. Und dahinter steht die koloniale Einstellung, die eine Intervention herbeisehnt. So etwas wird bei uns in Bolivien von der Rechten provoziert, geplant und sicherlich auch begleitet. Und diese Politik ist es, die die Welt zerstört, davon bin ich überzeugt: die interventionistische Politik der USA gegenüber anderen Staaten, um sich deren natürliche Ressourcen anzueignen. Das ist ein Grund für soziale Konflikte und deswegen müssen sich die Völker befreien, damit die Ressourcen den Völkern gehören und von ihren Regierungen verwaltet werden. Und damit die Basis-Dienstleistungen ein Menschenrecht aller Völker der Welt werden.