Wird die jüngste Reform der Wechselkurse in Venezuela helfen?

Nach so vielen Jahren von halbherzigen Maßnahmen und Schritten in die falsche Richtung scheint es, als sei die Regierung einfach nicht bereit zu ernsthaften Reformen

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Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift war der stärkste offizielle Wechselkurs zehn BsF zu einem Dollar. Auf dem Schwarzmarkt liegt er näher an 5900 BsF für einen Dollar.
Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift war der stärkste offizielle Wechselkurs zehn BsF zu einem Dollar. Auf dem Schwarzmarkt liegt er näher an 5900 BsF für einen Dollar.

Auf ein Neues kommt die jährliche Tradition der Reform von Venezuelas Wechselkurssystems auf uns zu. Allen, die bisher ihr Leben meistern konnten, ohne etwas über das byzantinische Wechselkurssystem des Landes zu wissen, gratuliere ich zuerst mal zu ihrem Glück. Seit weit über einem Jahrzehnt ist die venezolanische Währung, der Bolivar (BsF), einem kontrollierten Tauschwert unterworfen worden, was bedeutet, dass jeder, der Bolivares kaufen oder verkaufen möchte, den Weg über die Regierung nehmen soll. In Wirklichkeit findet der meiste Währungshandel auf dem sprießenden Devisenschwarzmarkt des Landes statt, wo die Wechselkurse weit unter den offiziellen Werten liegen. Um wie viel niedriger, fragen Sie? Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift war der stärkste offizielle Wechselkurs zehn BsF zu einem Dollar. Auf dem Schwarzmarkt liegt er näher an 5900 BsF für einen Dollar. Mit anderen Worten ist die offizielle Bewertung der Regierung 600 mal stärker als der Straßenwert. Seit Jahren hat die Regierung versprochen, diese Diskrepanz zwischen offiziellen und inoffiziellen Kursen zu schließen, meist durch diese jährlichen / zweijährlichen Reformen des offiziellen Wechselkurssystems.

In nur vier Jahren haben wir rund fünf Grundüberholungen des Wechselkursregimes erlebt, von denen jede von einer ähnlichen Mischung von Problemen heimgesucht wurde. Diese beinhalten die Klage über einen Mangel an ausländischen Devisen, um die Nachfrage zu befriedigen, Preissysteme, die nahezu Null Sinn ergeben, und eine undurchsichtige Bürokratie, die einfach alles schrecklich macht.

Natürlich leuchteten meine Augen, als die Regierung vor ein paar Wochen ankündigte, dass sie noch einmal eine weitere Reform unternehmen würde.

Die letzten Reformen

Lassen wir die Frivolitäten beiseite, unternehmen wir die düstere Aufgabe der Sezierung der letzten Runde von Reformen.

Anders als die meisten vorherigen Wechselkursreformen in den letzten Jahren, werden die neuen Änderungen keine Wechselkursstufen hinzufügen oder entfernen. Stattdessen beziehen sich die Reformen dieses Jahres ausschließlich auf die Dicom-Börse.

Die Geschichte von Dicom selbst beginnt vor knapp über einem Jahr, im März 2016. Es war beabsichtigt, einen freien Wechselkurs für nicht wesentliche Transaktionen einzuführen, wie für Venezolaner, die ins Ausland reisen, oder für Unternehmen, die auf den Import von Waren aus sind, die nicht vom Dipro-Kurs abgedeckt sind. Für jeden, der das fragt: Dipro ist ein alternativer, stärkerer Wechselkurs und für vorrangige Importe wie Medizin und dergleichen reserviert. Es handelt sich derzeit um zehn BsF zu einem US-Dollar.

Kurz gesagt, Dipro ist die Wechselstube für wichtige Sachen, während Dicom für alles andere ist. Scheint einfach, richtig?

In der Tat scheint die Idee hinter den letzten Reformen Vereinfachung zu sein - ein Hauch frischer Luft für ein System, das über die Jahre allmählich immer verwickelter geworden ist. Laut Präsident Nicolás Maduros Vizepräsident für Wirtschaft, Ramon Lobo, sollen Dicom-Transaktionen nun in erster Linie über die Webseite www.dicom.gob.ve gemacht werden.

