Colonia Dignidad ‒ "Die deutsche Regierung will offenbar ihre Hände in Unschuld waschen"

Opfer der deutschen Sektensiedlung stellen Zusammenarbeit mit der Bundesregierung ein

colonia_dignidad_protestaktion.jpg

Angehörige von Verschwundenen protestieren auf dem Zufahrtsweg zur Colonia Dignidad, die sich heute "Villa Baviera" nennt und einen Tourismuspark betreibt (2015)
Angehörige von Verschwundenen protestieren auf dem Zufahrtsweg zur Colonia Dignidad, die sich heute "Villa Baviera" nennt und einen Tourismuspark betreibt (2015)

Öffentliche Erklärung

Nachdem wir am Montag, dem 2. Juli 2018, von dem vom deutschen Auswärtigen Amt vorgelegten "Entwurf der Bundesregierung für ein Hilfskonzept für die Opfer der Colonia Dignidad" Kenntnis genommen haben, womit die Bundesregierung zum ersten Mal auf die vor einem Jahr vom Deutschen Bundestag geforderten Hilfeleistungen reagiert, erklären chilenische Familienverbände und deutsche Opfer dieses ehemaligen Entführungs, Folter- und Vernichtungszentrums folgendes:

▪ Als Betroffene, die seit mehr als 40 Jahren unter den Folgen der von der kriminellen Vereinigung Colonia Dignidad verübten Verbrechen leiden und für deren endgültige Sühnung kämpfen, stellen wir enttäuscht fest, dass die deutsche Regierung offenbar ihre Hände in Unschuld waschen will, wenn sie behauptet, am Leid hunderter Opfer der Pinochet-Diktatur ́nicht beteiligt ́ gewesen zu sein. Selbstverständlich bestanden enge Beziehungen zu den Kriminellen der Colonia Dignidad, deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit erwiesenermaßen durch Mitwissen deutscher Diplomaten jahrelang geheimgehalten und geschützt wurden.

▪ Wir bedauern, dass die deutsche Regierung es ablehnt, das Recht der deutschen Opfer auf Hilfeleistungen anzuerkennen ‒ eine in allen internationalen Verträgen über Menschenrechts-Verletzungen vorgesehene, doch bisher aufgrund nachlässiger und fahrlässiger Behandlung vom deutschen Staat nicht erbrachte Leistung. Stattdessen empfiehlt das Hilfskonzept „ausschließlich freiwillige Unterstützungsmaßnahmen“, deren Antragsteller sich durch die Bürokratie sozialer Zuwendungen quälen sollen, bar jeder Anerkennung bzw. erforderlicher Vorzugsbehandlung als Opfer von Menschenrechts-Verbrechen.

▪ Als Familienverbände der auf Colonia Dignidad Verhafteten und Verschwundenen chilenischen Häftlinge haben wir wiederholt deutlich gemacht, dass wir keinen einzigen Euro aus den deutschen Staatskassen als Entschädigung fordern. Doch beobachten wir mit Entsetzen mangelndes Mitgefühl und Gleichgültigkeit der deutschen Regierung gegenüber unserer Forderung nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, haben wir allerdings um die Bereitstellung bescheidener Mittel gebeten. Sie sollen wissenschaftliche Gutachten und die Arbeit chilenischer Forensiker fördern, die sich seit Monaten unermüdlich vor Ort um die Exhumierung ermorderter und heimlich in Massengräbern begrabener Häftlinge bemühen. Jedoch, was das Konzept der Bundesregierung als ́Zusammenarbeit ́ vorschlägt, ist die Delegierung dieser wissenschaftlichen Arbeiten an ein undurchschaubares, bürokratisches Netz von Zuständigkeiten, die – wir kennen es leider – letztlich in der Straflosigkeit versanden.

