Mexiko / Politik

Zwischen Ideologie und Pragmatismus: Mexikos Präsident und die internationale Politik

Andrés Manuel López Obrador ist es gelungen, doktrinäre Barrieren zu überwinden, ohne sich mit seinen historischen Gegnern zu verbünden

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Am 1. September legte López Obrador seinen 6. und letzten Regierungsbericht vor
Am 1. September legte López Obrador seinen 6. und letzten Regierungsbericht vor

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador beendet am 30. September seine sechsjährige Amtszeit. Sie war voller Bewegungen, die mit seiner fortschrittlichen Ideologie einhergingen, und voller Stellungnahmen, die den idealistischen Grundsätzen des linken Führers entsprachen. Doch in seiner Amtszeit gab es auch Momente, in denen der Pragmatismus die Oberhand gewann.

Schauen wir uns das an.

Progressismus1

Das erste, was man aus López Obradors internationalem Management herauslesen kann, ist seine Solidarität mit linken Regierungen und Anführern, die von der internationalen Rechten bedrängt werden.

Um an seine Außenpolitik zu erinnern: Eine seiner wichtigsten Aktionen war der Schutz und die Unterstützung des ehemaligen bolivianischen Präsidenten Evo Morales, als dieser durch einen Staatsstreich im Jahr 2021 abgesetzt und ins Exil getrieben wurde.

Bei dieser Gelegenheit versuchten einige Nachbarländer, die Rettung zu vereiteln, aber Mexiko manövrierte so lange, bis es sein Ziel erreicht hatte. Bei dieser Gelegenheit räumte der bolivianische Politiker ein, dass López Obrador ihm das Leben gerettet hat, weil er es geschafft habe, mehrere Regierungen davon zu überzeugen, dass das Flugzeug ihr Territorium überfliegen durfte.

López Obrador hatte eine ähnliche Haltung gegenüber der Correa-Bewegung der Bürgerrevolution in Ecuador. In der Tat wurde der mexikanische Präsident zu einer Art Beschützer der Anhänger des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa, die verfolgt und inhaftiert wurden.

Der kritischste Moment war, als der ehemalige ecuadorianische Vizepräsident Jorge Glas in der mexikanischen Botschaft Zuflucht suchte, die jedoch von Polizeikräften auf Befehl der Regierung von Daniel Noboa gestürmt wurde.

Der Überfall auf die mexikanische Botschaft am 5. April dieses Jahres hatte zur Folge, dass Glas mit Gewalt inhaftiert und das Botschaftspersonal tätlich angegriffen wurde. Dies führte zum derzeitigen Abbruch der Beziehungen und zu einer noch nie dagewesenen Spannung zwischen den beiden Ländern.

López Obrador kritisierte auch den Staatsstreich gegen den peruanischen Präsidenten Pedro Castillo im Dezember 2022 und die Interimspräsidentschaft von Dina Boluarte scharf. Die Spannungen sind nach wie vor hoch, und die diplomatischen und Handelsbeziehungen befinden sich auf einem historischen Tiefstand.

Ein weiterer Höhepunkt war die Organisation des Gipfeltreffens der Präsidenten der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) im Jahr 2021, zu einem Zeitpunkt, als diese multilaterale Institution einen starken Niedergang erlebte. Dem mexikanischen Staatschef gelang es, 17 Präsidenten unterschiedlicher ideologischer Überzeugungen zusammenzubringen, um das Engagement für die regionale Einheit zu erneuern.

Gleichzeitig und während seiner gesamten Amtszeit kritisierte López Obrador kategorisch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und insbesondere das Verhalten des derzeitigen Generalsekretärs Luis Almagro wegen dessen parteiischen und einmischenden Verhaltens. Er hat sogar wiederholt eine Erneuerung dieses Gremiums gefordert.

Der scheidende Präsident Mexikos, der in seinem Land die so genannte Vierte Transformation vorangetrieben hat, distanzierte sich auch konsequent von der Regierung des argentinischen Präsidenten Javier Milei, den er als "konservativen Fascho" bezeichnete.

Ein Meilenstein war auch, als López Obrador kürzlich beschloss, die Beziehungen zu den Botschaften der USA und Kanadas in Mexiko "auf Eis zu legen", nachdem diese die Justizreformen, die das lateinamerikanische Land vorantreibt, kritisiert hatten: "Sie müssen lernen, die Souveränität zu respektieren", sagte er.

Aus der Vogelperspektive machen diese Schritte deutlich, dass López Obrador in seiner sechsjährigen Amtszeit Positionen vertrat, die mit seiner linken Ideologie übereinstimmten, dass er sich zu jedem Zeitpunkt mit den lateinamerikanischen Bewegungen und Prozessen solidarisierte, dass er es aber auch verstand, in verschiedenen internationalen Beziehungen sehr pragmatisch zu sein, zum Beispiel mit der Regierung des US-Präsidenten Donald Trump (2017-2021).

