Am 28. April jährte sich zum dritten Mal der Beginn des bisher größten Nationalstreiks (Paro Nacional) in Kolumbien.
Fast drei Monate lang waren mehrere Großstädte lahmgelegt, es kam landesweit zu Arbeitsniederlegungen, Straßenblockaden, zum Schluss wurde die Versorgung der Bevölkerung in den stark betroffenen Regionen selbst mit Grundnahrungsmitteln knapp. Der zündende Funke für die Protestwelle war die neoliberale Steuerreform des damaligen Präsidenten Iván Duque.
Nach Angaben des Instituts für Entwicklungs- und Friedensstudien (Indepaz) starben in jenen Tagen in Kolumbien mehr als 80 Menschen gewaltsam, zumeist durch polizeiliche Repression, davon 46 in Cali. Am 2. Mai starb der internationale bekannte Graffitikünstler Nicolas "Flex" Guerrero. Am 3. Mai wird den vier von Polizisten ermordeten Jugendlichen des Massakers in Siloé gedacht.
Senatorin María José Pizarro vom linken Parteienbündnis Pacto Histórico (Historischer Pakt) erinnerte: "Vor drei Jahren begann die größte soziale Aufruhr unserer Zeit. Wir sind mit Würde und erhobenen Hauptes auf die Straße gegangen, um unsere Rechte zu verteidigen".
Der Paro Nacional wird von vielen Analysten als wichtiger Anstoß für den Regierungswechsel gesehen und daher bis heute viel diskutiert. Im ganzen Land finden Gedenkveranstaltungen statt, die Medien greifen das Thema auf und Nichtregierungsorganisationen laden zu Diskussionsveranstaltungen ein.
Gustavo Petro und Francia Márquez wurden zu den Figuren des Wandels. Die Wahl gewannen sie vor allem auch dank der großen Unterstützung durch die historisch marginalisierten Regionen, die sozialen Bewegungen und die Jugend.
In seiner Antrittsrede versicherte Petro, dass eine der Prioritäten seiner Regierung die Freiheit der im Streik inhaftierten Demonstranten sei. In den Monaten nach dem Streik hatte die Staatsanwaltschaft die Verhaftung von 1.400 Personen angeordnet, von denen 301 im Gefängnis landeten. Nach Angaben verschiedener Organisationen befinden sich derzeit immer noch 85 Personen in Untersuchungshaft und 35 in Hausarrest.
Bis heute herrscht in den Fällen der 80 Ermordeten absolute Straffreiheit, es gab bisher keine Verurteilungen und die Nachforschungen laufen schleppend. Bis heute dauert der Kampf der Opfer um Gerechtigkeit und Wahrheit an. Heidy Sánchez Barreto, Stadträtin in Bogotá vom Pacto Histórico betonte: "Wir fordern weiterhin Gerechtigkeit für die Opfer und eine strukturelle Reform der Polizei. Niemand soll mehr sterben, wenn er seine Rechte einfordert".
Vor allem viele junge Menschen hat das massive Vorgehen der Polizei vor drei Jahren schockiert. Die damalige Politisierung führt dazu, dass die Teilnahme bei Protesten und Demonstrationen angestiegen ist.
Ein Beispiel dafür ist die Mobilisierung am 1. Mai, die als Kräftemessen der politischen Strömungen im Land gelesen werden kann.
Am Internationalen Tag der Arbeit hielten die wichtigsten kolumbianischen Gewerkschaften ihre traditionellen Maidemonstrationen in verschiedenen Städten ab. In nahezu allen größeren Städten wurde eine massive Teilnahme beobachtet, nicht nur Gewerkschaften, auch afrokolumbianische Organisationen, Frauengruppen, Indigene und Studierende nahmen teil.
Auch andere Demonstrationen sind seit den Protesten 2021 viel größer als zuvor, vor allem weil der Regierungswechsel vielen Menschen die Angst genommen hat, sich politisch zu äußern. So ist zum Beispiel der vorher wenig beachtete Tag des Gay Pride zu einer riesigen Party angewachsen. Die politische Landschaft in Kolumbien hat sich nachhaltig verändert.
Cali war eines der Epizentren des Nationalstreiks: Massendemonstrationen und Blockaden vor allem von jungen Student:innen, Lehrer:innen und sozialen Organisationen legten die Stadt wochenlang lahm. In der Stadt herrscht heute trotz der schmerzlichen Gedenken an die vielen Toten eine Atmosphäre der Hoffnung. "Versöhnung" ist vielleicht das häufigst gebrauchte Wort zum dritten Jahrestag. Die zwei Monate massiver Gewalt gegen die Bevölkerung haben hier besonders zu einer starken Politisierung geführt. Am Gedenktag wurden in den ehemals als Widerstandsorte bezeichneten Blockadepunkten Konzerte und Partys gefeiert.