Venezuela

"Chávez regiert weil wir es wollen"

Die Fotografin Eva Haule bietet mit "La revolución somos todos" interessante Einblicke in Venezuelas bolivarianischen Prozess.

Ein Präsident verabschiedet nach Lust und Laune Dekrete, die allein seiner persönlichen Machtsicherung dienen. Er verschenkt viel Geld an andere Länder, während die eigene Bevölkerung unter dirigistischen Staatsinterventionen leidet. Zu derartigen Schlüssen verleiten viele der Schlagzeilen über den von Hugo Chávez propagierten bolivarianischen Prozess in Venezuela. Die vielen partizipatorischen Ansätze scheinen da nicht so recht ins Bild zu passen.

Die Fotografin Eva Haule hat sich in Venezuela ihre eigenen Bilder gemacht. Herausgekommen ist mit "La revolucíon somos todos" ein spannender Interview- und Fotoband. Es entstehen Einblicke in die Arbeit und Motivation von Basisaktivisten und -aktivistinnen sowie ihr keineswegs konfliktfreies Verhältnis zum Präsidenten und seiner Regierung. Eva Haules Gesprächspartner erzählen von der konkreten Arbeit in ihren Vierteln, der Rolle der Frauen, der Umsetzung sozialer Projekte oder dem Aufbau basisdemokratischer Entscheidungsinstanzen auf kommunaler Ebene. Auch die strategischen Leitlinien der Regierung spielen in den Anfang 2008 geführten Interviews ein Rolle.

Eine gewisse Bewunderung für Hugo Chávez hört man bei allen Befragten heraus. Er sei es schließlich gewesen, der die vielen losen Hoffnungen und Initiativen in einen gemeinsamen Transformationsprozess integriert habe. Denn viele Basisinitiativen bestanden bereits vor der Chávez-Regierung. "Sie wurden nicht von oben nach unten angestoßen, nicht vom Staat zu den Bürgern, sondern umgekehrt, von der Basis zum Staat", sagt die Vorschullehrerin Marilú Becerra. Yoel Capriles, der sich als sozialer Kämpfer aus dem traditionell rebellischen Viertel "23 de Enero" in Caracas vorstellt, bringt die Meinung vieler BasisaktivistInnen auf den Punkt: "Chávez ist auf seinem Posten, weil wir es so wollen und solange wir ihn dort wollen."

Deutliche Kritik an der Regierung und vielen Politikerinnen und Politikern bleibt jedoch nicht aus. In mehreren Interviews bemängeln die Aktivisten, dass die Politik oft übers Knie gebrochen würde und daher nicht die gewünschten Ergebnisse bringe. So wird auch deutlich, dass die Partizipation von unten trotz aller Fortschritte noch in den Kinderschuhen steckt. Dennoch ist es nicht in erster Linie der Staat, welcher die konkreten gesellschaftlichen Veränderungen umzusetzen versucht. Er bietet günstige Rahmenbedingungen, wie etwa finanzielle und technische Unterstützung oder verzichtet schlicht auf die Repression, die gegenüber politischer Basisarbeit in früheren Zeiten kennzeichnend war. Ob Veränderungen stattfinden, liegt aber größtenteils am Engagement der Bewohner selbst.

Zahlreiche Fotos visualisieren das Gesagte. Sie zeigen vor allem BasisaktivistInnen, aber auch Situationen, Orte und Wandbilder. Manchmal ist es etwas schade, dass alle Bilder in schwarz-weiß abgedruckt sind. Das Buch trägt zum Verständnis der komplexen politischen Prozesse in Venezuela bei. Diese werden dabei nicht von außen analysiert. Eva Haule hält sich mit eigenen Einschätzungen zurück und stellt meist offene Fragen. Es sind ProtagonistInnen des bolivarianischen Prozesses selbst, die ihre Sicht der Dinge darlegen. Und es lohnt sich, ihnen zuzuhören.

Haule, Eva: La revolución somos todos. Die Revolution sind wir alle. Gespräche mit BasisaktivistInnen und Fotos aus Venezuela, Neu-Ulm 2009, 143 Seiten, 16 Euro.