Der 23. Januar 2021 könnte eine Zäsur in der bisherigen Politik der Partei Die Linke gegenüber dem sozialistischen Kuba bedeuten. Der Parteivorstand (PV) beschloss an diesem Tag mit großer Mehrheit den Antrag "Solidarität mit Kuba", in dem die "Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstler:innen und Aktivist:innen zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft" eingefordert wird.
Erstmals in der Geschichte unserer Partei wurde damit von einem offiziellen Parteigremium ein Beschluss gefasst, in dem der demokratische Charakter der kubanischen Revolution in Frage gestellt und zu einem Dialog in Kuba mit so bezeichneten "Aktivist:innen" aufgerufen wird. Mit dieser Formulierung wurde zweifelsfrei ein Tabubruch vollzogen, der vom innerparteilichen Zusammenschluss Emanzipatorische Linke (EmaLi) vorangetrieben wurde.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass der Autor Matti Steinitz im "Neuen Deutschland" (ND) am 2. Februar 2021 von "einem guten Tabubruch" spricht. Marco Pompe von EmaLi freut sich über die breite Unterstützung für "unser Anliegen" im Parteivorstand und berichtet davon, "wie verbissen einige wenige versuchten, eine Unterstützung von kubanischen Menschenrechtsaktivist:innen zu verhindern". Und auch von Miami aus agitierende und von Washington finanzierte Internetmedien wie "Diario de Cuba" und "Cibercuba" jubeln schon über den Bruch der bisherigen Kuba-Politik der Linken und über die Solidarisierung mit den kubanischen "Dissidenten".
An dieser Stelle könnte die gerade erst begonnene Diskussion bereits für beendet erklärt und der Beginn einer neuen Kuba-Politik der Partei Die Linke konstatiert werden. Der Sachverhalt ist jedoch weniger eindeutig und Kontext und Hintergründe sind deutlich komplexer, als die Worte derer vermuten lassen, die schon lange an einer Entsolidarisierung mit der kubanischen Revolution vor und hinter den Kulissen in der Partei arbeiten.
Zu einer vollständigen Darstellung muss zunächst erwähnt werden, dass der PV-Beschluss neben den immer wieder zitierten Zeilen auch zahlreiche Forderungen umfasst, die im Einklang mit den bisherigen Beschlüssen und der praktizierten Politik der Partei Die Linke zum sozialistischen Kuba stehen. Hierzu gehören die Verurteilung der unter US-Präsident Trump verschärften völkerrechtswidrigen US-Blockade sowie die jüngst vorgenommene Wiederaufnahme Kubas in die US-Liste "Terrorismus unterstützender Staaten" ebenso wie die Forderung zur Unterstützung der Kampagne der Kuba-Solidaritätsbewegung "Unblock Cuba". Des weiteren werden in dem Beschluss des Parteivorstandes Versuche verurteilt, "die Regierung Kubas durch Regime-Change-Aktivitäten aus dem Ausland zu stürzen"; die deutsche Bundesregierung und die Europäische Union werden aufgefordert, sich diesbezüglichen Aktivitäten entgegenzustellen.
Diese Forderungen werden weder im Beitrag von Steinitz im ND noch vom EmaLi-Vertreter erwähnt und somit wird nur ein kleiner Teil des Beschlusses dargestellt. Ebenso wird verschwiegen, dass der nun gefasste Beschluss das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses zwischen verschiedenen politischen Strömungen im Parteivorstand darstellt, da der ursprünglich von EmaLi eingebrachte Antrag mit dem Titel "Solidarität mit Kubas demokratischen Menschenrechtsaktivist:innen" noch vor der Beratung zurückgezogen und durch den letztlich beschlossenen Antrag ersetzt wurde. Bei näherer Betrachtung des ursprünglichen Antrages der Emanzipatorischen Linken wird deutlich, welche tatsächlichen Vorstellungen und Ziele die maßgeblich von Katja Kipping dominierte Strömung im Hinblick auf Kuba verfolgt.
So ist die zurückgezogene Beschlussvorlage "Solidarität mit Kubas demokratischen Menschenrechtsaktivist:innen" in mehreren Passagen fast wortwörtlich einem Artikel der "tageszeitung" (taz) vom 25. November 2020 entnommen, die mit ihrer taz- Panter-Stiftung angehende kubanische Journalistinnen und Journalisten in ihrem Sinne ausbildet sowie finanziell unterstützt. Auf diese Weise soll der Aufbau sogenannter "zivilgesellschaftlicher Strukturen" direkt gefördert werden.
