Kolumbien

Kolumbien: Rechte sitzen im Wahljahr fest im Sattel

Von Risiken und Chancen für Frieden und Demokratie

Bei den Präsidentschaftswahlen Ende Mai darf der konservative Präsident Alvaro Uribe nicht mehr antreten. Dennoch ist in Kolumbien kein Politikwechsel in Sicht. Wahrscheinlich gewinnt der konservative Kandidat, Ex-Verteidigungsminister Juan Manuel Santos. Aber auch der unabhängige Kandidat, dem die meisten Chancen eingeräumt werden, Antanas Mockus, will einen marktliberalen Kurs einschlagen. Die Linke ist gespalten und präsentiert unter ihrem Kandidaten Gustavo Petras eine Politik der Mitte, die keine echte Alternative anbietet. Die wichtigste Hinterlassenschaft von Uribe ist die "Demokratische Sicherheit" – ein euphemistischer Ausdruck für einen militarisierten Staat, der die ganze Gesellschaft einbindet und durchdringt. Leidtragende sind vor allem soziale Bewegungen, Gewerkschaften, Menschenrechts- und Bauernorganisationen und alle, die sich gegen das herrschende Modell wehren. Sie werden massiv verfolgt und kriminalisiert. Sicherheit für Einige bedeutet Unsicherheit für Viele.

Rechter Vormarsch bei den Parlamentswahlen

Bereits im März wählten die KolumbianerInnen Kongress und Senat. In der Vergangenheit war es oft schwierig die Abgeordneten politisch zuzuordnen, da die Parteizugehörigkeit von Regionalinteressen und Klientelsystemen überlagert wurde. So gab es lange Zeit nur zwei große Parteien – Liberale und Konservative –, die jedoch nicht als Gesamtparteien auftraten, sondern sich mit Dutzenden von Regionallisten präsentierten. Diese Parteienlandschaft ist seit 2000, nicht zuletzt durch den Präsidenten Álvaro Uribe, auf den Kopf gestellt worden. Die politische Rechte um den (aus der Liberalen Partei stammenden) Präsidenten erkannte vor einigen Jahren die schwere Repräsentationskrise des politischen Systems. Ähnlich wie in den restlichen Andenstaaten galten die traditionellen Parteien auch in Kolumbien als völlig diskreditiert.

Uribe trat vor diesem Hintergrund als Erneuerer der Parteienlandschaft auf und grenzte sich von den Parteiapparaten ab. (Eine solche Neuordnung wurde auch von ausländischen Politikberatern empfohlen, die den Zustand des kolumbianischen Parteiensystems mit Sorge beobachteten). In der Folge zerbrachen die beiden großen Parteien in mehrere Gruppen, die sich jedoch unter Uribe als Regierungskoalition neu zusammen fanden. Auf diese Weise gelang der Rechten das Kunststück, die Parteienlandschaft zu erneuern, ohne die dahinter stehenden klientelistischen Machtstrukturen anzutasten. Die ein- flussreichen Familien und Gruppen sind die gleichen geblieben, verfügen jedoch über neue politische Formationen. Dieses neu formierte rechte Lager ist als klarer Gewinner aus den Kongresswahlen im März 2010 hervorgegangen.

Die Soziale Partei der nationalen Einheit (Partido de la U), wie sich die Partei des Präsidenten nennt, kam auf 25 Prozent der Stimmen (alle Zahlen für die Senatswahlen). Die Konservative Partei (Partido Conservador), die mehrheitlich ebenfalls zum Uribe-Lager gehört (einige Konservative befürworten eine Friedenslösung und haben sich von Uribe distanziert), kam auf 21 Prozent. Die einstmals so mächtige Liberale Partei (Partido Liberal) landete bei gerade einmal 16 Prozent. Cambio Radical – eine Formation, die zur Regierungskoalition gehört, aber zuletzt ebenfalls auf Distanz zu Uribe ging – kam auf acht Prozent ebenso wie die Mitte-Links-Partei Demokratisch-alternativer Pol (Polo Democrático Alternativo – PDA), die zwar nur wenige Zehntausend Stimmen, aber jeweils drei Senatoren- und Kongresssitze verlor (eine genauere Einschätzung des Polo: siehe unten).

