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Ecuadors Bürgerrevolution bildet Strukturen in Europa

Verteidigung gegen politische Verfolgung und Rückgewinnung der politischen Offensive zentrale Themen eines Treffens in Belgien

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In Arbeitsgruppen wurden verschiedene Themenbereiche zur politischen Strategie, inhaltlichen Ausrichtung und den Möglichkeiten des Aufbaus von Parteistrukturen diskutiert
In Arbeitsgruppen wurden verschiedene Themenbereiche zur politischen Strategie, inhaltlichen Ausrichtung und den Möglichkeiten des Aufbaus von Parteistrukturen diskutiert

In der belgischen Hauptstadt Brüssel fand am vergangenen Wochenende ein Treffen von Aktiven der ecuadorianischen Bürgerrevolution aus verschiedenen europäischen Ländern statt, das vor allem für die Repräsentanten ihrer jeweiligen Basisgruppen und zum Zweck des Parteiaufbaus in Europa gedacht war. Als Bürgerrevolution wird das linksgerichtete Projekt der politischen Bewegung und Bündnispartei Alianza País aus der Amtszeit Correas bezeichnet.

An der Zusammenkunft nahm auch der ehemalige Präsident von Ecuador, Rafael Correa teil, der mehrfach betonte, nicht die Rückkehr in das Präsidentenamt anzustreben.

Seit Lenín Moreno mit Hilfe der Wahlbehörde die Kontrolle der Regierungspartei Alianza País übernommen hat, ist die ehemalige Mehrheitsfraktion im Parlament gespalten. Versuche der Unterstützer der Bürgerrevolution, eine neue Partei zu gründen werden seitdem von den Behörden blockiert. Durch Bündnisse mit anderen Parteien werde man aber an den Regional- und Kommunalwahlen im kommenden Jahr teilnehmen.

Mit der Abkehr Morenos von der progressiven Politik der Vorgängerregierung geht auch die Nutzung der Justiz zur Verfolgung einer Vielzahl von ehemaligen Funktionären unter Correa einher. Der gewählte Vizepräsident Jorge Glas wurde mit unbewiesenen Korruptionsvorwürfen inhaftiert. Gegen den Ex-Präsidenten selbst wurde ein Haftbefehl erlassen. Die Staatsmedien wurden einer "Säuberung" unterzogen, so dass sie sich kaum von den liberal-konservativen Privatmedien unterscheiden. Die Unterstützer Correas werfen Moreno deshalb Verrat vor, seine politische Kehrtwende und die Verfolgung ehemaliger Weggefährten werfen Fragen auf.

Auch angesichts der Bündnisse mit rechten Sektoren, scheint Moreno gezielt gegen die Bürgerrevolution positioniert zu sein. In Ecuador fand demnach kein herkömmlicher Putsch statt, kein parlamentarisch-jurustischer Putsch wie in Brasilien, sondern ein Umsturz der besonderen Art – eine Art "Troja-Putsch".

In kleineren Arbeitsgruppen wurden verschiedene Themenbereiche zur politischen Strategie, inhaltlichen Ausrichtung und den Möglichkeiten des Aufbaus von Parteistrukturen diskutiert und schließlich im Plenum vorgestellt. Deutlich wurde der große Wunsch nach inklusiven Strukturen und Möglichkeiten der politischen Fortbildung. Correa betonte die Bedeutung der Migranten für Ecuador und ihren politischen Einfluss.

Der Ex-Präsident ging hart mit seinem Nachfolger Moreno ins Gericht. Besonders betonte er die Zerstörung rechtsstaatlicher Grundlagen durch den Übergangsrat für Bürgerpartizipation und soziale Kontrolle (CPCCS-T). Dessen Mitglieder waren nach einer ohne die vorgesehene Kontrolle auf Verfassungskonformität durchgeführten Volksabstimmung eingesetzt worden. Moreno hatte sich das Vorschlagsrecht für die Mitglieder gesichert. Durch seine Allianz mit rechten Parteien und anderen Gegnern der Vorgängerregierung konnte er politische und persönliche Widersacher des ehemaligen Präsidenten in strategisch wichtige Positionen setzen. Klare Kriterien für die Evaluierung wurden nicht festgelegt, stattdessen begann der neu besetzte CPCCS-T damit, sich weitere Kompetenzen anzueignen. In der Folge entstand ein CPCCS-T, dessen Präsident Julio César Trujillo das Gremium für im Zweifel über der Verfassung stehend sieht und ein Land ohne Verfassungsgericht: Offiziell wird hier von einer institutionellen Vakanz gesprochen.

