Brasilien / Politik

Brasilien: Kampf der Korruption oder Komplott gegen die Demokratie?

Chatprotokolle bringen Brasiliens Justizminister in Bedrängnis

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Justizminister Sergio Moro feiert mit der Festnahme einen vermeintlichen Erfolg. Ein Ablenkungsmanöver?
Justizminister Sergio Moro feiert mit der Festnahme einen vermeintlichen Erfolg. Ein Ablenkungsmanöver?

Ist die Präsidentschaft des politischen Rechtsaußen Jair Bolsonaro auf einen Justiz-Komplott gegen Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva zurückzuführen? Berichte auf The Intercept legen dies nahe. Der Enthüllungsplattform wurde brisantes Material zugespielt, das eine politisch-ideologische Agenda hinter den "Operation Waschanlage" (Lava Jato) getauften Korruptionsermittlungen seit 2014 bestätigt. Im Mittelpunkt des Skandals steht Lulas Richter und Jair Bolsonaros Justizminister Sergio Moro. Chat-Protokolle zwischen Moro, dem leitendem Staatsanwalt Deltan Dallagnol und weiteren Staatsanwälten zeigen, dass Moro seine Befugnisse als Richter grob verletzt hat. Statt die richterliche Neutralität zu wahren, engagierte er sich als Stichwortgeber und Berater der Anklage. Allem Anschein nach war das zentrale Ziel der Ermittler, Lula hinter Gitter zu bringen, seine Kandidatur bei den Wahlen 2018 zu blockieren und eine Rückkehr der Arbeiterpartei (PT) an die Macht zu verhindern.

In Brasilien und Lateinamerika schlagen die Enthüllungen bereits hohe Wellen.

Besonders scharf reagierte der in Deutschland promovierte kritische Soziologe Jessé Souza: "Wie ich in unzähligen Texten und Büchern in den letzten fünf Jahren immer wieder angeprangert habe, ist die 'Operation Waschanlage' der größte Betrug der brasilianischen Geschichte! Hinter einem falschen Moralisten steckt immer ein Schurke! Leser, mein Freund, wer hat es verdient an Lulas Stelle ins Gefängnis zu gehen?", schrieb der Bestsellerautor auf Twitter. Der mutige und verantwortungsbewusse Journalismus Greenwalds könne die Geschichte Brasiliens verändern, äußerte sich Souza in seinem Youtube-Kanal.

Sergio Moro reagierte bereits auf die Berichte. Die Informationen seien durch illegale Überwachung von einem Handy des Staatsanwalts gewonnen worden, die Enthüllungen sensationalistisch und seine Äußerungen aus dem Kontext gerissen. Es gebe keine Zeichen für eine Anomalie in dem Verfahren und die Berichte ignorierten, "das gigantische Korruptionsschema, das durch die Operation Waschanlage aufgedeckt wurde".

In sozialen Netzwerken versuchen Moros Unterstützer derweil die Glaubwüdigkeit des in Brasilien lebenden Journalisten und The Intercept-Gründers Glenn Greenwald in Frage zu stellen. Dazu nutzen sie, dass er mit dem sozialistischen Abgeodneten David Miranda verheiratet ist. Greenwald selbst betont das Wesentliche: "Sie sagen, dass mein Mann und ich linksgerichtet sind, aber weder Moro noch die Operation Waschanlage sagen, dass die Argumente [der Berichte] falsch sind."

Bei kritischen Beobachtern stand "Lava Jato" von Anfang an in der Kritik: Politische Einseitigkeit, die Verletzung von Verfassungsgarantien und illegale Leaks an die Presse hatten die Ermittlungen gepägt. Zweifellos stand für die Anklage häufig die mediale Inszenierung im Vordergrund, die insbesondere durch den Medienkonzern Grupo Globo enthusiastisch aufgegiffen wurde.

Die Anklage gegen Lula wurde in einer berüchtigten Pressekonferenz öffentlich gemacht. Dallagnol bauschte vermeintliche Indizien gegen Lula auf einer Power-Point-Folie auf. "Lula" stand in einer blauen Schriftblase inmitten von 14 weiteren Schriftblasen, in denen "unerlaubte Bereicherung", "Lulas Reaktion" oder "Bestechungsherrschaft" zu lesen lesen war. Alle Pfeile zeigten auf "Lula", der so als Strippenzieher einer kriminellen Vereinigung dargestellt wurde. Offensichtlich sollte durch diese Inszenierung von fehlenden Beweisen abgelenkt werden. Moro stärkte Dallagnol mit einer Chat-Nachricht den Rücken: "Auf jeden Fall ist die Kritik an deiner Präsentation unverhältnismäßig. Bleib standhaft!", schrieb er dem leitenden Staatsanwalt.