Bemerkenswert war das Phänomen der Partei der Nationalen Integration (Partido de Integración Nacional). Die PIN wird vor allem von Politikern getragen, die wegen ihrer Verbindungen zu Paramilitärs in Haft sitzen. Im Rahmen des so genannten Parapolitik-Skandals sind gegen 70 Regierungsabgeordnete Ermittlungen aufgenommen oder Verfahren eröffnet worden. Besonders stark betroffen davon war Nordkolumbien, wo traditionelle Eliten, Drogenhandel und Paramilitärs besonders offensichtlich miteinander kooperiert haben. Da die inhaftierten Politiker nicht selbst zu den Wahlen antreten konnten, präsentierten sich an ihrer Stelle Angehörige. Mit 8,14 Prozent konnte diese Partei, nicht zuletzt aufgrund ihres Organisationsapparates, ein sehr gutes Wahlergebnis einfahren.

Das Ergebnis der PIN verweist darauf, dass es auch bei diesen Wahlen in vielen Regionen nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Stimmenkauf und Klientelwirtschaft bestimmten in vielen Regionen das Bild. Zumindest aus einzelnen Departements wurden auch größere Wahlfälschungen gemeldet. Die größte Gruppe stellte – auch dies hat in Kolumbien Tradition – wieder einmal die Nichtwähler. Nur 45 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Deutlicher als in anderen Jahren ist allerdings der unpolitische Charakter der Enthaltung. – Denn diesmal haben sich parlamentarismuskritische soziale Bewegungen im Rahmen des Polo Democrático Alternativo an den Wahlen beteiligt. Offensichtlich wird die Bevölkerungsmehrheit von keiner – staatstragenden oder oppositionellen – politischen Kraft erreicht.

Finstere oder mediokre Präsidentschaftskandidaten

Die Aussichten für die Präsidentschaftswahlen Ende Mai sind dementsprechend alles andere als rosig. Zwar ist unwahrscheinlich, dass der von Uribe unterstützte Kandidat, Ex-Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, bereits im ersten Durchgang eine absolute Mehrheit erzielt, doch für die Stichwahl am 20. Juni sehen ihn die Umfragen klar in Führung. Die Präsidentschaftswahlen folgen in Kolumbien stets ihren eigenen Gesetzen. So kam der Kandidat des Polo Democrático Alternativo Carlos Gaviria mit einem dezidiert linken Programm 2006 mit 2,6 Millionen Stimmen (22 Prozent) hinter Álvaro Uribe auf den zweiten Platz, obwohl wenige Wochen zuvor bei den Kongresswahlen nur 900.000 Menschen für den Polo gestimmt hatten. Ein vergleichbares Szenario deutet sich auch diesmal an. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Antanas Mockus, der Kandidat der Grünen Partei (Partido Verde), neben Santos die Stichwahl erreichen.

Die kolumbianischen Grünen sind eine Zentrumspartei mit marktliberalem Programm. Auch ihr ökologisches Profil ist nicht besonders ausgeprägt. Als Bürgermeister von Bogotá charakterisierten sich die Parteiführer Antanas Mockus, Enrique Peñalosa und der (als Sozialdemokrat aus dem Polo Democrático ausgetretene) Lucho Garzón vor allem durch eine effiziente Verwaltung und parteipolitische Unabhängigkeit. Antanas Mockus, dem Umfragen zur Zeit bis zu 45 Prozent bei einer Stichwahl vorhersagen, verdankt seine politische Laufbahn einem Kuriosum. Als Rektor der Nationaluniversität zeigte er protestierenden Studierenden Anfang der 1990er Jahre den nackten Hintern und wurde darüber über Nacht im ganzen Land bekannt. Mockus musste damals zwar als Rektor zurücktreten, nutzte die neue Popularität jedoch für eine Kandidatur bei den Bürgermeisterwahlen und gewann 1994 gegen – seinen heutigen Parteifreund – Enrique Peñalosa.