▪ Unsere Enttäuschung bekräftigen wir mit dem seit Jahren vor uns vorgetragenen Protest gegen einen weiteren, unhaltbaren Zustand. Wir, Chilenen und Deutsche, Familienverbände Verschwundener Häftlinge, ehemals versklavte Siedler und Kinder, die entführt und sexuell missbraucht wurden, bedauern, dass Deutschland das heute unter dem Markenzeichen "Villa Baviera" von unbelehrbaren Rest-Siedlern betriebene, unmoralische Tourismus-Geschäft auf Colonia Dignidad nicht stoppt und stattdessen ihnen weiterhin Sozialhilfe anbietet. Die deutsche Regierung sollte endlich einsehen, dass das niemals untersuchte Vermögen der Rest-Siedler aus Straftaten stammt und dass Tourismus an Orten betrieben wird, an denen Verbrechen begangen wurden – eine verblüffend inkonsequente Haltung im Vergleich mit dem von deutscher Seite auf ihrem eigenen Territorium gezollten Respekt gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus.

▪ Aus dem Konzept geht also hervor, dass Deutschland beabsichtigt, den Siedlern weiterhin Vorteile zu gewähren. Wir haben nachdrücklich darauf hingewiesen, dass wir die Rolle jedes einzelnen Siedlers untersuchen müssen, denn unter ihnen befinden sich Opfer und Täter, die nicht in gleicher Weise behandelt werden dürfen. Die mangelnde Differenziertheit ist nicht nur unfair, sie ermutigt obendrein das Schweigen derer, die Kenntnisse von begangenen Verbrechen besitzen, doch bisher zu keiner humanitären Geste bereit waren, die Verbrechen vor der Justiz zu gestehen und damit zu Ihrer Aufklärung beizutragen. Die Bundesregierung hat leider die Einsetzung einer "Wahrheitskommission" mit Experten abgelehnt, die dazu beitragen könnten, die schwere Herausforderung auf dem Weg der Transparenz zu beschreiten.

▪ Wir erklären ferner, dass wir es für unwürdig halten, dass die deutsche Regierung uns in die Rolle des Zuschauers unserer eigenen Schmerzen und Leiden versetzen will, indem sie uns – wie es im Konzept des AA heißt – nur dann ruft, "wenn es angemessen ist".

▪ Auch weisen wir daraufhin, dass dieses Konzept Gefahr läuft, die Untätigkeit der chilenischen Regierung zu bestärken, die eigentlich Partner in der Aufarbeitung der repressiven Geschichte sein sollte, doch hier im Lande den Opfern ihren Rücken zuwendet und seit Monaten in den Gesprächen abwesend ist.

▪ Ebenso machen wir deutlich, dass die Bundestagsabgeordneten Renate Künast (Die Grünen) und Michael Brandt (CDU), die den im Juni 2017 einstimmig angenommenen Antrag des Deutschen Bundestages ins Leben gerufen haben, dieses Konzept als "zynisch" bezeichneten.

▪ Unter diesen Umständen stehen wir ‒ die chilenischen und deutschen Opfer, und ihre Familien ‒ nicht mehr den Gesprächen und bilateralen Treffen zur Verfügung, die auf eine Abmachung "falscher Vergebung" hinauslaufen, und uns Maßnahmen aufnötigen, die eine aktive und konkrete Verantwortung Deutschlands für die begangenen Verbrechen kaschieren sollen. Folglich erklären wir, mit sofortiger Wirkung, die Einstellung unserer Zusammenarbeit, solange die Forderungen, die wir wiederholt erhoben haben, nicht erfüllt werden.

Familienverband verhaftetet und vermisster Gefangener Santiago de Chile

Familienverband verhaftetet und vermisster Gefangener Talca

Familienverband verhaftetet und vermisster Gefangener Linares

Familienverband verhaftetet und vermisster Gefangener Santiago de Chiles Parral

Vereinigung für Wahrheit und Gerechtigkeit, Reparation und Würde der ehemaligen Siedler der Colonia Dignidad (Adec)

Vereinigung der ehemaligen politischen Gefangenen in der Colonia Dignidad

NGO Defensoría Popular

Ansprechpartner:

- Für die Familienverbände Verhafteter und Vermisster Gefangener Talca: Myrna Troncoso myrnat2005@yahoo.es

- Für die Siedler-Opfer: Anwalt Winfried Hempel winfriedhempel@hotmail.com