Venezuela

Provisorische Parteigründung

Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas aus der Taufe gehoben

Zwei Monate lang tagte der Gründungskongress der neuen Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV). Am 9. März wurde die Gründung mit der Wahl des provisorischen Vorstands abgeschlossen, der aus altbekannten Gesichtern besteht. Im Hinblick auf die im November stattfindenden Regionalwahlen soll er in einem Jahr erneuert werden. Das Verhältnis zwischen Basis und Funktionären ist noch nicht endgültig geklärt.

Einen guten Ruf genossen politische Parteien in Venezuela in den letzten Jahren wahrlich nicht. Die beiden Traditionsparteien, die sozialdemokratische AD und die christdemokratische Copei, die das Land nach dem Sturz der Pérez-Jiménez-Diktatur 1958 Jahrzehnte lang regiert hatten, galten schon Anfang der 1990er Jahre als völlig diskreditiert. 1998 gewann Hugo Chávez seine erste Wahl in Venezuela mit einem Anti-Parteien-Wahlkampf. So ist es kein Zufall, dass sich seine Bewegung Fünfte Republik (MVR) zwar als Wahlplattform für die Aufstellung von Kandidaten, niemals aber als Partei mit festen Strukturen etablierte. Nun jedoch bekommt der bolivarianische Prozess mit der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) eine Massenpartei, die laut dem venezolanischen Präsidenten die "demokratischste und größte in der Geschichte Venezuelas" werden soll. Chávez hatte kurz nach seiner Wiederwahl im Dezember 2006 erstmals den Aufbau einer sozialistischen Partei angekündigt, in der alle den bolivarianischen Prozess unterstützenden Parteien und Gruppierungen aufgehen sollten. Wer sich als eigene Partei erhalten wolle, müsse "die Regierung verlassen" verkündete der Präsident damals.

Abgesehen von einer Reihe mehr oder weniger unbedeutender Kleinstparteien brachte allerdings nur die MVR postwendend ihre Selbstauflösung auf den Weg. Die anderen bedeutenden Parteien Patria para Todos (PPT), die Kommunistische Partei (PCV) sowie die sozialdemokratische mittlerweile regierungskritische Partei Podemos lehnten dies ab. Davon das PPT und PCV die Regierung verlassen müssten, ist allerdings längst keine Rede mehr. Vielmehr ist eine Wiederbelebung des so genannten Patriotischen Pols geplant, einem früheren Bündnis der chavistischen Parteien und sozialen Bewegungen. Weite Teile der chavistischen Basisbewegung haben sich aktiv an dem Gründungsprozedere der PSUV beteiligt. Erstmals werde eine Partei "von unten" gegründet, jubelte Chávez. Die Revolution dürfe "nicht von einer Person oder Elite" abhängen.

Die Zahlen sind in der Tat beeindruckend. Fast 5,7 Millionen Menschen hatten sich letztes Jahr für eine Mitgliedschaft eingeschrieben, wovon laut Aktivisten fast eine Million tatsächlich an den Diskussionen der Basis teilnahmen. Die über 14.000 als "sozialistische Bataillone" bezeichneten Basisgruppen wählten jeweils Sprecher, die aus ihrem Kreis wiederum insgesamt 1.681 Delegierte wählten. Diese bildeten den Gründungskongress der PSUV, der nach mehrmaliger Verschiebung, Mitte Januar dieses Jahres, seine Arbeit aufnahm. Beinahe wöchentlich diskutierten die Delegierten seitdem an 50 Runden Tischen über Prinzipien, Statuten, Struktur und Programm der neuen Partei und hielten dabei in der Regel permanent Rücksprache mit der Parteibasis. Laut Zeitplan sollte die Parteigründung am 9. März mit der Wahl der Parteiführung abgeschlossen sein. Ganz so wie gewünscht konnte der enge Zeitplan dann aber doch nicht absolviert werden. So sind Prinzipien, Statuten und Programm noch nicht fest verabschiedet. Auch die Kandidatenauswahl für die im November stattfindenden Regionalwahlen musste vorerst verschoben werden. Aufgrund der kommenden Wahlen soll auch der Parteivorstand (Nationales Komitee) lediglich ein Jahr lang Bestand haben.

