Die De-facto-Regierung in Bolivien und ihre Verbrechen gegen die Menschheit

Stellungnahme und Aufruf des Schweizer Bündnisses Alba Suiza zu den Ereignissen in Bolivien

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Die Putsch-Regierung in Bolivien schickt wieder Soldaten in den Einsatz gegen die Bevölkerung
Die Putsch-Regierung in Bolivien schickt wieder Soldaten in den Einsatz gegen die Bevölkerung

Seit den Wahlen vom 20. Oktober 2019 erlebt Bolivien die schlimmste politische Krise seiner Geschichte. Das Wahlgericht bestätigte den Sieg von Evo Morales bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019 mit 47,08 Prozent der Stimmen, mit einem Abstand von mehr als zehn Punkten (648.180 Stimmen) gegenüber dem Kandidaten Carlos Mesa, was ausreichte, um die Wahlen in der ersten Runde zu gewinnen.

Die Behauptung eines Betrugs durch die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) entfesselte Gewalt durch die Stoßtrupps der Opposition, die Bezirkswahlgerichte und Gebäude der Partei Bewegung zum Sozialismus (MAS) in Brand setzten. Viele Amtspersonen wie die Bürgermeisterin von Vinto in Cochabamba, Patricia Arce, der ehemalige Vizeminister für Interkulturalitäten, Feliciano Vegamonte, der Präsident der Abgeordnetenkammer, Víctor Borda, Bergbauminister César Navarro und ihre Familien wurden entführt und brutal angegriffen, um sie zum Rücktritt von ihren Ämtern zu zwingen.

Die Rebellion der Polizeikräfte im ganzen Land und die Kasernierung der Streitkräfte bereiteten den Weg für eine Terrorkampagne gegen den »MASismus«, deren Mitglieder bedroht, verschleppt, misshandelt und deren Wohnhäuser in Brand gesetzt wurden, all das unter Bedingungen völliger Straflosigkeit.

Nach der am 10. November ausgesprochenen Rücktrittsforderung des Kommandeurs der Streitkräfte an den Präsidenten Evo Morales sah sich dieser zum Amtsverzicht gezwungen. Er argumentierte, dass diese Entscheidung die Gewalt der Opposition und ihrer paramilitärischen und Stoßtrupps stoppen könnte.

Nach dem Vollzug des Staatsstreichs durch den Rücktritt von Evo Morales wurde die Repression durch die von der Polizei und den Streitkräften unterstützten paramilitärischen Gruppen entfesselt.

Die Demonstranten, die die Regierung verteidigten, wurden "Banden", "Vandalen", "Radikale" oder "Verbrecher" genannt. Die sozialen Netzwerke und die große und fast hegemoniale private Presse betrieben eine Propagandakampagne zugunsten des Putsches.

Der Präsident des Bürgerkomitees von Santa Cruz, Fernando Camacho, der oberste Führer der paramilitärischen Banden, drohte den »MASisten« und mit der Regierung von Evo Morales sympathisierenden Repräsentanten und Unternehmern von Santa Cruz damit, dass er eine Liste mit Verrätern vorbereitet habe, die im Stile eines Pablo Escobar in Kolumbien eliminiert werden würden.

Die Opposition gegen die Regierung des Präsidenten Evo Morales bildete bewaffnete Milizen, die auf die offene Unterstützung der bolivianischen Polizei zählen konnten. Gruppen wie die Cruceñistische Jugendunion, die von der Internationalen Menschenrechtsföderation als "faschistische paramilitärische Gruppe" definiert wird, waren die wichtigsten Träger der Repression.

