Honduras

Honduras am Rande des Bürgerkrieges

Putschregime setzt weiter auf eine Eskalation der Gewalt. UNO, EU und Rio-Gruppe erhöhen Druck auf Machthaber

Die Lage in Honduras gleicht drei Monate nach dem Militärputsch gegen den gewählten Präsidenten des Landes, Manuel Zelaya, in zunehmendem Maße einem Bürgerkrieg. Das Regime unter Führung des ehemaligen Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti, das von der Armeespitze gestützt wird, hat mit massiver Gewalt auf die überraschende Rückkehr Zelayas am Montag reagiert. Menschenrechtsaktivisten berichten über zunehmende Auseinandersetzungen. Anders als in den vergangenen Wochen gehen Polizei und Armee verstärkt gegen die Bevölkerung in den Wohnvierteln am Rande der Hauptstadt vor. Nach dem Putsch am 28. Juni hatte es zunächst lediglich bei politischen Demonstrationen der wachsenden Demokratiebewegung Konflikte gegeben. "Nun erleben wir eine immer generellere Gewalt", bestätigte Bertha Oliva, die Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation COFADEH, am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) im Telefoninterview mit Hintergrund.de.

Zelaya hatte sich am Montag überraschend aus Tegucigalpa gemeldet. Seit seinem Sturz Ende Juni hatte er zwei Mal versucht, in sein Land zurückzukehren. Die Nachricht von der Präsenz des 57-jährigen überraschte nicht nur die Führung der Demokratiebewegung. Auch das Regimeoberhaupt Micheletti rang nach Worten. In ersten Interviews leugnete der - deutlich verunsicherte - Despot die Rückkehr seines Präsidenten. Als die wenigen unabhängigen Medien erste Live-Bilder sendeten, wetterte er gegen deren "Medien-Terrorismus". Wenig später bekamen die demokratischen Medien und das Volk die Wut des Regimes zu spüren: Mehrere Redaktionen - darunter Radio Globo und der Fernsehkanal 36 - wurden über mehrere Stunden hinweg vom Militär besetzt. Das Handynetz des weit verbreiteten Anbieters TIGO wurde abgeschaltet. Zudem verkündeten die Machthaber eine Ausgangssperre, die seither - mit wenigen Stunden Unterbrechungen - aufrechterhalten wird.

"Wir leben in einem ständigen Klima der Angst", sagt die Menschenrechtsverteidigerin Oliva. Die Aktivisten der COFADEH bekamen die Gewalt, die sie in diesen Tagen bestmöglich zu dokumentieren versuchen, am Dienstag selbst zu spüren. Über ein Dutzend Polizisten versuchten die Organisationsräume unweit der zentral gelegenen Kathedrale von Tegucigalpa zu stürmen. Als sie das schwere Eisengitter am Eingang nicht aufgebrochen bekamen, schossen sie Tränengasgranaten in den Patio des Kolonialgebäudes. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nach Angaben Olivas rund 100 Personen in dem weitläufigen Gebäude, darunter viele Opfer der jüngsten Polizei- und Armeegewalt, die ihre Aussagen zu Protokoll gaben. Der Angriff war kein Einzelfall. Während die Polizei zwei Tote bestätigt, spricht Präsident Zelaya unter Berufung auf Quellen aus der Demokratiebewegung von mindestens zehn Toten. Ebenfalls mit Bezug auf Augenzeugenberichte hatte die argentinische Tageszeitung "Página 12" gestern den Tod eines achtjährigen Mädchens vermeldet.

Anders als in den vergangenen Wochen wehren sich die Einwohner jedoch gegen die Staatsgewalt. Trotz der Ausgangssperre halten in Tegucigalpa Mitglieder der Widerstandsbewegung Barrikaden aufrecht. Während der Polizei- und Armeeaktionen in den Wohnvierteln am Rande der Hauptstadt, der so genannten Colonias, werden besonders nachts Schusswechsel vermeldet.