"Wir werden [Dicom] optimieren", sagte Lobo.

Wie die vorherige Inkarnation von Dicom, wird das neue System als eine Art Währungsauktion im Zuständigkeitsbereich der Zentralbank (BCV) arbeiten. Über dieses System können Einzelpersonen jedes Quartal das Äquivalent von 500 US-Dollar (maximal 2.000 Dollar p.a.) kaufen, während private Unternehmen bis zu 400.000 Dollar pro Monat erhalten können.

All dies kann erledigt werden, indem Sie sich einfach auf der Website anmelden, einige grundlegende Daten eingeben und fertig! In Sekunden sind Sie soweit, den Handel mit BsF für USD anzufangen.

Dieses neue Online-System wird zweifellos von vielen Venezolanern, besonders von Privatleuten, die bis jetzt viel Wartezeit für ihre Dollarzuweisungen investieren mussten, herzlich willkommen geheißen. Die Nutzer können jetzt in der Bequemlichkeit ihres eigenen Hauses warten, bis die Seite geladen wird. Es ist ein geringeres Übel, aber ernsthaft, zum Zeitpunkt dieser Niederschrift dauerte das Laden der Seite so lang, als ob wir uns im Jahre 1995 befänden.

Sehr wahrscheinlich sind dies nur die Holprigkeiten der ersten Tage, und die Seite knickt wahrscheinlich wegen dem ungewöhnlich starken Datenverkehr etwas ein, der von neugierigen Internetnutzern wie mir selbst verursacht wird.

Also auf den ersten Blick ist hier nichts besonders anstößig, aber was ist unter der Haube?

Die staatliche Nachrichtenagentur AVN paraphrasiert Lobo, der feststellt, das neue Systems wird "größere Transparenz" wie auch eine "Dynamisierung der Wirtschaft" bewirken.

Beides ist dringend nötig, aber wird das neue und verbesserte Dicom dies liefern? Der erste Schritt zur Beantwortung dieser Frage ist zu verstehen, wie das neue System die Wechselkurse festlegen wird. Laut AVN wird die Online-Plattform einen völlig freien Wechselkurs ermöglichen – einen Kurs, der frei bleibt, solange er sich "innerhalb von zwei Grenzen, einer niedrigen und einer höheren" bewegt.

... Uh huh

Diese beiden Begrenzungen gibt es, "um spekulative Handlungen zu vermeiden", berichtete AVN.

Mit anderen Worten, es ist eher ein Bandbreiten-System. Diese Bandbreite wird bestimmt "von der BCV ... [und] wird in regelmäßigen Abständen an die Entwicklung der grundlegenden Variablen der Wirtschaft angepasst werden."

Bisher wissen wir nicht, was diese Bandbreite sein wird. Allerdings wissen wir, dass, wenn die obere Grenze nicht irgendwo in der Nähe von 5.900 BsF auf den Dollar liegt (der aktuelle Schwarzmarktkurs), dann wird dieses neue Dicom-System wahrscheinlich kaum mehr als eine Delle auf dem schwarzen Markt bewirken.

An der Geschichte ist jedoch noch etwas mehr dran. AVN erklärte auch, dass diese Bandbreite zwischen zwei Runden von Auktionen geändert werde. Mein Verständnis dieses Systems ist also, dass es während jedes Auktionszyklus eine erste Runde mit Ober- und Untergrenzen gibt, die zuvor von der BCV bestimmt werden. Dann wird es eine Art Folge-Runde geben, die als "Kontingent-Auktion" bezeichnet wird, bei der die Grenzen angepasst werden, wenn sie mit dem konkreten Angebot und der Nachfrage nicht zusammenpassen. Also, wenn die Nachfrage die Versorgung übertrifft, gehe ich davon aus, dass sie dem Dollarpreis erlauben, ein wenig zu steigen, und umgekehrt. Auf den ersten Blick scheint dies eine unnötig komplizierte Art zu sein, dem System zu erlauben, sich Schwankungen anzunähern, aber wir müssen sehen, wie es in der Praxis funktionieren wird.