Große Überraschungen waren bei der PSUV-internen Wahl am 9. März nicht zu erwarten gewesen. Chávez, den die Delegierten Wochen zuvor bereits einstimmig zum Präsidenten der PSUV kürten, hatte das letzte Wort bei der Kandidatenaufstellung. Aus tausenden Vorschlägen des Gründungskongresses erstellte er eine politisch ausgewogene Liste von 69 Personen. Bei der Wahl setzten sich überwiegend "moderate" Linke durch, während Kandidaten des rechten und linksradikalen Flügels sowie des Militärs weniger Stimmen erhielten. Die Mehrzahl der 15 gewählten Vorstandsmitglieder, darunter sieben Frauen, haben oder hatten wichtige politische Funktionen innerhalb der Regierung inne. Fünf Personen entstammen der aufgelösten MVR, drei sind ehemalige PPT-Mitglieder und eine war zuvor in der PCV. Die meisten Stimmen erhielt der Ex-Bildungsminister und Journalist Aristóbulo Istúriz, gefolgt von Chávez’ Bruder, dem heutigen Bildungsminister Adán Chávez. Neben altbekannten Politikern schafften es aber auch die angesehene Journalistin Vanessa Davis, der ebenso populäre wie polarisierende Journalist Mario Silva, Studierendenführer Héctor Rodríguez sowie die Indígena-Aktivistin Noheli Pocaterra in die Parteiführung. Die Wahlbeteiligung betrug 91 Prozent. Dem Parteivorstand kann Chávez als Präsident der PSUV bis zu fünf Vizepräsidenten hinzufügen, so dass mit ihm selbst maximal 21 Personen das Nationale Komitee bilden. Als oberste Entscheidungsinstanz der neuen Partei wird aber der Gründungskongress dienen, der von nun an als Generalversammlung bezeichnet wird. Dass aus der heterogenen Zusammensetzung der PSUV auch Konflikte erwachsen, ist unvermeidlich. Bereits bei der Wahl der Delegierten im vergangenen Jahr wurden Spannungen zwischen Funktionären und Basis offensichtlich. Etablierte Politiker hatten in einigen Fällen versucht, ihnen genehme Kandidaten durchzusetzen. In den meisten Fällen erteilten die Wähler der Einflussnahme von oben jedoch eine klare Absage.

Auch die Parteigründung wurde durch einen Konflikt überschattet. Dieser verdeutlichte das Spannungsfeld zwischen Parteidisziplin und offener Formulierung von Kritik, sowie die Differenzen zwischen verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der PSUV. Der dem linken Parteiflügel zugehörige Parlamentsabgeordnete Luís Tascón hatte Mitte Februar finanzielle Unregelmäßigkeiten beim Kauf von Fahrzeugen für das Infrastrukturministerium ausgerechnet in oppositionellen Medien publik gemacht. Daraufhin entbrannte eine wahre Schlammschlacht zwischen ihm und Diosdado Cabello, dem Gouverneur des Bundesstaates Miranda, dessen Bruder zum Zeitpunkt des vermeintlichen Kaufs der Fahrzeuge Minister für Infrastruktur war. Der wohlhabende Geschäftsmann Cabello wird von Tascón und zahlreichen Basisaktivisten als Kopf einer "endogenen Rechten" innerhalb des Chavismus angesehen, die sich gegen mehr Basispartizipation wehre.

