Venezuela / Politik

Venezuela: "Sie wollen meine Kandidatur unsichtbar machen"

Interview mit Eduardo Samán, der als linkschavistischer Kandidat in Caracas die Regierung herausfordert

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Eduardo Samán im Wahlkampf für das Bürgermeisteramt im Bezirk Libertador der Hauptstadt von Venezuela, Caracas
Eduardo Samán im Wahlkampf für das Bürgermeisteramt im Bezirk Libertador der Hauptstadt von Venezuela, Caracas

Kurz nach den verlorenen Regionalwahlen Mitte Oktober verkündeten die größten Oppostionsparteien in Venezuela ihren Boykott der Kommunalwahlen am 10. Dezember. Dadurch haben sich Räume für alternative Kandidaturen im linken Spektrum geöffnet. Interessant ist die Situation im Municipio Libertador in Caracas. Die chavistische Hochburg erstreckt sich im Westen der Hauptstadt, dort liegen unter anderem die Altstadt, das rebellische Viertel 23 de enero sowie die meisten Regierungsgebäude. Neben der Kandidatin der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), Erika Farias, treten hier unter anderem der Linkschavist Eduardo Samán sowie der Mitte-Links-Kandidat Nicmer Evans für die christliche Partei "Neue Vision für mein Land" (Nuvipa) an, der bis Juli dieses Jahres der PSUV-Abspaltung Marea Socialista (Sozialistische Flut) angehörte.

Eduardo Samán genießt die Sympathie zahlreicher Basisbewegungen und -aktivisten. Zwischen 2008 bis 2010 sowie 2013 und 2014 leitete der Pharmazeut die Verbraucherschutzbehörde Indepabis, von 2009 bis 2010 war er kurzzeitig Handelsminister. Vor allem aufgrund seines Eintretens gegen korrupte Strukturen im Lebensmittelsektor machte sich der 53-jährige einen Namen. Innerhalb der PSUV eckte er hingegen immer wieder an. Im vergangenen Juni verließ er die Regierungspartei und schloss sich der kleineren chavistischen Partei PPT (Heimatland für alle) an, die aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen ist. Neben der PPT steht auch die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) hinter Samáns Kandidatur.

Bei der Bürgermeisterwahl in Caracas treten Sie als Chavist gegen die Regierungskandidatin Erika Farías an. Wie kam es dazu?

Weder ich noch die Parteien PPT und PCV hatten ursprünglich die Absicht, gegen die PSUV zu kandidieren. Das Ziel war, wie bei vorangegangenen Wahlen im Bündnis Großer Patriotischer Pol gemeinsam anzutreten. Doch nachdem die wichtigsten rechten Oppositionsparteien einen Boykott der Kommunalwahlen ankündigten, hat die Regierungspartei in den meisten Gemeinden keine echte Konkurrenz mehr. Deshalb zeigte sie keinerlei Interesse daran, sich mit den verbündeten Parteien abzustimmen, sondern setzte auf überhebliche Art und Weise die eigenen Kandidaten von oben durch.

Was meinen Sie mit überheblich?

Die PSUV hat nicht verhandelt, sondern gesagt: Entweder ihr unterstützt unsere Kandidaten oder nicht. Damit hat die Regierungspartei die kleineren Bündnispartner, ohne deren Stimmen sie bei den Regionalwahlen im Oktober in mindestens vier zusätzlichen Staaten verloren hätte, vor den Kopf gestoßen. Nachdem PPT und PCV mich aufgestellt hatten, gab es seitens der PSUV dann ein schäbiges Angebot. Im Gegenzug dafür, dass sie meine Kandidatur zurückziehen, wollte die Regierungspartei in gut 20 Gemeinden plötzlich die Kandidaten von PPT und PCV unterstützen. Beide Parteien haben das das strikt abgelehnt. Und der Nationale Wahlrat (CNE) wollte meine Kandidatur ursprünglich gar nicht zulassen. Erst nach Protesten tat er dies dann doch, aber ich erscheine nicht auf dem Bildschirm der Wahlmaschinen.

Sondern?

PPT und PCV hatten sich für die Wahlen mit eigenen Kandidaten als Platzhalter registriert, hätten diese aber im Falle einer Übereinkunft mit der PSUV wieder zurückgezogen. Nachdem daraus nichts geworden ist, wollten sie die jeweiligen Kandidaten durch meinen Namen ersetzen. Aber der CNE verhinderte dies aufgrund vorgeschobener, technischer Gründe. Dabei würde es fünf Minuten dauern, meinen Namen einzufügen und die Verwirrung zu beenden.

