Nach gewaltsamen Vertreibungen wegen Bergbau in Kolumbien

Nach 16 Jahren Flucht konnten die Einwohner noch nicht auf ihre Ländereien zurückkehren. Keine Lösung im Konflikt um Bergwerk Cerrejón

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Am 9. August 2001 wurden die letzten Bewohner der Gemeinde Tabaco in Kolumbien gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben
Am 9. August 2001 wurden die letzten Bewohner der Gemeinde Tabaco in Kolumbien gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben

Das Dorf Tabaco in Kolumbien beging am 9. August 2017 einen weiteren Jahrestag der gewaltsamen Enteignung und Vertreibung durch das Kohleunternehmen El Cerrejón und den kolumbianischen Staat. Seit der Zerstörung des afrokolumbianischen Dorfes am 9. August 2001 kämpft die Gemeinschaft für eine Rückkehr auf ein eigenes Territorium, um das angestammte Gemeinschaftsleben weiterführen zu können.

Die damaligen Unternehmen Carbocol S.A. (staatlich) und Intercor (Tochter von Exxon Mobile) begannen 1997 mit individuellen Verhandlungen, damit die Bewohner Haus und Land aufgeben und wegziehen. Da ein Teil der Bevölkerung unter Druck verkaufte und andere Widerstand leisteten, führte dies zu Spannungen und zur Spaltung der Gemeinschaft. Der Druck auf die Verkaufsunwilligen nahm stetig zu, es wurden ihnen die öffentlichen Dienstleistungen gekappt und einzelne Häuser zerstört. Am 9. August 2001 wurden die letzten Bewohner im Rahmen eines Enteignungsprozesses gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben, angeordnet durch einen Richter und ausgeführt durch staatliche Sicherheitskräfte zum alleinigen Nutzen eines Privatunternehmens.

Als Reaktion darauf unternahm die Gemeinschaft verschiedene juristische Schritte, um ihre verletzten Rechte zu schützen. Am 7. Mai 2002 fällte der Oberste Gerichtshof Kolumbiens ein Urteil, in dem er den Bürgermeister anwies, die Gemeinschaft von Tabaco an einem geeigneten Ort wieder aufzubauen und die dazu notwendigen Schritte innerhalb von 48 Stunden zu starten. Bis heute ist dieses Urteil nicht erfüllt worden.

Heute, am 16. Jahrestag der gewaltsamen Vertreibung, befindet sich die Gemeinschaft nach verschiedensten juristischen Schritten und Lobbyaktivitäten an einem wichtigen Punkt, um endlich Wiedergutmachung für das ihr widerfahrene Unrecht zu erhalten. Es gibt nun einen Verhandlungstisch unter Beteiligung der Gemeinschaft, des Unternehmens Cerrejón und staatlicher Vertreter, um die Umsetzung des Abkommens von 2008 zu begleiten.

Noch gibt es aber viele Hindernisse, angefangen mit dem Grundstück, auf dem das neue Tabaco entstehen soll. Seit längerem steht die Finca La Cruz für eine Neuansiedlung im Vordergrund. Diese Finca umfasst 486 Hektar, Cerrejón will nun aber nur rund 180 an die Gemeinschaft übergeben und hat dies auch so dem Bürgermeister präsentiert. Etwa 290 Hektar will Cerrejón in eine Umweltschutzzone umwandeln, wobei es sich genau um das fruchtbarste Land handelt. In einem öffentlichen Akt im Beisein von früheren Führungspersonen von Tabaco hat Cerrejón die Übergabe gefeiert und damit die heutigen, gewählten Vertreter Tabacos ausgebootet.

Die Junta Pro-Reubicación Social kämpft weiterhin für die Übergabe der gesamten 486 Hektar. Die 180 Hektar würden nur gerade für die Häuser, nicht jedoch für landwirtschaftliche Aktivitäten reichen. Selbst die gesamten 486 reichen nicht aus, damit die Gemeinschaft davon leben könnte. Die Junta fordert deshalb Land im Umfang einer Familienbetriebseinheit UAF1 pro Familie, das sind in der Guajira rund 70 Hektar. Wenn alle rund 400 Familien von Landwirtschaft und Viehzucht leben möchten wie früher, bräuchte die Gemeinschaft also gegen 30.000 Hektar Land. Samuel Arregoces, eine der Führungspersonen der Junta Pro-Reubicación betont, dass Cerrejón große Mengen an Land besitze, die es nicht für Bergbau brauche und woraus den Gemeinschaften landwirtschaftliches Land zugeteilt werden könnte.