2007 wurde Cabello Vorsitzender eines provisorischen Disziplinarausschusses der PSUV, der groteskerweise ins Leben gerufen worden war, ohne dass Parteistatuten existiert hätten. Er bezeichnete die von Tascón erhobenen Vorwürfe als "völlig falsch" und den Abgeordneten selbst als Vertreter einer "falschen Linken", die der wahre Feind des bolivarianischen Prozesses sei. Zusammen mit Ex-Vizepräsident Jorge Rodríguez verkündete Cabello im Staatsfernsehen VTV gar den Parteiausschluss von Tascón. Dies habe der Gründungskongress einstimmig beschlossen, weil Tascón durch seinen öffentlichen Vorstoß der Opposition in die Hände gespielt habe, anstatt den Fall intern zu regeln. Bereits kurz vor dem Verfassungsreferendum im Dezember letzten Jahres wurde Táscon einmal der Ausschluss aus der PSUV angedroht, weil er die verbalen Angriffe gegen Ex-Verteidigungsminister Isaías Baduel kritisiert hatte. Dieser hatte die Verfassungsreform zuvor für viele chavistas völlig unverständlicherweise als Putsch bezeichnet.

Der von Cabello und Rodríguez verkündete Ausschluss entpuppte sich allerdings als Lüge. Zwar hatte Chávez selbst in einer Rede auf dem Gründungskongress den Ausschluss Tascóns gefordert, eine Abstimmung fand jedoch nicht statt. "Die einzige Autorität, die ich anerkenne und die mich ausschließen könnte, ist der Gründungskongress", entgegnete der Abgeordnete. Er wolle Chávez weiterhin unterstützen, auch wenn dieser sich in diesem Fall geirrt habe. Offen diskutiert wurde das Thema bisher nicht. Cabello selbst bekam bei der Wahl des Parteivorstands einen kleinen Denkzettel verpasst. Für den engen Vertrauten von Chávez blieb nur ein Stellvertreterposten.

Auch über das Wahlprozedere der Vorstandsmitglieder an sich gab es Unstimmigkeiten. Es war im Vorfeld vereinzelt von Politikern und Basisaktivisten kritisiert worden. So wählte nicht die gesamte, in mehr als 14.000 regionalen Gruppen organisierte Parteibasis, sondern lediglich die von jeder Basisgruppe gewählten Sprecher, Vertreter und Bevollmächtigte. Diese etwa 90.000 Personen entsprechen unter zwei Prozent der insgesamt gut 5,7 Millionen eingeschriebenen Aspiranten auf eine Mitgliedschaft. Laut dem Basis nahen chavistischen Nachrichtenportal aporrea.org wurde auch aus den Reihen der 1.681 Delegierten des Gründungskongresses Kritik laut. So hätten mehrere hundert von ihnen einen Brief an Präsident Chávez verfasst, in dem sie vor allem die Aufstellung der Kandidaten für den Vorstand kritisierten. Diese habe weder klaren Regeln gefolgt, noch sei sie besonders transparent gewesen. Vor allem im Hinblick auf die im nächsten Jahr stattfindenden Wahlen zur Ablösung des provisorischen Vorstands mahnten die Verfasser des Briefes Änderungen am Wahlsystem an. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass sich dann die gesamte Parteibasis beteiligen kann.

Zunächst stehen aber die Regionalwahlen im November dieses Jahres im Vordergrund, die Chàvez in Anlehnung an das verlorene Verfassungsreferendum als "die große Revanche" ausgerufen hat. Dort wird die PSUV erstmals als Partei antreten und will Geschlossenheit demonstrieren. Den Wahlen wird entscheidende Bedeutung für die politische Zukunft des Landes beigemessen, da sich die Opposition durch den Sieg beim Verfassungsreferendum im vergangenen Dezember erstmals seit Jahren wieder im Aufwind sieht. Daher drängt die Parteibasis auf eine breite Partizipation hinsichtlich der Aufstellung von Kandidaten. Dass interne Differenzen vor der Wahl offen ausgetragen werden ist nicht zu erwarten, da die Einheit der verschiedenen Akteure des bolivarianischen Prozesses als unverzichtbar für einen breiten Wahlsieg angesehen wird. Wie dies nach der Wahl aussieht, wird neben den Wahlergebnissen in entscheidendem Maße davon abhängen, wie sich die neue Partei in puncto interner Demokratie bewähren wird.


Den Originaltext der Lateinamerika-Nachrichten finden Sie hier.