Das heißt, wer Samán wählen will, muss am Bildschirm auf einen anderen Namen klicken?

Genau. Ich bin der einzige Kandidat, dessen Name dort nicht erscheint. Die große Herausforderung unseres Wahlkampfes ist es, die Menschen darüber aufzuklären, dass sie mich wählen, wenn sie PPT und PCV ihre Stimme geben. Wer versteht, was da vor sich geht, ist häufig derart empört, dass er mich erst Recht unterstützt. Wir müssen auch gezielt gestreuten Gerüchten entgegen treten, wonach ich angeblich meine Kandidatur zurück gezogen hätte. Das ist alles nicht einfach, zumal ich einer medialen Blockade ausgesetzt bin.

Inwiefern?

Die staatlichen Medien haben die Anweisung, nicht über mich zu berichten und die privaten erhalten Drohungen. Das Ziel besteht darin, meine Kandidatur unsichtbar zu machen. Wir sind vor allem auf der Straße, in sozialen Medien und dem kleinen Sektor der kommunitären Medien präsent. Durch mutige Journalisten gelingt es aber manchmal, die Blockade in den klassischen Medien zu durchbrechen. Ende November sendete der staatliche Fernsehsender Vive TV zum Beispiel ein Interview mit mir. Es war das erste Mal, dass ich im staatlichen Fernsehen auftrat. Anschließend wurden die dafür Verantwortlichen entlassen, obwohl sie sich einfach demokratisch verhalten haben. Die meisten der Mitarbeiter von Vive TV stehen hinter meiner Kandidatur. Das gleiche gilt für die Mehrheit der Mitarbeiter des Nationalen Wahlrates, nicht aber für die hohen Funktionäre.

Warum wehrt sch die PSUV derart gegen Ihre Kandidatur, wovor hat die Regierung Angst?

In der Partei haben reformistische Strömungen die Oberhand gewonnen, die eine kapitalistische Modernisierung anstreben. In der Verfassunggebenden Versammlung wird derzeit zum Beispiel über ein Gesetz diskutiert, das ausländischen Investoren Anreize bieten soll, ohne dass bisher nähere Details bekannt sind. Ich glaube hingegen an einen Sozialismus von unten, einen Sozialismus der Arbeiterinnen und Arbeiter. Das Bürgermeisteramt des Municipio Libertador ist ohne Zweifel der bedeutendste Posten innerhalb von Caracas. Es geht der PSUV aber in diesem Fall gar nicht in erster Linie um dieses Amt. Innerhalb der Partei haben sie schlicht Angst davor, dass sich eine neue linke, marxistische Referenz innerhalb des Chavismus herausbildet.

Abgesehen von dieser symbolischen Bedeutung der Wahl. Was ist ihr konkretes Programm für Caracas?

Ein Programm arbeiten wir kollektiv in Versammlungen aus. Zuallererst muss es darum gehen, die Lebensadern der Stadt zu retten. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Elektrizität wurde völlig vernachlässigt. Und wegen der prekären Sicherheitslage schließen wir uns in Caracas nach 18 Uhr zu Hause ein. Caracas hat sich im Schatten des Erdölbooms entwickelt, doch das Erdöl generiert nicht mehr ausreichend Einnahmen. Deshalb müssen wir die Stadt neu denken. Wir müssen aus Caracas eine produktive Stadt machen, die nicht mehr von der Erdölrente abhängt und in der es Arbeit gibt, die nicht auf Ausbeutung basiert. Dabei spielt neben dem Aufbau von Industrien auch die urbane und semiurbane Landwirtschaft eine Rolle.

Die rechte Opposition ist derzeit zwar geschwächt, das chavistische Projekt ist aufgrund äußerer Faktoren und eigener Fehler aber dennoch bedroht. Was muss passieren, um den bolivarischen Prozess zu retten?

Es darf nicht darum gehen, sich der rechten Opposition anzunähern und Konzessionen zu machen. Die politische Führung muss der Bevölkerung vertrauen und die Revolution vertiefen. Und die chavistische Bevölkerung fordert nicht ein Mehr an Kapitalismus, sondern an Sozialismus.