Der Urteilsspruch

Viele Details des neuen Dicom bleiben unklar. Laut Lobo wird der Wechselkurs automatisch durch irgendeinen Algorithmus bestimmt, obwohl wir keine Ahnung haben, was die Berechnung dahinter ist. Er sagte auch, dass die Bandbreite auf der Grundlage verschiedener makroökonomischer Daten angepasst werde; auch dazu sind keine weiteren Details veröffentlicht worden.

Das macht es sehr schwer zu sagen, wie effektiv dieser umgestaltete Dicom sein wird. Realistisch kommt es aber nur auf zwei Faktoren an. Als erstes muss die Regierung in der Lage sein, Bolivar zu einem Kurs zu verkaufen, der mit dem Schwarzmarkt zumindest vergleichbar ist. Das ist eine große Vorgabe, angesichts der Tatsache, dass im März, wie venezuelanalysis.com berichtete, der Dicom-Kurs noch bei 700 BsF zum Dollar stand. Sogar jetzt steht der ursprüngliche Dicom-Kurs immer noch um die 720 BsF zum Dollar. Im Moment haben wir keine Ahnung, ob Dicom dem Schwarzmarktkurs entsprechen kann, gleichwohl es unbestritten ist, wie viel Strecke aufzuholen ist.

Zweitens muss dieses neue System tatsächlich eine ausreichende Versorgung mit ausländischen Devisen garantieren, um die Nachfrage zu befriedigen. Wenn es das nicht kann, wird der Schwarzmarkt weiter florieren. Die bisherigen Reformen haben in dieser Hinsicht wiederholt versäumt zu liefern, und die Regierung kann noch keine zwingenden Gründe benennen, dass diesmal die Dinge anders sein werden.

Was auch immer der Fall ist, sieht dieses neue System für die Idee von Dicom wie ein großer Schritt rückwärts aus, das ursprünglich als eine völlig freier Wechselkurs (ohne Ober- und Untergrenzen) angepriesen wurde. Natürlich könnte man über Simadi, Sitme und Sicad II dasselbe sagen, Systeme, die alle zu einem offenen Devisenmarkt führen sollten. Bestenfalls ist das neue System ein Kompromiss zwischen einem festen Kurs und einer Kursstützung, aber auch das könnte schon optimistisch sein. Wenn die Regierung die Obergrenze nicht in die Nähe des inoffiziellen Kurses bringt, dann werden wir einfach bei allem Währungstausch direkt auf der Grenze landen. In diesem Sinne wird die Obergrenze genau wie eine De-facto-Kursstützung funktionieren, und wir würden wieder zurück auf Los sein.

Als anderer Vorteil des neuen Systems wird angegeben, dass es transparenter sein wird. Zu diesem frühen Zeitpunkt gibt es keinen Grund, dieser Behauptung überhaupt zu glauben. Schließlich stehen die neuen Online-Auktionen unter der Schirmherrschaft des BCV, die bekannt dafür ist, kritische Wirtschaftsdaten nur zu berichten, wenn die Monde von Jupiter perfekt mit der Venus in Reihe sind.

Zusammenfassend, wenn das neue Dicom-System dem Muster folgt, das mit früheren Reformrunden entstanden ist, dann dürfte sich eine vertraute Geschichte entfalten: Die Dinge werden für die ersten Monate laufen, mit vielleicht ein paar erfolgreichen Auktionen. Die Regierung wird den Sieg erklären. Dann, ein paar Monate später, wird das neue System leise aus dem Rampenlicht geschoben, da sich der Wechselkurs erneut von der Realität loslöst und die Devisen versiegen. Und im nächsten Jahr sehen wir eine neue Reformrunde.

Vielleicht ist es diesmal anders, aber es gibt im Moment nicht viel Grund zum Optimismus. In diesem Augenblick gibt es einfach keine Anzeichen dafür, dass das neue Dicom ein Schritt in Richtung eines freien Währungsmarktes ist.

Warum Venezuela einen freien Kurs für den BsF braucht

An diesem Punkt muss ich etwas klar stellen: Es spielt keine Rolle, wo im politischen Spektrum Sie stehen, Sie müssen einfach zustimmen, dass Venezuela grundsätzlich eine Währung braucht. An dieser Schlussfolgerung ist nichts "neoliberal" oder "imperialistisch". Nehmen Sie Mark Weisbrot, ein Ökonom, der weit links von den typischen Zentristen des freien Marktes steht. Er hat schon seit langem überzeugend argumentiert, dass Venezuela in einer Art "Inflations- und Entwertungsspirale" gefangen ist.

