Bolivien

"Neue Art der Politik"

Ein Gespräch mit Julia D. Ramos Sánchez, Bolivien Ex-Ministerin für ländliche Entwicklung und Landfragen (2006-2010).

Ihren Kampf für Gleichheit und einen neuen Politikstil begann die 37-jährige Mutter und Gewerkschafterin in der sozialen Bewegung Indigene Frauen und Bäuerinnen Bartolina Sisa.


Unmittelbar nach dem Wahlsieg im Dezember hat der wiedergewählte Präsident Evo Morales die "Beschleunigung des Wandels" angekündigt. Die Rechte ist bei den Wahlen untergegangen, ist der Weg frei für eine tief greifende Umgestaltung Boliviens?

Erst ab jetzt, mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung, können wir den Neoliberalismus richtig beerdigen. Natürlich ist er weiterhin gültig. Auch wenn wir bisher an der Regierung gewesen sind, im Großen und Ganzen ist das neoliberale System intakt geblieben. Ab jetzt wird sich das ändern. Die Anpassung der nationalen Gesetzgebung an die neue Verfassung steht an und soll Bolivien mehr Demokratie und Gleichheit bringen. Die neue Zweidrittelmehrheit in Abgeordnetenkammer und Senat wird uns bei der Beschleunigung des Wandels sicher helfen.

Skeptiker sprechen vom schmutzigen Geschäft der Politik, alle Politiker gleich welcher Couleur seien korrupt. Was macht die *Bewegung zum Sozialismus* (MAS) so besonders?

Wir wollen vor allem falschen Egoismus und Individualismus überwinden. Ein Land voller Solidarität und Respekt ist unser Ziel. Das Leben um uns herum wollen wir wertschätzen. Nur das soll von der Natur genommen werden, was wir für den täglichen Gebrauch und ein gutes Leben brauchen. Nichts soll in großen Mengen der Natur entnommen werden, wir wollen nicht zerstören. Unsere Botschaft ist der Schutz der Pachamama, der Mutter Erde. Klimawandel und Umweltzerstörung sind Ergebnis des angewendeten neoliberalen Systems, worunter wir noch viel leiden werden. Wir hoffen, dass andere Länder Schritt für Schritt ein neues Bewusstsein erlangen, um mit der Natur ein neues Verhältnis aufbauen zu können.

Nur politische Programme zu schreiben reicht da nicht...

Wir, die wir in die Verantwortung gewählt wurden, können die Art Politik zu machen ändern. In Bolivien ist besonders der Geist des Bürokratentums ein großes Problem. In den eigenen Reihen, in Regierung und Staatsapparat haben wir noch viele Leute, die nur Funktionäre sind. Wir aber brauchen echte Volksdiener. Der Funktionär rennt um 8.30 Uhr morgens ins Büro, um kurz nach Mittag nach Hause zu gehen. Den ganzen Nachmittag bleibt sein Posten unbesetzt. Der Volksdiener hat schon um 5 Uhr in der Früh Kabinettssitzung, oft ist erst um Mitternacht Schluss. So muss gearbeitet werden, um vorwärts zu kommen. Der Funktionär arbeitet wie eine Maschine. Der Volksdiener aber schaut nicht auf Uhr und Stunden, um seinem Land zu helfen.

Machen Sie als Ministerin also mehr Druck?

Wir Politiker müssen als Vorbilder dienen. Doch gibt es wenige, denen harte Arbeit gefällt. Meinen eigenen Leuten sage ich: "Kommt doch wenigstens um 7.30 Uhr. Für die anderen sind wir Vorbilder!" Weniger Bürokraten-Mentalität, mehr Bewusstsein dafür, dass wir bezahlt werden, um eine Politik der Wohlfahrt voranzutreiben.

Wohlfahrt in welchem Sinne?

Ich verstehe den Staat als Vater. Für alle muss er Sorge tragen: Dass sie gut essen, gut leben, dass sie zufrieden sind wie in einer glücklichen Familie. Wenn es Streit gibt, weil der eine zu viel hat, alles für sich behalten will und der andere Hunger leidet, dann hängt der Haussegen schief. Könnten wir die Ungleichheit beseitigen und dieses Verständnis mit anderen teilen, dann wäre die soziale Situation in Bolivien sicher eine andere.

Mit Hilfe übergelaufener Rechtspolitiker will der MAS bei den Kommunal- und Departamentowahlen im April die verbliebene Regionalmacht der Opposition im Tiefland brechen? Ist das nicht ein riskantes Manöver?

Geben wir denen, die jetzt einer Lawine gleich das Lager wechseln, eine Chance. Wenn sie etwas vorhaben, sie sollen es nur versuchen. Die Basis wird persönliche Bereicherung oder Korruption schnell aufdecken und das neue Amtsenthebungsverfahren einleiten. Dann sind sie raus. Jetzt gibt es echte gesellschaftliche Kontrolle. Für die Wahlen hat Präsident Morales die Losung ausgegeben: "Wir fegen unser Haus von Außen nach Innen". Wenn die Bürgermeister und Präfekten erst einmal gewonnen sind gilt: "Wir fegen unser Haus von Innen nach Außen". Priorität haben jetzt die Stimmen für den Wandel.


Das Interview erschien in den Lateinamerika-Nachrichten Nr. 428