Dass er eine so hohe Zustimmung besitzt, obwohl sein politisches Profil nicht sehr eindeutig ist, hat damit zu tun, dass er als Unabhängiger wahrgenommen wird und er als Bürgermeister (1995 –1998) eine urbanistische Umgestaltung Bogotás einleitete. Außerdem kommt ihm zugute, dass er mit dem in Medellín sehr populären unabhängigen Ex-Bürgermeister Sergio Fajardo als möglichen Vizepräsidenten antritt. Die anderen beiden oppositionellen Präsidentschaftskandidaten – der Liberale Rafael Pardo und der Kandidat des Polo Democrático Alternativo Gustavo Petro – werden beim Wahlausgang keine größere Rolle spielen, obwohl sie inhaltlich bei Wahldebatten durchaus überzeugen konnten.

Die Liberalen stecken nach der Abspaltung der Parteirechten nach wie vor in einer tiefen Krise. Der Polo Democrático Alternativo stellt zwar seit einigen Jahren den Bürgermeister von Bogotá, aber repräsentiert zur Zeit keine echte Alternative. Die konservative Kandidatin Noemi Sanín schließlich, die zwischen Regierung und Opposition zu verorten ist, wird vermutlich auf Platz 3 landen und es nicht in die Stichwahl schaffen.

Der aussichtsreichste Kandidat ist somit Juan Manuel Santos. Der Ex-Verteidigungsminister stammt aus einer alten Politikerdynastie. Sein Großonkel Eduardo war 1934 bis 1938 Staatschef, sein Cousin Francisco ist seit acht Jahren Vizepräsident Uribes. Der Santos-Familie gehört zudem der Medienkonzern Casa Editorial El Tiempo und die gleichnamige Tageszeitung (die größte im Land). Über seine Kapitalverflechtung mit der konservativen spanischen Mediengruppe Planeta übt der Tiempo-Konzern auch international beträchtlichen Einfluss aus.

Als Verteidigungsminister profitierte Santos 2008 von den Erfolgen der Armee im Kampf gegen die Guerrilla. Damals gelang unter anderem die Befreiung von mehreren durch die FARC entführten Geiseln, darunter auch der Abgeordneten Ingrid Betancur. Diese Erfolge machen vergessen, dass Santos schwerwiegende Skandale zu verantworten hat. 1997 war er an der Vorbereitung eines Staatsstreichs beteiligt. Er versuchte damals Präsident Ernesto Samper (1994 –1998) zu stürzen, der wegen seiner Verbindungen zum Cali-Kartell in Washington in Ungnade gefallen war. Noch gravierender jedoch ist der Skandal um die so genannten falsos positivos ("falsche Erfolgsmeldungen"). 2008 wurde bekannt, dass kolumbianische Militärs Hunderte, möglicherweise Tausende von Jugendlichen aus Armenvierteln aufs Land gelockt und ermordet hatten. Die Soldaten hatten den Toten Guerrilla-Uniformen angezogen und sie als im Kampf gefallene Gegner präsentiert, um in den Genuss von Prämien und Sonderurlauben zu kommen. Juan Manuel Santos, der als Minister für das Prämienmodell verantwortlich war, hielt es nicht für nötig, von seinem Amt zurückzutreten. Während er sich im In- und Ausland als Geiselbefreier feiern ließ, protegierte er innerhalb der Streitkräfte ein bizarres Entführungs- und Mordnetzwerk.

Dennoch scheint der Wahlsieg von Santos fast sicher. Der Kandidat wird von den Regierungsparteien und den großen Medienkonzernen unterstützt. Im traditionellen Establishment ist er sogar noch etwas beliebter als Uribe, weil er anders als der amtierende Staatspräsident nicht als Emporkömmling gilt.

Staatliche Gewalt- und Kriegsunternehmer

Die wichtigste Hinterlassenschaft der Regierung Uribe ist zweifellos die Strategie der Seguridad Democrática (Demokratische Sicherheit). In ihrem Rahmen ist es der Regierung gelungen, die Kontrolle über weite Landesteile zurückzuerlangen. So sind Fahrten auf den wichtigen Überlandstraßen heute wieder gefahrlos möglich. Die Guerrilla ist in periphere Regionen abgedrängt, die Zahl der paramilitärischen Massaker deutlich zurückgegangen.