Angesichts der Gewaltexzesse, deren Ausmaß bislang nicht zu erfassen ist, haben internationale Organisationen ihren Druck auf das Putschregime weiter erhöht. Die 1986 gegründete Rio-Gruppe, in der 22 Regionalstaaten vereint sind, hat die Übergriffe scharf kritisiert. Der Staatenbund bekräftigte seine "entschiedene Verurteilung des Staatsstreiches in der Republik Honduras, durch den die demokratische und verfassungsmäßige Ordnung dieses Landes zerstört wurde". Zugleich verurteilten die Mitgliedsstaaten der Rio-Gruppe die militärische Bedrohung der brasilianischen Botschaft. In der Nacht zum Dienstag waren mehrere tausend Aktivisten der Demokratiebewegung von Polizei und Armee aus der Gegend um das Botschaftsgebäude gewaltsam vertrieben worden. Seither hält das Militär eine starke Präsenz aufrecht. Nach Angaben Zelayas wird das Gebäude immer wieder mit einer akustischen Waffe beschallt. Das "Long Range Acoustic Device", auch "Schallkanone" genannt, gehört zur Gruppe der nicht tödlichen Kriegswaffen. Nach Angaben der honduranischen Tageszeitung La Tribuna handelt es sich um ein Geschenk der israelischen Armee.

Eine der wichtigsten Reaktionen von internationaler Ebene wurde am heutigen Donnerstag bekannt: Die Europäische Union und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) senden ihre Botschafter zurück nach Honduras, die nach dem Putsch Ende Juni abgezogen worden waren. Das gaben EU- und OAS-Vertreter nach einem Arbeitstreffen am Rande der UNO-Generalversammlung am Donnerstag in New York bekannt. Da der legitime Präsident Manuel Zelaya wieder in Honduras sei, könne man auch die eigenen Vertreter wieder entsenden, hieß es von Teilnehmern des Treffens. Zuvor hatte Zelayas Außenministerin Patricia Rodas um die Rückkehr der Botschafter gebeten, damit sie Kontakte mit der legitimen Regierung aufrechterhalten können.

Die Organisation der Vereinten Nationen hatte indes bereits am Mittwoch ihre Kontakte zu den Wahlbehörden in Honduras abgebrochen. Zurzeit existierten keine Bedingungen für einen demokratischen Wahlgang, hieß es zur Begründung. Ein schwerer Rückschlag für das Micheletti-Regime, das an dem regulären Wahltermin Ende November festhalten wollte, um den Putsch nachträglich zu legitimieren. Die OAS und auch das US-Außenministerium hatten jedoch bereits angekündigt, die Ergebnisse von Wahlen unter dem aktuellen Gewaltregime nicht anzuerkennen. Jesús Garza, leitender Mitarbeiter der Menschen- und Bürgerrechtsorganisation CHAAC, erklärte die Bedenken in einem E-Mail-Bericht. Zum einen, so Garza, könne angesichts der andauernden und zunehmenden Repression kein freier Wahlprozess gewährleistet werden. Zum anderen hätten die beiden großen, am Putsch beteiligten Parteien - die Liberalen und Nationalen - eigene Mitglieder kurzerhand als Richter des Obersten Wahlgerichtshofes eingesetzt. Dies sei nicht nur politisch bedenklich, sondern schlichtweg ungesetzlich. In Honduras darf, wer sich für ein politisches Amt bewirbt, sechs Monate vor der Abstimmung kein anderes Amt ausüben. Die beiden Parteipolitiker David Matamoros Watson (National Partei) und Enrique Ortes (Liberale Partei) bekleiden derzeit aber die Ämter eines Abgeordneten bzw. Stadtrats für Tegucigalpa.

Angesichts der Zuspitzung hat Brasilien die USA gebeten, eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrates anzuberaumen. Die USA haben derzeit den Vorsitz dieses Gremiums inne. "Ich hoffe, dass dieser Schritt die Putschregierung zum Nachdenken über die Konsequenzen ihres Handels bewegt", schrieb der honduranische Aktivist Garza. "Hier will niemand eine internationale Intervention", so Garza weiter, "aber die Übermacht, mit der Funktionäre, Polizei und Armee gegen das unbewaffnete Volk vorgehen, ist schier zum Verzweifeln."


Den Originaltext des Magazins Hintergrud finden Sie hier.