Angegriffen und zerstört wurden die Medien der Bauernorganisationen wie der CSUTCB (Gewerkschaftskonföderation der bäuerlichen Arbeiter Boliviens), deren Direktor José Aramayo an einen Baum gefesselt und gefoltert wurde, ebenso wie die der sozialen Basisorganisationen wie die Kommunitären Radios oder das staatliche Fernsehen Bolivia TV. Die Journalisten und Angestellten der öffentlichen Medien wurden als Anhänger der Regierung angegriffen, gedemütigt und an der Arbeit gehindert. In den sozialen Netzwerken kursierte eine Liste von Orten, die zu blockieren waren, darunter die Gebäude von Ministerien und anderen staatlichen Einrichtungen, Wohnhäuser von Regierungsfunktionären und die diplomatischen Vertretungen von Kuba und Venezuela. Aufgrund falscher Beschuldigungen begannen gewalttätige Gruppen die permanente Belagerung dieser Botschaften und die pausenlose Verfolgung ihres diplomatischen Personals, bis sie deren Abzug aus dem Land erreicht hatten.

Diese gewaltsamen Aktionen verletzen das Völkerrecht, die Wiener Konvention und andere internationale Abkommen.

Wie die Menschenrechtsorganisationen, die in das Land gekommen waren, verifizieren konnten, wurde am 15. November eine Bauerndemonstration der sechs Föderationen der Tropen von Cochabamba in Sacaba beschossen, was neun Todesopfer und Dutzende Verletzte forderte. Durch Videos, die von den Bauern selbst aufgenommen wurden, konnte der Einsatz von Kriegswaffen bewiesen werden. Die Streitkräfte agierten an diesem Tag auf Grundlage des Dekrets Nr. 4078, das ihnen den Einsatz von Kriegswaffen ohne spätere Rechenschaft erlaubte.

Dasselbe geschah fünf Tage später in Senkata, El Alto, und verursachte den Tod von mindestens zehn Menschen und Dutzenden Verletzten. Die aus Polizei und Streitkräften gebildeten Repressionskräfte erklärten, sie gingen gegen "Terroristen" vor, die eine Explosion in der Gasfabrik hätten provozieren wollen. Aktrivisten aus sozialen Bewegungen, frühere Regierungsmitglieder, Bauern und Indígenas, die gegen den Putsch demonstrierten, wurden ermordet. Die Gesamtzahl der Opfer stieg auf 35 Tote und mehr als 800 Verletzte.

Am 25. November besetzten Mitglieder des paramilitärischen Arms der De-facto-Regierung den Sitz der Gewerkschaftsföderation der bäuerlichen Arbeiter von Santa Cruz, um deren Einrichtung und Dokumente zu verbrennen.

Diese Operationen gehen bis zum heutigen Tag weiter. Am 17. Januar, wurde angekündigt, dass die Antennen des Unternehmens ENTEL, die den Zugang zur Handy- und Funkkommunikation gewährleisteten, in mehreren ländlichen Provinzen abgebaut werden.

Am 6. Dezember verabschiedete die De-facto-Regierung das Dekret Nr. 4100, dessen Ziel es war, die Familienangehörigen der 35 durch die Repression von Polizei und Militär Getöteten und Hunderten Verletzten zu entschädigen, wenn diese im Gegenzug darauf verzichten, den Fall vor die Vereinten Nationen oder andere Menschenrechtsorganisationen zu bringen. Diesbezüglich äußerte die CIDH (Interamerikanische Menschenrechtskommission) ihre Sorge über das Dekret, weil dieses eine Klausel beinhaltet, die es den Opfer unmöglich macht, internationale Instanzen anzurufen, um die Verbrechen anzuklagen, deren Opfer sie geworden sind. Das verletze internationale Abkommen wie den Römischen Vertrag, der die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschheit festschreibt. Die Beobachtungsmission der CIDH, die zahlreiche Zeugenaussagen über die Massaker von Sacaba und Senkata sammelte, prangerte an, dass es in Bolivien "keine Garantie für die Unabhängigkeit der Justiz" gebe.

Täglich gab es Verfolgungen, willkürliche Verhaftungen, Morddrohungen gegen ehemalige Amtsträger der Regierung von Evo Morales sowie gegen Führungspersönlichkeiten sozialer Organisationen und der MAS. Die gerichtliche Verfolgung der sozialen Proteste und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Brandstiftungen, Lynchmorde, rassistische Übergriffe usw. waren offensichtlich.