Damit folgt die den zunehmend neoliberalen und bellizistischen Grünen nahestehende Zeitung der Strategie der deutschen Bundesregierung, "durch Besucherprogramme, Mediendialoge und Projektarbeit vorpolitische Freiräume" zu eröffnen und die "Möglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Öffnung" zu nutzen, "um gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu begleiten" (Bundestagsdrucksache 18/11550). Explizit lobte die Bundesregierung in diesem Bericht über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik vom März 2017 auch die Aktivitäten der "taz-Panter-Stiftung" und sprach davon, dass "ein von dieser Stiftung organisierter und vom Auswärtigen Amt finanzierter Medienworkshop einen Beitrag zur Öffnung des strikt reglementierten Informationssektors" leiste.
Auch die US-Regierung verfolgt schon lange eine entsprechende Strategie: Der ehemalige Leiter der US-Interessenvertretung in Havanna, Jonathan Farrar, sprach bereits im Jahr 2009 davon, dass seine Regierung in Zukunft nicht mehr auf die bisherige Generation von Dissidenten setzen, sondern den Fokus auf junge Leute richten wolle, die international einen gewissen Bekanntheitsgrad haben, und hob die Bedeutung "unabhängiger" Blogger und Journalisten sowie "regierungskritischer" Künstler hervor.
Gerade solche "kritischen Künstlerinnen und Künstler" standen im Fokus eines im November letzten Jahres begonnenen Konfliktes, der den politischen Bezug zum EmaLi-Antrag darstellt.
Mit den "demokratischen Menschenrechtsaktivist:innen" ist konkret eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern gemeint, die sich als "Movimiento San Isidro" bezeichnen und nach der Verhaftung eines ihrer Mitglieder, des Rappers Denis Solís, in den Hungerstreik getreten sind. Während die genauen Umstände und der Ablauf seiner Verhaftung nicht von entscheidender Bedeutung sind, lässt sich nicht bestreiten, dass Solís ein bekennender Anhänger Donald Trumps ist und politisch fern jedweder progressiver Haltung zu charakterisieren ist. Über diesen Umstand schwiegen sich die Autoren des Antrages der Emanzipatorischen Linken ebenso aus wie über das Eingeständnis von Solís, direkte Kontakte zu rechtsextremen und antikubanischen Kräften in den USA zu haben. Schlussendlich bezeichnen sie – wie Steinitz im ND – entsprechende Berichte als "nationalistische Diffamierungskampagne".
Solche Behauptungen sowie die von EmaLi eingeforderte und vom politischen Kontext losgelöste Solidarisierung mit einer politisch mindestens fragwürdigen Gruppierung, die im Ausland bekannter als in Kuba selbst sein dürfte, kann und darf nicht Inhalt der Kuba-Politik der Linken werden. Dies liefe auf eine offene Unterstützung der konterrevolutionären Kräfte in Kuba hinaus!
Auch wenn diese Forderung letztlich kein Bestandteil des PV-Beschlusses vom 23. Januar 2021 wurde, bleibt der nun beschlossene Text trotzdem mehr als problematisch.
Der Punkt 5 des PV-Beschlusses lautet: "Für Die Linke gilt, Menschenrechte sind universell, sie gelten für jede:n – überall! Wir treten ein für eine Fortsetzung des Dialogs in Kuba mit kritischen Künstler:innen und Aktivist:innen zur Demokratisierung der kubanischen Gesellschaft".
Der Parteivorstand der Linken kombiniert die richtigen Forderungen in den Punkten 1 bis 4 sowie die richtige Aussage in Punkt 5 zur universellen Geltung der Menschenrechte mit der Forderung nach einem "Dialog" mit kubanischen Dissidenten, die ihre Sympathien für die Blockadepolitik der USA offen erklären. Die US-Blockade verletzt massiv die Menschenrechte des kubanischen Volkes, und die Trump-Regierung hat in ihrer Amtszeit die seit fast 60 Jahren bestehende Blockade gegen Kuba massiv verschärft. Der Parteivorstand der Linken und unsere gesamte Partei werden unglaubwürdig, wenn sie die US-Blockade verurteilen, Regime-Change-Maßnahmen ablehnen, die universelle Geltung der Menschenrechte hervorheben und zur Solidarität aufrufen – gleichzeitig aber den Dialog mit Befürwortern einer kubafeindlichen Politik fordern.
Deshalb können wir, die Mitstreiter:innen der AG Cuba sí, den PV-Beschluss vom 23. Januar 2021, der diese falsche Forderung enthält, nicht akzeptieren. Dieser Beschluss bedeutet für Die Linke eine Abkehr von der Solidarität mit dem sozialistischen Kuba; er wird zudem die guten Beziehungen unserer Partei zur Kommunistischen Partei Kubas sowie zu den linken Parteien und Bewegungen in Lateinamerika schwer beschädigen.
