Venezuela

2008 "Jahr der Problemlösungen"

Chávez hält Jahresansprache vor dem Parlament. Lösung der drängendsten Probleme angesprochen: Kriminalität, Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung, Korruption und Bürokratie

Am vergangenen Freitag ist der venezolanische Präsident Hugo Chávez vor die Nationalversammlung getreten um seinen jährlichen Bericht abzugeben. Im Zentrum seiner Rede stand die Bewältigung von Problemen im Alltag. Seine Bilanz des vergangenen Jahres begann der Präsident jedoch mit Reflexionen über die kürzlich von der kolumbianischen Guerilla-Gruppe Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Farc) freigelassenen Geiseln, die Chávez organisiert hatte. Chávez arbeitet nach eigener Aussage an einer "Strategie um weitere Geiseln zu befreien" als ein Mittel um dem Frieden in Kolumbien näher zu kommen.

Chávez wandte sich an die kolumbianische und andere Regierungen der Region. Sowohl die Farc als auch die Nationale Befreiungsarmee (ELN) sollten als aufständische Gruppen anerkannt werden. Er plädierte dafür, diese Gruppen aus den Terroristen-Listen zu streichen. "Sie sind keine terroristischen Gruppen, sondern Armeen die Gebiete in Kolumbien besetzt halten. Sie haben ein politisches Projekt welches anerkannt werden muss," sagte Chávez. Mit diesem Statement brach Chávez mit seiner bisherigen Vorgehensweise sich nicht zu äußern, wie seine Regierung die kolumbianischen Aufständischen klassifiziert.

Steigerung der Zufriedenheit durch Wirtschaftswachstum

Dann standen die positiven Entwicklungen in Venezuela in 2007 im Mittelpunkt der Rede. Chávez führte dafür die Ergebnisse der "Latinbarometro"-Umfrage an. Sie hatte die Lateinamerikaner danach gefragt, wie es ihrer Meinung nach um die Demokratie und Wirtschaft ihres Landes steht. In fast allen Kategorien in Bezug auf die Zufriedenheit der Bevölkerung ist Venezuela demnach auf dem ersten oder zweiten Platz. So sagten laut der Studie 52% der Venezolaner, dass ihre ökonomische Situation "gut" oder "sehr gut" sei, mehr als in irgendeinem anderen südamerikanischen Land.

Ein Grund für diese Steigerung der Zufriedenheit sei das starke Wirtschaftswachstum, erklärte Chávez. In den letzten 4 Jahren sei die Wirtschaft im Durchschnitt um 11,8 % pro Jahr gewachsen. Die einzige negative Entwicklung in der Ökonomie habe es bei der Inflation gegeben: sie erreichte im letzten Jahr 22,5% und betrug während der Präsidentschaft von Hugo Chávez durchschnittlich 19,6%. Chávez wies darauf hin, dass diese durchschnittliche Inflationsrate immer noch weniger als halb so hoch sei, wie bei seinen beiden Amtsvorgängern. Während der Präsidentschaft von Carlos Andres Perez (1989-1993) habe sie durchschnittlich 45,3% betragen und unter Rafael Caldera (1994-1998) im Durchschnitt 59,4%.

Im Gegensatz zu Entwicklungen unter vorherigen Regierungen, sei auch der Mindestlohn schneller als die Inflationsrate gestiegen, so dass der Reallohn für die meisten Venezolaner heute höher sei als zu Chavéz Amtsantritt. Außerdem unterstrich der Präsident, dass die Arbeitslosigkeit sich auf einem Rekordtief befinde. Sie habe im November 6.3% betragen, 2,5% weniger als im November des Vorjahres.