Erkauft wurde dies allerdings mit einer dramatischen Militarisierung des Landes. Polizei und Streitkräfte wurden spürbar aufgestockt, zwei Millionen (der insgesamt 45 Millionen) Kolumbianer sollen als Informanten der Geheimdienste tätig sein. Insgesamt ist die Sicherheit von einem Teil der Kolumbianer mit der Unsicherheit anderer Kolumbianer erkauft worden. So gab es in den vergangenen Jahren große Kriminalisierungswellen gegen soziale Bewegungen. Menschenrechtsgruppen sprechen von 6000 willkürlichen Verhaftungen allein in den ersten zwei Jahren der Uribe-Regierung. Obwohl letztlich fast alle Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, sorgten die Kriminalisierungskampagnen dafür, dass Kleinbauernorganisationen, Genossenschaften, Menschenrechtsgruppen und Gewerkschaften in manchen Regionen, z. B. im traditionell gut organisierten Arauca, ihre Arbeit fast völlig einstellen mussten.

Auch die Bilanz bei der Kriminalitätsbekämpfung ist längst nicht so positiv wie häufig unterstellt. Zwar sind die Innenstädte sicherer geworden und an der Karibikküste boomt der Tourismus. Doch in den Armenviertel der Großstädte hat sich die Lage zuletzt wieder verschärft. Allein in den Barrios von Medellín gab es 2009 mehr als 1000 Morde, und auch im Süden von Bogotá ist die Situation alles andere als entspannt. Umstritten ist schließlich auch, inwiefern die paramilitärischen Gruppen, die für 70 Prozent der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, durch die Regierungspolitik geschwächt oder gar zerschlagen wurden.

Tatsächlich hat sich der Paramilitär-Verband Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) zwischen 2003 und 2006 demobilisiert. Die wichtigsten AUC-Kommandanten sitzen heute wegen Drogenhandels in den USA im Gefängnis oder sind, wie die berüchtigten Brüder Carlos und Vicente Castaño, tot. Die Zahl der Massaker hat drastisch abgenommen, die Regierung spricht davon, dass nur noch "kriminelle Banden" existieren.

Doch die dahinter stehenden Machtstrukturen sind intakt. Das kann auch kaum überraschen, sind sie doch eng mit der Regierungsmacht verschränkt: Bereits als Gouverneur von Antioquia propagierte Álvaro Uribe in den 1990er Jahren die Gründung legaler paramilitärischer Wachschutzunternehmen und unterstützte Militärs, die besonders intensiv auf die Gewalt von Todesschwadronen setzten. Bei den Wahlen 2002 und 2006 führten die AUC-Paramilitärs offensiv Wahlkampf für Präsident Uribe. Und auch nach Uribes Amtsantritt kooperierte die ihm direkt unterstellte Geheimpolizei DAS eng mit den Paramilitärs: Sie bespitzelte Richter und erstellte Todeslisten von Gewerkschaftern.

Insofern schienen die Gespräche, die die Uribe-Regierung 2002 mit den Paramilitärs aufnahmen, zunächst auf eine Legalisierung der AUC hinauszulaufen. Die Führer der Paramilitärs wurden in speziellen Camps interniert und durften vor dem Kongress sprechen. Zu einem Strategiewechsel der Regierung kam es erst, als der unpolitische Charakter der Paramilitärs auch in der Öffentlichkeit immer deutlicher wurde. Jahrelang hatten die Medien die Paramilitärs als antikommunistisch motivierte Selbstverteidigungsgruppen präsentiert. Nun wurde jedoch immer offensichtlicher, dass es sich bei den Paramilitärs um Gewalt- und Kriegsunternehmer handelte. Ihr Geschäftsmodell bestand darin, solche Gewalttaten zu verüben, die im Interesse der politisch-ökonomischen Eliten waren: also Morde an Linken und Aktivisten von sozialen Bewegungen oder die Vertreibung der Zivilbevölkerung aus ökonomisch wichtigen Regionen. Im Gegenzug ließ die Staatsmacht die Paramilitärs ungestraft ihren illegalen Geschäften – v. a. Drogenhandel, Landraub und Schutzgelderpressung – nachgehen.