Während sich die Strafverfolger nach außen sicher gaben, hatten sie selbst ehebliche Zweifel. "Er (Dallagnol) war sich unsicher, was den zentralen Punkt der Anklage betrifft, die von ihm und seinen Kollegen unterzeichnet werden sollte: Dass Lula als Geschenk eine Triplex-Wohnung am Strand von Guarujá erhalten hatte, nachdem er den Auftragnehmer [die Baufirma] OAS in Verträgen mit [dem Staatskonzern] Petrobras bevorzugt hatte", berichtet The Intercept. Nur durch die Verbindung zu Petrobras konnten die Ermittler aus Curitiba gegenüber der Staatsanwaltschaft von São Paulo auf ihre Zuständigkeit pochen. Moro verurteilte Lula schließlich zu neun Jahren und sechs Monaten Haft. Kurz darauf wurde die Haftstrafe durch ein Berufungsgericht auf zwölf Jahre und einen Monat erhöht. Die Entscheidungen Moros seien gerecht und neutral gewesen, so der vorsitzende Richter des Berufungsgerichts. Doch einer der drei Berufungsrichter war ein persönlicher Freund Moros und der vorsitzende Richter räumte später ein, erst im Nachhinein Zugang zu den "Beweisen" erhalten zu haben.

Für die brasilianische Rechte wurden die Strafverfolger aus Curitiba und Richter Moro zu Helden, schließlich war es ihnen gelungen, Lula zu Fall zu bringen.

Gleichzeitig wiesen sie Parteilichkeit stets von sich. Tatsächlich hat die "Operation Waschanlage" auch mächtige konservative Politiker hinter Gitter gebracht und massive Korruption ans Licht der Öffentlichkeit befördert. Was häufig als Beweis für die Unabhängigkeit der Justiz angeführt wird, stärkte die Inszenierung als mutiger Kampf gegen ausufernde Korruption. Nutznießer war Jair Bolsonaro. Der langjährige ultrarechte Abgeordnete inszenierte sich als politischen Außenseiter und Anti-Politiker, der hart durchgreifen und für Ordnung sorgen würde. Nachdem Lula von den Wahlen 2018 ausgeschlossen war, konnte er sich gegen den ehemaligen Bürgermeister São Paulos und Ersatzkandidaten der Arbeiterpartei Fernando Haddad durchsetzen.

Auch in Haft hatte Lula in allen Umfragen unangefochten geführt, bis seine Kandidatur durch das oberste Wahlgericht verhindert wurde.

Nach dem Sieg des Rechtsaußenkandidaten Bolsonaro wurde der lange auch in internationalen Medien gefeierte Sergio Moro mit dem Justizministerium belohnt.

Während Lula auf eine baldige Freilassung hoffen kann, dürfte es für den vermeintlichen Saubermann Moro nun ungemütlich werden. Glenn Greenwald hat bereits weitere brisante Veröffentlichungen angekündigt.

Quellen:

https://www.brasil247.com/pt/247/brasil/396147/Jessé-está-provado-que-a-Lava-Jato-foi-o-maior-engodo-da-história-do-País.htm

https://www1.folha.uol.com.br/internacional/en/brazil/2018/09/high-court-bars-lula-candidacy.shtml

https://www.brasil247.com/pt/247/brasil/396337/Greenwald-Globo-é-sócia-e-agente-da-Lava-Jato.htm

https://www.brasil247.com/pt/247/brasil/396236/Greenwald-tem-mais-provas-contra-Sérgio-Moro.htm?utm_source=social_monitor&utm_medium=widget_vertical

https://theintercept.com/2019/06/09/dallagnol-duvidas-triplex-lula-telegram-petrobras/

https://piaui.folha.uol.com.br/eles-vao-julgar-lula/

https://www.brasil247.com/pt/247/brasil/396337/Greenwald-Globo-é-sócia-e-agente-da-Lava-Jato.htm

https://www.youtube.com/watch?v=QJXOum1BRVg