Es verbietet sich für eine linke Partei, sich jenen Kräften anzuschließen, die die Begriffe Menschenrechte und Demokratie als politische Keule gegen – aus westlicher Sicht – unliebsame Staaten verwenden und diese Begriffe damit entwerten.
Behauptungen über Menschenrechtsverletzungen und fehlende Demokratie haben den USA und ihren Verbündeten immer wieder als Begründung gedient für politische Einmischung und Erpressung, für den Raub von Rohstoffen, für Staatsstreiche und Kriege. Mit der Behauptung, es gebe Menschenrechtsverletzungen und keine Demokratie in Kuba, haben die USA Attentate und Bombenanschläge auf der Insel verübt, Ernten vernichtet, eine Militärintervention in der Schweinebucht initiiert und führen seit Jahrzehnten einen Wirtschaftskrieg.
Die Partei Die Linke täte deshalb gut daran, alle Versuche einer Neuausrichtung der bisherigen Kuba-Politik konsequent zurückzuweisen und an ihrem Prinzip des Internationalismus und der Solidarität mit der kubanischen Bevölkerung und ihrer sozialistischen Regierung festzuhalten.
Wir möchten an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass kein Beschluss des Parteivorstandes die von den Parteitagen und vom Bundesausschuss bereits angenommenen und gültigen Beschlüsse zu Kuba revidieren kann und darf.
Dabei kommt dem Bundesausschuss, der das höchste politische Gremium zwischen den Parteitagen ist und Konsultativ-, Kontroll- und Initiativfunktionen gegenüber dem Parteivorstand besitzt, eine herausragende Bedeutung zu. Im Bundesausschuss wurde am 16. Januar 2021 ein von der Arbeitsgemeinschaft Cuba sí eingereichter Antrag "Die US-Blockade gegen Kuba muss endlich beendet werden!" mit großer Mehrheit angenommenen, in dem die uneingeschränkte Solidarität mit Kuba eingefordert wird.
Dort heißt es: "Die Linke wird verstärkt einer mangelhaften und unrichtigen Berichterstattung über Kuba entgegentreten. DIE LINKE wird weiterhin in allen Parteistrukturen die Solidaritätsarbeit der AG Cuba Sí für Kuba aktiv politisch unterstützen sowie die notwendigen materiellen Bedingungen für eine effektive Solidaritätsarbeit der AG Cuba sí und der Partei Die Linke bereitstellen. Die Linke bekräftigt ihre Solidarität mit der kubanischen Revolution."
Dieser Beschluss des Bundesausschusses der Linken vom 16. Januar 2021 ist die gültige Grundlage der Kuba-Politik der Partei Die Linke und sollte auch von denjenigen akzeptiert werden, die sich einen grundsätzlichen Wandel der bisherigen Politik gegenüber Kuba erhofft hatten.
Die AG Cuba sí wird auch weiterhin für eine von Respekt und Solidarität getragene Politik gegenüber der kubanischen Bevölkerung und ihrer sozialistischen Regierung eintreten. Wir fordern den Parteivorstand auf, seinen Beschluss vom 23. Januar 2021 zurückzunehmen und den vom Bundesausschuss am 16. Januar 2021 beschlossenen Antrag "Die US-Blockade gegen Kuba muss endlich beendet werden!" als alleinige Grundlage der Kuba-Politik zu bestätigen.
Es ist nun an uns, die von einigen wenigen angestrebte Neuausrichtung der Kuba-Politik der Linken zu verhindern und die Linke auch weiterhin als internationalistische Partei zu erhalten und zu stärken.
Die Linke wäre auch um ihrer selbst willen gut beraten, an ihren außenpolitischen Prinzipien festzuhalten und sich der von einigen Abgeordneten der Bundestagsfraktion angestrebten Preisgabe der friedenspolitischen und internationalistischen Grundsätze entgegenzustellen. Nur so kann es gelingen, die Einheit der Partei zu wahren und die Linke wieder zu einer starken und handlungsfähigen Kraft zu machen.
Die Solidaritätsarbeit der bundesweiten AG Cuba Sí für das sozialistische Kuba ist seit nun fast 30 Jahren sehr erfolgreich – und unsere Spendeneinnahmen steigen: in den Jahren 2018 bis 2020 um über 40 Prozent! Dies eröffnet uns weitere Möglichkeiten für die politische Solidarität und für unsere Projektarbeit in Kuba. Wir laden alle Parteimitglieder ein, sich bei uns über Kuba zu informieren und in der Solidaritätsarbeit für das sozialistische Kuba zu engagieren. Wir bitten die Mitglieder der Partei Die Linke in der noch bis Mai 2021 laufenden bundesweiten Kampagne "Unblock Cuba" zur Beendigung der US-Blockade gemeinsam mit uns aktiv zu werden.
Koordinierungsrat der AG Cuba sí,
Berlin, den 4. Februar 2021