Die Ombudsberhörde von Bolivien erlitt vor allem in der Stadt Cochabamba ebenfalls Übergriffe, sowohl in den Büros dieser Einrichtung als auch in den Privatwohnungen ihrer Vertreter und von deren Familien.

Andererseits verletzt die ständige Belagerung der Botschaft und Residenz Mexikos alle internationalen Konventionen und Abkommen zum Schutz der diplomatischen Vertretungen der verschiedenen Länder. Die Nichterteilung freien Geleits für Personen, die politisches Asyl beantragt haben und das von diesem Land zudem gewährt wurde, ist eine gravierende Verletzung der politischen und Menschenrechte dieser Personen, unter ihnen der Innenminister Juan Ramón Quintana, der frühere Minister Hugo Moldiz, Kulturministerin Wilma Alanoca, der Gouverneur von Oruro Víctor Hugo Vázquez, der ehemalige Direktor der staatliche Agentur für elektronische Verwaltung und Informations- und Kommunikationstechnologien, Nicolás Laguna, Verteidigungsminister Javier Zavaleta, Justizminister Héctor Arce, Bergbauminister César Navarro und andere.

Es ist offensichtlich, dass die Vorwürfe gegen die ehemaligen Amtsträger Teil einer als "Lawfare" bekannten Strategie zur politisch-juristischen Verfolgung sind, durch die die politische Beteiligung der MAS-IPSP an den für den 3. Mai vorgesehenen nächsten Wahlen verhindert werden soll. Der De-facto-Innenminister Arturo Murillo erklärte, dass er auf eine »Hexenjagd« gegen Mitglieder der abgesetzten MAS-Regierung ziehen werde. Er machte seine Absicht öffentlich, Evo Morales wegen "Verbrechen gegen die Menschheit" vor den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag zu bringen, und machte ihn für die 35 Todesopfer verantwortlich, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits zurückgetreten war und sich ins Exil zurückgezogen hatte.

Die Massaker von Senkata, Sacaba, Huayllani, Ovejuvo usw. wurden von verschiedenen internationalen Menschenrechtsorganisationen und befreundeten Ländern dokumentiert. Informationen aus erster Hand, die von diesen erhoben wurden, belegen die Brutalität des Staatsstreichs in Bolivien.

Die Benutzung von aufgrund ihres diskriminierenden Inhalts beleidigenden und herabsetzenden Adjektiven ist auf Seiten der De-facto-Regierung häufig. Ihre Mitglieder sprechen von den Funktionären der Regierung Evo Morales, den sie unterstützenden sozialen Organisationen sowie den internationalen Menschenrechtsmissionen und Vertretern der Ombudsbehörde als "Wilde", "Drogenterroristen", "Vandalen", "Verbrecher" usw., sogar Journalisten werden als "digitale Krieger" und "Computerterroristen" bezeichnet.

Murillo feiert die unter den Menschen verbreitete Angst als "Befriedung" durch die polizeilich-militärische Brutalität "gegen die Subversion der indigenen und MAS- Horden". Diese "töten einander", behauptet er, "wir werden weder Terroristen noch Verführer tolerieren, wir überwachen sie".

Durch die Gewalt der durch paramilitärische und polizeiliche Gruppen und die Streitkräfte eingesetzten De-facto-Regierung wurden das Grundrecht auf Protest und das Wahlrecht beseitigt.