Öl-Reserven steigen weiter

Eine bedeutende Errungenschaft des letzten Jahres sei der Zuwachs bei den venezolanischen Öl-Reserven um fast 20 Millionen Barrel (1 Barrel = 159 Liter), hob Chávez hervor. Venezuela habe 1987 nur 26 Milliarden Barrel an Reserven ausgewiesen. Bei seinem Amtsantritt seien es 76 Milliarden gewesen. Im Jahr 2007 seien es nun knapp 100 Milliarden Barrel, die offiziell anerkannt sind. Durch die Zertifizierung der Vorräte im Gebiet um den Orinoco-Fluss sollen in 2008 die Reserven auf 200 Milliarden Barrel verdoppelt und bis Ende 2009 auf 313 Milliarden Barrel verdreifacht werden. Dies würde Venezuela zu dem Land mit den weltweit größten Ölreserven machen, dicht gefolgt von Saudi-Arabien.

Kritik bekam die venezolanische Kirche zu hören: Zu der Forderung des Kardinals Jorge Urosa, die an Neujahr ausgesprochene Amnestie für Unterstützer des Putschversuchs von 2002 auszuweiten, sagte Chávez: "Ich kann niemandem Amnestie gewähren, der angeklagt wurde Verbrechen gegen die Menschenrechte begangen zu haben. Man müsste mich ins Gefängnis stecken, wenn ich so etwas tun würde."

Sich direkt an den im Publikum sitzenden Botschafter des Papstes wendend, erhob Chávez den Vorwurf, die Kirche schütze in der Residenz von Nuncio einen Kriminellen. Er nahm damit Bezug auf Nixon Moreno aus Merida, dem vorgeworfen wird eine Frau vergewaltigt zu haben. Moreno beteuert jedoch seine Unschuld und vermutet politische Motive hinter den Vorwürfen. Er war jahrelang als oppositioneller Studentenführer aktiv.

Nachdem Chávez seinen Glauben an Jesus Christus bekräftige, betonte er, dass Christus" Herrschaft hier auf Erden sein müsse, "in Gleichheit und in Sozialismus", nicht im Himmel. Auch sei die Kirchenobrigkeit nicht die Stimme Gottes, sondern "die Menschen sind die Stimme Gottes".

Chávez wandte sich dann an die Opposition im Allgemeinen. Sollte diese für 2010 kein Referendum zu seiner Abberufung organisieren, so würde er es selbst in die Hand nehmen. Im Zuge eines solchen Referendums würde er dann auch eine "kleine" Verfassungsänderung beantragen, um die Beschränkung auf zwei Präsidialperioden abzuschaffen. Bei einem Erfolg seines Vorschlages könnte Chávez dann ein weiteres Mal für das Präsidentenamt kandidieren. "Ich denke dies ist notwendig, bei allen Nachteilen, die es haben könnte," sagte Chávez.

Selbstkritik zu Abschluss

Ungewöhnlich für jemanden, der selten von vorgeschriebenen Texten abliest, beendete Chávez seinen Jahresbericht mit einigen Zeilen, die er in der Nacht zuvor aufgeschrieben hatte, wie er betonte. Dabei ging er vor allem auf die Fehler und Niederlagen im vergangenen Jahr ein. Chávez wies darauf hin, dass in der Bevölkerung "ein Unwohlsein wegen der Widersprüche zwischen den Worten des Anführers und der Realität gebe." Die Bolivarische Revolution müsse Vertrauen wiedergewinnen, das verloren gegangen sei.

Es gebe viele ernste Probleme "die immer noch nicht gelöst sind" sagte Chávez. Im Besonderen Probleme der Bürokratie, Ineffizienz und Korruption. Selbstkritisch fragte Chávez: "Warum hat die revolutionäre Regierung die schreckliche Situation in den Gefängnissen noch nicht verbessert? Wieso gibt es weiterhin Kriminalität. Wieso gibt es weiterhin Schmuggel? (...) Wieso waren wir nicht in der Lage die Korruption zu besiegen? (...) Jeden Tag müssen wir uns diese Fragen stellen."

"Dieses Jahr muss das Jahr werden, indem die hartnäckigen Probleme des Alltags in Venezuela gelöst werden," forderte Chávez zu Abschluss nachdrücklich und bezog sich dabei im Wesentlichen auf Kriminalität, Korruption, Bürokratie und Nahrungsmittelversorgung.