Dieser kriminelle Charakter der Paramilitärs war im Verlauf der AUC-Demobilisierung nicht mehr zu kaschieren. Vor diesem Hintergrund widersetzten sich Teile der Öffentlichkeit und der Justiz gegen eine Amnestierung der Paramilitärs, wie sie Uribe den AUC-Chefs zunächst zugesagt hatte.

Als die Paramilitär-Kommandanten sich dann, entgegen der Absprachen, plötzlich vor Gericht wieder fanden, begannen einige von ihnen Aussagen über ihre Hintermänner in Politik und Wirtschaft zu machen. Erst in diesem Augenblick verschärfte Uribe den Tonfall. Er ließ die AUC-Führer in Hochsicherheitsgefängnisse verlegen und schließlich in die USA ausliefern, wodurch die Aufdeckung der paramilitärischen Strukturen verhindert werden konnte. Zwar sitzen heute einige mit den Paramilitärs verbündete Politiker in Haft, doch in Uribes politische Heimat, dem Departement Antioquia, blieben die Zusammenhänge im Dunklen. Auch Militärs, Polizei und Unternehmen sind von den Ermittlungen bislang kaum betroffen.

Trotzdem scheint sich Uribe vor einem Schicksal zu fürchten, wie es den peruanischen Präsidenten Fujiomori ereilte. Fujimori wurde unlängst wegen Menschenrechtsverletzungen und anderer Verbrechen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Gegen Uribe sind ähnliche Prozesse durchaus denkbar. Ein Zeuge der Paramilitärs hat behauptet, Uribe sei an der Vorbereitung des Massakers von El Aro (Antioquia) beteiligt gewesen. Bekannt ist weiterhin, dass sich Uribes Privatsekretär 2008 mit einem Gesandten der Medelliner Mafia im Präsidentenpalast traf, um sich belastendes Material gegen den uribe-kritischen Obersten Gerichtshof aushändigen zu lassen. Und der ehemalige Informatikchef der Geheimpolizei DAS Rafael García schließlich hat 2009 ausgesagt, seine Behörde habe – mit Wissen Uribes – eng mit den AUC-Paramilitärs kooperiert. In diesem Zusammenhang habe man gemeinsam mit dem mexikanischen Kartell der Brüder Beltrán Leyva Kokain in die USA exportiert, um den Kampf gegen die Guerilla zu finanzieren. Etwa 100 Millionen US-$ seien über diese Handelsroute nach Kolumbien gelangt (vgl. Noticias Uno 30.8.2009, La Jornada 9. und 11.11.2009).

Schwache linke Opposition

Dass die Oppositionsparteien – allen voran der Polo Democrático Alternativo – nicht von Skandalen profitieren, hat sicherlich auch damit zu tun, dass die großen Medien zum Uribe-Lager gehören und sich die Opposition hier auf feindlichem Terrain bewegt.

Doch auch die eigene Unfähigkeit macht dem PDA zu schaffen. 5 Jahre nach seiner Gründung ist die Partei nach wie vor ein fragiles Gebilde. Federführend sind darin zwei – miteinander verfeindete – sozialdemokratische Strömungen: Auf der einen Seite die Gruppe ANAPO um den Bürgermeister von Bogota Samuel Moreno, dem Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt werden, auf der anderen die Strömung um den aktuellen Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro, ein Ex-Mitglied der 1990 demobilisierten, nationalistischen M-19-Guerilla. Wenn man die beiden PDA-Politiker einordnen will, so stehen sie beide dem brasilianischen Präsidenten Lula sicherlich politisch näher als dem venezolanischen Staatschef Hugo Chávez. Die Parteilinke, die sich aus verschiedensten politischen und gewerkschaftlichen Gruppen zusammensetzt und über ihre Identifikation mit den Linksregierungen in Venezuela und Bolivien zusammengehalten wird, besaß in den vergangenen Jahren einigen Einfluss und propagierte eine neuerliche Kandidatur des Ex-Verfassungsrichters Carlos Gaviria, der als eine der integersten politischen Figuren im Land gilt.