Zu Tabaco sind weitere Verfahren anhängig, die nun vom Verfassungsgericht in die Hand genommen wurden, weshalb sich Cerrejón bemüht, noch rasch einen Teil der Verpflichtungen zu erfüllen; nebst der Bereitstellung des Landes ist es der Bau einer Gemeinschaftsinfrastruktur, eines Gemeinschaftszentrums. Für die Junta Tabacos kommt dieser Schritt aber zu früh. Zuerst muss geklärt werden, wer alles umgesiedelt werden will, d.h. wie viele Familien die Gemeinschaft heute umfasst. Die Gemeinschaft will dazu selber eine Erhebung durchführen und auch nach eigenen Kriterien bestimmen, wer Anspruch auf eine Ansiedlung im neuen Tabaco hat und diese Entscheidung nicht der Mine überlassen, da Cerrejón immer wieder viele Familien einer Gemeinschaft ausschloss.

Ebenso muss geklärt werden, was für eine Art Umsiedlung die Gemeinschaft will, kollektiv oder individuell. Die Junta hat die negativen Beispiele der anderen umgesiedelten Gemeinschaften vor Augen und hat klar, dass sie keine solche Umsiedlung will. Sie wollen von Anfang an genügend Land für landwirtschaftliche Projekte, um ein gesichertes Einkommen zu haben. Zudem studieren sie verschiedene Haustypen in verbesserter traditioneller Bauweise. Reihenhaussiedlungen aus Zement und Blechdächer wie beispielsweise in Roche und Casitas wollen sie nicht. Auch soll das Gemeinschaftszentrum anders werden als in den bisher umgesiedelten Gemeinschaften, wo viel Geld in Zentren investiert wurde, die den Gemeinschaft nicht gefallen. Tabaco schwebt ein Zentrum vor, das touristisch genutzt werden kann, als Erinnerungsort dient und der Vermarktung der Produkte Tabacos dient. Zudem ist immer noch eine höchstrichterliche Entscheidung ausstehend, die Tabaco als afrokolumbianische Gemeinschaft mit Anspruch auf eine vorherige Anhörung und freie und informierte Zustimmung anerkennen sollte. Die Frage, wie eine ethnische Gemeinschaft über 15 Jahre nach einem Ereignis nachträglich statt vorab konsultiert werden soll, wird juristisch wegweisend sein.

Samuel Arregocés war bei einem kürzlich in Deutschland geführten Gespräch trotz all dieser anstehenden Probleme zuversichtlich. Die neue Führung der Gemeinschaft Tabaco arbeitet als eingespieltes Team und hat den Rückhalt der Gemeinschaft, die in alle Entscheidungen einbezogen wird. Die Gemeinschaft ist heute geeinter und stärker als in all den Jahren zuvor. Zudem merken viele ehemalige Bewohner von Tabaco, dass die bisherigen Maßnahmen von Cerrejón ihnen keine langfristigen Perspektiven boten, z.B. das von Cerrejón initiierte Netz zur Entwicklung von Tabaco, eine Art Mikrokreditprojekt. Ebenfalls sehen die Tabaqueños die negativen Beispiele und Misserfolge der anderen Umsiedlungen, die Cerrejón in der Guajira durchführte und wissen, für welche ausschlaggebenden Punkte die kämpfen müssen. Tabaco - wie auch all die anderen Gemeinschaften - braucht aber weiterhin unsere volle Unterstützung und Begleitung, um seine Ziele zu erreichen.

  • 1. Konzept des kolumbianischen Instituts für Agrarreform: dies ist die Menge Land, das eine Familie benötigt, um genügend Geld für Konsum und Investition zu erwirtschaften, entspricht vier Mindestlöhnen
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