Immer wieder betonte Correa, dass sein ehemaliger Vizepräsident im Korruptionsfall Odebrecht ohne Beweise verurteilt worden sei.

Eine wichtige Grundlage der Anklage war die Aussage des Odebrecht-Managers Conceicao Santos. Offenbar als Teil der Absprache wurde gegen die Manager des brasilianischen Konzerns keine Anklage erhoben. Als für die Durchführung großer Infrastrukturprojekte zuständiger Koordinierungsminister für Strategische Angelegenheiten und als danach für diese Aufgaben zuständiger Vize-Präsident, war Glas bereits während des Wahlkampfs zur Zielscheibe von Korruptionsanschuldigungen geworden.

Der Konflikt zwischen Moreno und Glas hatte sich allerdings zugespitzt, nachdem letzterer frontal einen geheimen Pakt der Regierung Moreno mit Abdalá Bucaram und die entsprechende Vergabe zentraler Posten beim staatlichen Energieversorger CNEL EP kritisiert hatte. Am 4. August erklärte Moreno schließlich, leider zeige der Finger immer deutlicher auf den Vize. Glas wurde am Ende wegen der angeblichen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu sechs Jahren Haft verurteilt. Dabei fand - entgegen dem Günstigkeitsprinzip - ein bereits nicht mehr gültiges Strafmaß Anwendung. Dies ermöglichte dann die Absetzung von Glas als Vizepräsident.

In Brüssel war das Schicksal von Jorge Glas stets ein zentrales Thema. Glas, der selbst um die Aufhebung seiner Immunität gebeten hatte, um sich der ecuadorianischen Justiz zu stellen, befindet sich bereits mehrere Wochen im Hungerstreik. In dieser Form des Protests sah er offenbar die einzige verbleibende Möglichkeit, gegen seine Verlegung in ein Hochsicherheitsgefängnis bei Latacunga, südlich von Quito, zu protestieren. Vorher war er in Quito inhaftiert gewesen. In Latacunga sieht Glas seine Gesundheitsversorgung aufgrund einer dokumentierten Immunschwächekrankheit in Zusammenhang mit der dortigen Überbelegung nicht als gewährleistet, zudem verstößt die Verlegung dem Prinzip, wonach Häftlinge dort festgehalten werden müssen, wo der Zugang von Angehörigen am einfachsten ist. Inzwischen musste er zur medizinischen Notbehandlung der Folgen des Hungerstreiks in ein Krankenhaus in Quito gebracht werden, ohne dass dies zu einer Reaktion der Behörden geführt hätte. Glas‘ Mutter, Norma Espinel, beschuldigte die Regierung Moreno, dass man ihr ihren Sohn offenbar tot übergeben wolle.

Dass es sich bei der Verlegung um eine Vergeltungsmaßnahme der Regierung Moreno handelte, liegt auf der Hand: Kurz zuvor war es dem ehemaligen Leiter des Sekretariats für Kommunikation (SECOM) Fernando Alvarado gelungen, trotz elektronischer Fußfessel ins Ausland zu fliehen. Im Zusammenhang mit der Anklage gegen Alvarado war zudem Untersuchungshaft gegen fünf weitere ehemals bei SECOM angestellte Journalisten erlassen worden. Hintergrund sind vermeintliche Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe kleinerer Consultant-Verträge. Die betroffene Firma Gota Azul erklärte aber bereits, von Andrés Michelena, dem heutigen Chef der SECOM, unter Vertrag genommen worden zu sein.

Zu den gegen ihn selbst laufenden Strafverfahren erklärte Correa, dass er sich in Belgien, wo er seit Ende seiner Amtszeit mit seiner Familie lebt, sicher fühle. Auch die Möglichkeit, in Belgien Asyl zu beantragen, analysiere er weiter. Er rief dazu auf, die politischen Gefangenen in Ecuador nicht zu vergessen.

Ecuadors Behörden haben bisher erfolglos versucht, gegen Correa einen internationalen Haftbefehl bei Interpol zu erwirken. Hintergrund ist der so genannte Fall-Balda, in dem Correa beschuldigt wird, die Entführung des damals bereits polizeilich gesuchten Oppositionspolitikers Fernando Baldo in Kolumbien angeordnet zu haben. Auch hier liegen keine Beweise, sondern lediglich widersprüchliche Zeugenaussagen vor.

Correa betonte, dass es sich im Kern um ein politisches Problem handele. Auf der politischen Ebene müsse man möglichst bald wieder in die Offensive gelangen. Die Schwäche der Regierung Moreno, ihre Handlungsunfähigkeit und fehlende Umsetzung von Investitionen sowie der Pakt mit rechten Parteien und der Bankenlobby seien inzwischen deutlich sichtbar.