Bei den Vorwahlen im September 2009 scheiterte Carlos Gaviria jedoch völlig überraschend an Gustavo Petro. Hierfür werden meist zwei Gründe genannt: 1) An den Vorwahlen konnten auch Nichtmitglieder teilnehmen, die mehrheitlich für Petro gestimmt zu haben scheinen. 2) Die Anhänger Gavirias mobilisierten kaum für die internen Vorwahlen, da sie schon von einem Sieg ausgingen.

Der Vorwahlsieg Petros wird den Polo Democrático jetzt möglicherweise teuer zu stehen kommen. Zwar hat Petro große Verdienste bei der Aufdeckung des Parapolitik-Skandals gehabt, aber bei vielen Wählern kommt der Ex-Guerillero Petro deutlicher schlechter an als Carlos Gaviria, der sein ganzes Leben mit zivilen Mitteln gekämpft hat. Auch Petros Ausrichtung der Partei auf die politische Mitte scheint eher schädlich zu sein. Kolumbiens Bevölkerung sehnt sich nach einer Alternative zur traditionellen Politik. Petros Linie macht die (Mitte-) Links-Partei aber immer weniger unterscheidbar von anderen Parteien.

Wie weit dieser Anpassungsprozess reicht, zeigt die Ankündigung Petros, die autoritäre Sicherheitspolitik von Álvaro Uribe (die immerhin mit mehreren Tausend Verhaftungen von Kleinbauern und Gewerkschaftern einherging) im Fall eines Wahlsiegs fortsetzen zu wollen. Petro wird voraussichtlich weit unter 10 Prozent bleiben. Ob der Polo Democrático diese Wahlniederlage überstehen oder danach wieder in seine Einzelteile zerfallen wird, ist im Augenblick völlig offen.

Schwindende Bedeutung der Guerilla

Den größten Erfolg aus Sicht der Regierung stellen sicherlich die militärischen Erfolge gegen die FARC-Guerilla dar. Hatten sich die Offensiven unter Uribes Vorgänger Andrés Pastrana (1998–2002) auf die kleinere ELN-Guerilla konzentriert, so wurde in den vergangenen acht Jahren unter Uribe nun die FARC strategisch geschwächt.

Die parteikommunistisch ausgerichteten FARC, die sich in der Vergangenheit oft durch ein militaristisches und autoritäres Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung hervorgetan haben, verlegten sich in den frühen 1990er Jahre zunehmend auf Geldbeschaffungsaktionen – Entführungen, Schutzgelderpressungen und die Besteuerung des Drogenhandels. Viele ihrer Aktionen (das gilt auch für die kleinere ELN) sind seitdem kaum noch von den Verbrechen der organisierten Kriminalität zu unterscheiden.

Trotzdem ist es falsch, den Guerillas eine Entpolitisierung vorzuwerfen. Anders als die Capos der organisierten Kriminalität profitieren die Guerilla-Führer von den illegalen Geschäften nicht persönlich und haben demzufolge auch kein persönliches Interesse am Krieg. Zudem halten FARC und ELN hartnäckig an ihren alten Forderungen fest: eine umfassende Landreform, die Öffnung des politischen Systems, eine Entmachtung der traditionellen Eliten und eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik. Unter Uribe hat die kolumbianische Armee, die von US-amerikanischen, europäischen und israelischen Militär- und Sicherheitsberatern massiv unterstützt wird, der Guerilla schwere Niederlagen zugefügt. Mit Hilfe von Überläufern gelang es ihr, FARC-Kommandant Raúl Reyes im März 2008 bei einem Überfall zu töten und einige Monate später mehrere Geiseln (darunter auch die Politikerin Ingrid Betancourt) zu befreien. Der Zerfall der FARC reichte zeitweise so weit, dass ein hochrangiger Guerillakommandant nachts von seinem eigenen Leibwächter ermordet wurde.