"Der schnellste und beste Weg, diesen Zyklus zu brechen, ist, die Währung frei zu geben", sagte er letztes Jahr.

Offensichtlich hat die Regierung Weisbrots Argumentation zumindest gehört. Schließlich war er Mitglied einer Unasur-Gruppe, die beauftragt war, eine Reihe von Vorschlägen vorzulegen, wie Venezuela seine Wirtschaft gesunden kann. Er ist so weit gegangen zu begründen, dass Venezuelas gegenwärtige Wirtschaftskrise teilweise entfacht wurde, nachdem "die Regierung die Verfügbarkeit von Devisen (2012 und Anfang 2013) stark reduziert hatte.“

Heutzutage spornen die von der Regierung für BsF-Inhaber künstlich günstig gehaltenen Wechselkurse weiterhin genau die Spekulation an, die angeblich beendet werden soll. Skrupellose Händler können immer noch Dollar über die billigen offiziellen Kanäle einkaufen, dann verkaufen sie sie auf Venezuelas blühendem Devisenschwarzmarkt zu spekulativen Gewinnen. Wenn Sie zum Beispiel einen Dollar über Dipro für nur zehn BsF kaufen können, warum sollten Sie dann nicht sofort losziehen und den gleichen Dollar für 5.900 BsF auf dem Schwarzmarkt verkaufen? Es ist leicht erworbenes Geld, und es treibt eine spekulative Nachfrage nach Fremdwährung an während es den Bolivar erledigt.

Am schlimmsten ist, dass die Regierung selbst diese spekulative Wirtschaft effektiv subventioniert, weil sie den offiziellen Wert des BsF künstlich hoch hält. Immerhin, in dieser hypothetischen Wechselstube, die oben erwähnt wurde, wer glauben Sie begleicht die Rechnung für die 5.890 BsF, die irgendwie in dünner Luft erschienen? Bei der ersten Beschaffung bietet die Regierung selbst grundsätzlich eine Subvention auf den Kauf von Fremdwährung. Für jede zehn BsF, die der Währungshändler ausgibt, schlägt die Regierung im Grunde 5.890 BsF drauf, um den offiziellen Kurs so günstig zu halten.

Dies ist ein großer Ablass für die Regierung, für wenige deutliche Vorteile.

Kurzum, Venezuelas Wechselkurssystem ist ein Nährboden für Korruption und Spekulation, und es saugt die schwindenden Kassen der Regierung aus, ganz zu schweigen von der Wirtschaft im Allgemeinen. Wie ich schon früher argumentiert habe, gräbt die Regierung, indem sie die Dollarankäufe weiter effektiv subventioniert, ihr eigenes finanzielles Grab.

Das einzige Argument gegen einen freien Wechselkurs ist die Angst, dass dies mehr Inflation auslösen könnte. Aber das ist größtenteils unbegründet. Venezuelas Wirtschaft ist bereits standardmäßig dollarisiert, und fast alle Transaktionen finden auf der Grundlage der Wechselkurse statt, die auf der in Miami ansässigen Schwarzmarktwährungs-Website "Dolar Today" veröffentlicht wurden. Um es unverblümt zu sagen, verlor die Regierung diesen Kampf schon vor Jahren. Jeder weiß das, außer, nehme ich an, Maduro. Auch wenn die Maduro-Regierung den aktuellen Ölpreis-Einbruch tatsächlich überlebt, wird immer noch eine Wechselkurs-Reform nötig sein, bevor es wirklich eine Wende für die Wirtschaft geben kann. Frustrierend aber, dass es nach so vielen Jahren von halbherzigen Maßnahmen und Schritten in die falsche Richtung so scheint, als sei die Regierung einfach nicht bereit, ernsthafte Reformen durchzuführen. Wir gehen einen Schritt vorwärts und zwei zurück hin zu einer wirtschaftlichen Katastrophe. Wenn Lobo für uns nicht einige große Überraschungen in Vorbereitung hat, sind wir dabei, zwei weitere Schritte rückwärts zu machen.

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