Pragmatismus

Während seines Präsidentschaftswahlkampfes 2016 machte Trump den Bau einer Mauer an der südlichen Grenze zwischen den USA und Mexiko zu einem seiner wichtigsten Wahlversprechen. Die Kosten für diesen Zaun sollten seiner Meinung nach aus den Taschen der Mexikaner selbst bezahlt werden.

Der kriegerische Charakter dieses Angebots machte einen Zusammenstoß zwischen den beiden Regierungen vorhersehbar, insbesondere nach dem Amtsantritt von López Obrador im Jahr 2018, der einen offen nationalistischen Diskurs führte.

Dennoch ist es nicht dazu gekommen. López Obrador gelang es, die Beziehungen zu den USA auf sehr pragmatische Weise zu gestalten. Er gab dem Druck in der Migrationsfrage in der Weise nach, dass er verschiedenen Maßnahmen für Menschen ohne Papiere zustimmte, die versuchten, US-Hoheitsgebiet zu erreichen. So richtete Mexiko Flüchtlingszentren ein, legte Wirtschaftsförderungsprogramme auf und ergriff Maßnahmen zur Eindämmung der Migrantenströme aus Mittelamerika.

Andererseits gab der mexikanische Präsident zwar einen Anstoß für die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac), aber der Impuls war nur halbherzig. Der erhoffte Zusammenschluss der Linken, der ursprünglich mit der Amtsübernahme "fortschrittlicher" Regierungen wie der von Gustavo Petro in Kolumbien, Gabriel Boric in Chile und Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien erwartet worden war, blieb aus.

Im Jahr 2023 nahm López Obrador nicht an der Präsidentenkonferenz Celac in Argentinien teil, bei der ein starkes Zusammentreffen von linken Präsidenten erwartet wurde. Vielmehr wurde eine gewisse Distanz oder zumindest ein Mangel an Tiefe in den Beziehungen zwischen lateinamerikanischen Giganten wie Mexiko, Brasilien und Argentinien deutlich.

Der mexikanische Präsident war auch gegenüber Venezuela ausgeglichen, im Einklang mit der Außenpolitik seines Landes, die die Souveränität und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen verteidigt. Während seiner Amtszeit hat López Obrador aktiv am Dialog zwischen Regierung und Opposition mitgewirkt und darüber hinaus ein freundschaftliches Verhältnis zu seinem Amtskollegen Nicolás Maduro gepflegt. Entsprechend dieser Grundsätze rief er nach den Wahlen vom 28. Juli zur Achtung der venezolanischen Institutionen und zur Veröffentlichung der endgültigen Ergebnisse auf, um den Sieger anzuerkennen.

Ein weiterer Punkt, in dem sich López Obrador von anderen progressiven Regierungen absetzte, waren die Brics. Die mexikanische Regierung zog es vor, dieser Gruppe der Schwellenländer nicht beizutreten, wobei sie "wirtschaftliche, nachbarschaftliche und geopolitische Gründe" anführte. Vielmehr zog sie es vor, auf die Stärkung "strategischer" Bündnisse mit den USA und Kanada zu setzen.

Auf diese Weise zeigt der scheidende Präsident einen sehr unterstützenden, aber auch sehr pragmatischen internationalen und lateinamerikanischen Ansatz, der auf seinen ideologischen Grundsätzen beruht. Er hat seinen Nationalismus über das Doktrinäre gestellt und den Vormarsch der regionalen Rechten kategorisch zurückgewiesen. Er ist jedoch vorsichtig, damit die geopolitischen Auseinandersetzungen die innenpolitische Situation seines Landes nicht belasten.

Seine Regierung wird am 30. September zu Ende gehen, und es ist unbestreitbar, dass er ein Zeichen hinterlassen hat, das es wert ist, studiert zu werden. Denn es ist ihm gelungen ist, doktrinäre Barrieren zu überwinden, ohne sich mit seinen historischen Gegnern zu verbünden.

  • 1. InLateinamerika wird progresismodefiniert als "ein historisches Phänomen, das dem kapitalistischen Transformationsprozess der nordamerikanischen Hegemonie und des neoliberalen Regimes entspricht, bei dem die Vorherrschaft des Finanz- und Unternehmenskapitals geschwächt wird und die Macht der USA und der multilateralen Organisationen über die Länder Lateinamerikas schwindet." Regierungen, "die von den Volksmassen getragen werden", befördern "Prozesse der Verstaatlichung der natürlichen Ressourcen sowie eine Umverteilungspolitik mit einer antiimperialistischen Vision." Siehe https://www.scielo.br/j/ccrh/a/k9Q36Q8fpSWz5bvyNVmns8y/?format=pdf&lang=es