Mittlerweile scheinen sich die FARC jedoch wieder gefangen zu haben. Unter ihrem neuen Oberkommandieren Alonso Cano gibt sich die Guerilla politischer und bemüht sich um einen Dialog mit der politischen Öffentlichkeit. Auch mit der ELN-Guerilla suchten die FARC eine Verständigung. Die beiden Organisationen, die sich jahrelang auch bewaffnet bekämpften, kündigten vor einigen Monaten an, von nun an zusammenzuarbeiten.

Ob die Guerilla noch einmal an Bedeutung gewinnt, ist unklar. Im Unterschied zu anderen lateinamerikanischen Fällen (z. B. in den 1990er Jahren in Peru) wurden die Führungsstrukturen der kolumbianischen Guerilla bislang nicht getroffen. Aus manchen Gegenden – etwa aus dem Westen und Südwesten Kolumbiens – wird sogar ein Erstarken der Guerilla gemeldet.

Offensive gegen soziale Bewegungen

Doch noch mehr als die Guerillas stehen nach acht Jahren Uribe die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften unter Druck. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt mittlerweile bei unter drei Prozent. Soziale Proteste haben spürbar abgenommen. Und das öffentliche Klima ist von einem autoritären Tonfall beherrscht, in dem jede Protestbekundung als terroristisch diskreditiert werden kann. Das Uribe-Lager kann dabei nicht nur auf die Massenmedien zählen. Es hat auch erfolgreich verstanden, die Bevölkerung zu mobilisieren. So demonstrierten 2008 mehrere Millionen Menschen gegen die FARC und für die Freilassung der Guerillageiseln. In der Öffentlichkeit assoziiert man den Begriff der Entführung nur noch mit der Guerilla, obwohl im Rahmen so genannter Despariciones (Verschwindenlassen) viele Hundert Menschen durch Staatsorgane entführt und meist ermordet worden.

Die kämpferischen oppositionellen Bewegungen – das MOVICE (Bewegung der Opfer des Staatsterrorismus),der Indigenen-Marsch Minga Indígena und der Streik der Zuckerrohrarbeiter –, die 2009 Hunderttausende auf die Straße brachten, sind im vergangenen Jahr abgeflaut. Trotzdem ist allein die Tatsache, dass nach 30 Jahren "schmutzigen Kriegs" weiter soziale Bewegungen aktiv sind, bemerkenswert. Wie schon in der Vergangenheit sind neue soziale Massenbewegungen nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich.

Rechte Kontinuitäten

Nachdem die Reformprozesse in den Nachbarländern Venezuela und Ecuador zuletzt an Strahlkraft verloren haben, scheint Kolumbien weiter denn je von einem Politikwechsel entfernt zu sein. Selbst wenn der Kandidat der Rechten Juan Manuel Santos die Präsidentenwahl unerwartet verlieren sollte, wird es kaum zu Veränderungen kommen. Der unabhängige Kandidat Antanas Mockus steht nicht für eine alternative Sozialpolitik. Auch er würde die weltmarktorientierte, neoliberale Politik, für die Kolumbien emblematisch in Südamerika steht, fortsetzen. Zudem hat das Establishment die ökonomische, mediale und politische Macht fest in der Hand. Ein unabhängiger Präsident hätte kaum Gestaltungsmöglichkeiten.

Allerdings verweist die Tatsache, dass unabhängige Kandidaten wie das Gespann Mockus/Fajardo so viel Zuspruch erhalten, auch darauf, wie groß das Bedürfnis nach politischen Alternativen in Kolumbien ist. Die Krise der Repräsentation scheint trotz der Neuordnung der politischen Landschaft unter Uribe nicht überwunden. Ganz bedeutungslos ist der Wahlausgang Ende Juni aber auch nicht. Als Verteidigungsminister hat sich Juan Manuel Santos als Scharfmacher der Uribe-Regierung profiliert und die Konflikte mit den Regierungen Chávez und Correa angeheizt. Santos würde als Präsident ebenso wie Uribe als enger Verbündeter Washingtons auftreten und sich den eher links konnotierten Integrationsbemühungen in Lateinamerika aktiv widersetzen. Von einem Präsidenten Mockus wären wohl etwas zurückhaltendere Töne zu erwarten.


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