Die Ergebnisse der Wahlen wurden von den Eliten nicht anerkannt, die nun das Land regieren, wie sie es in den 180 Jahren der kolonialen und ansschließenden Republik getan haben. Die De-facto-Regierung hat das Land militarisiert und jede Form von Protest unterdrückt, indem sie Militärs und Kriegswaffen auf den Straßen der wichtigsten Städte Boliviens einsetzt. Mit der Berufung auf eine terroristische Gefahr, subversive Kerne oder bewaffnete kriminelle Gruppen von MASisten wird die Gründung von Sondereinheiten der Polizei für die Terrorismusbekämpfung begründet, die von der Regierung Israels beraten werden, wie De-facto-Minister Murillo selbst bestätigt hat. Das ist die Rechtfertigung für noch mehr Gewalt und staatliche Brutalität und Repression.

Um die Repression zu rechtfertigen, wird versichert, dass es kriminelle und terroristische Aktivitäten gebe, Den Militärkräften wird Immunität gewährt, wenn sie Indígenas massakrieren. Das Land wird militarisiert und mit dem Einsatz von Kriegswaffen militärische Macht demonstriert. Die systematische Verletzung der Menschenrechte, der öffentlichen Freiheiten und der individuellen Rechte und Garantien sind das offensichtliche Ergebnis der Existenz eines diktatorischen Regimes, das durch einen zivilen, polizeilichen und militärischen Putsch eingesetzt wurde.

Das Beseitigen jeder unabhängigen Informationsquelle ist Teil der Strategie zur Durchsetzung der medialen Umzingelung.

Die Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt müssen Druck ausüben, damit die politische Verfolgung und die von den paramilitärischen Banden unter dem Schutz von Polizei und Streitkräften angeführte Repression beendet werden.

Aus diesen Gründen

- verurteilen wir den Staatsstreich, der von der antidemokratischen bolivianischen Rechten und anderen fremden Kräften durchgeführt wurde, um die Kontrolle über die wichtigen Bodenschätze des Landes wie Lithium und Gas zurückzugewinnen.

- Verurteilen wir energisch die Botschaften des Hasses und des Rassismus sowie die extreme Gewalt, die von den Anhängern der antidemokratischen radikalen Rechten gegen die Bauern und indigenen Völker verübt wurde.

- Verurteilen wir umfassend das »Lawfare« der De-facto-Regierung, die eine perverse Maschinerie zur politischen Verfolgung durch mediales Lynchen, das Erfinden justiziabler Fälle und die ständige Verletzung jeder internationalen und verfassungsmäßigen Konvention und Norm in Bolivien entwickelt hat.

- Fordern wir die Streitkräfte und die Nationale Polizei Boliviens auf, vor allem das Leben und die Würde jedes Menschen zu schützen und zu bewachen, der sich auf bolivianischem Territorium aufhält, unabhängig von seiner politischen Überzeugung oder Nationalität, sowie die Immunität der diplomatischen Vertretungen zu respektieren und ihre Funktionäre, Asylsuchende und Einrichtungen zu schützen.

- Rufen wir alle demokratischen Kräfte auf, diesen gewaltsamen Putsch sowie die täglichen Verletzungen aller individuellen, sozialen, rechtlichen, kulturellen und politischen Freiheiten der großen Mehrheiten zu verurteilen.

- Fordern wir den UN-Menschenrechtsrat auf, entsprechend der Berichte, Untersuchungen und Aussagen der CIDH, der Behörde des Ombudsmanns von Bolivien und anderen Menschenrechtsorganisationen unmissverständlich die systematischen Verletzung der Bürgerrechte, die brutale Repression, die Morde und alle weiteren Übergriffe der De-facto-Regierung zu verurteilen und über diese Tatsachen dringend einen Bericht zur Menschenrechtslage in Bolivien zu verfassen.

- Rufen wir auch dazu auf, vor allen internationalen Organisationen, der Presse und den Behörden aller Staaten der Welt den verübten Putsch weiter anzuprangern.

Nein zum Staatsstreich in Bolivien!

Nein zur Militarisierung in Bolivien!

Schweiz, 19. Januar 2020

Alba Suiza wurde 2013 in Bern gegründet. Ziel ist die Unterstützung und Solidarität mit der Bolivarischen Allianz Alba und den sozialen Bewegungen Lateinamerikas