Bolivien / Wirtschaft

Streit um Währungsreserven in Bolivien

Morales-Regierung baut staatliches Engagement in der Wirtschaft sparsam aus. Widerstand von alter Wirtschaftselite

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Wirtschaftsminister Luis Arce Catacora
Verteidigt die erfolgreiche Wirtschaftspolitik in Bolivien: Wirtschaftsminister Luis Arce Catacora

La Paz. Für Boliviens Wirtschaftsminister Luis Arce Catacora ist alles klar. "Der Markt hat wiederholt gezeigt, dass er bei der Problemlösung in Gesellschaft und Wirtschaft ein Sitzenbleiber ist"

, stellte der Ökonom am Wochenende in einem Radiointerview fest. Eine "Rückkehr zum Neoliberalismus", so Arce in Richtung Opposition, werde es mit der Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) auf keinen Fall geben. Mit Gezeter und einer Flut von Expertisen marktradikaler Wissenschaftler stemmt sich Boliviens abgewählte Elite heute vehement gegen die geplante Diversifizierung des auf Rohstoff-Verkauf getrimmten Exportmodells im Andenland.

Die Wirtschaft des 10-Milllionen-Einwohnerstaates brummt wie nie. Mehr Steuern durch Rekordeinnahmen im Gas- und Bergbaugeschäft und ein vor Kraft strotzender Binnenmarkt lassen die Kassen des plurinationalen Staates klingeln. Trotz erhöhter Ausgaben in einen ganzen Strauß von Sozialprogrammen wird den MAS-Haushältern mittlerweile selbst vom Internationalen Währungsfonds (IWF) ein verantwortlicher Umgang mit dem neuen Reichtum bescheinigt. So haben sich seit der Nationalisierung der Bodenschätze 2006 auf den Konten der Zentralbank in La Paz über elf Milliarden US-Dollar an internationalen Reserven (RIN) angehäuft. 2011 waren das über 53 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, womit Bolivien in ganz Lateinamerika auf Platz Eins rangiert.

Über die Verwendung der RIN-Milliarden ist nun eine heftige Diskussion entbrannt. Will die Administration von Präsident Evo Morales endlich weg von der Jahrhunderte alten Rolle des billigen Rohstoff-Lieferanten, so wünscht sich die Opposition eine Förderpolitik der alten Art. Letzte Woche hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Einrichtung des Entwicklungsfonds FINPRO vorsieht. „Die finanzierten produktiven Unternehmungen sind auf die Transformation des Produktivsektors ausgerichtet, welche notwendigerweise die Industrialisierung der Bodenschätze sowie der Nahrungsmittel einschließt«, so die Norm. Insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar sollen ab diesem Jahr fließen, die Hälfte der Summe für Eisenschmelzen, Textilfabriken und Milchabfüllanlagen mit staatlicher Beteiligung, aber auch an Private, werden aus dem RIN-Topf bezahlt.

"Das Geld nicht in den Energiebereich wie für Gas, Erdöl oder Elektrizität zu investieren, das ist unverantwortlich", schimpft Boris Gómez Uzqueda in der Tageszeitung Opinión. Dem Unternehmertum, das mit der Privatisierung der Bodenschätze an ausländische Firmen seit Anfang der 1990er Jahre Millionen machte, spricht der Ökonom aus der Seele. Über die Hälfte der Staatsreserven solle die Zentralbank freigeben, fordert der Berater ausländischer Energiemultis eine Austrocknung der Staatskasse. Der "Staat als Unternehmer", lässt Gómez die Katze schließlich aus dem Sack, würde "für die privaten Industrie-Unternehmungen ungesunden Wettbewerb zementieren".

Die Sorge der Wirtschaftselite ist verständlich. Bis zum MAS-Regierungsantritt war Boliviens Markt ein Monopol, geführt von einer Handvoll Familien. Das vom MAS proklamierte "neue produktive, soziale und kommunitäre Modell", ein Nebeneinander von Staat, Privatwirtschaft und traditionell-indigenen Genossenschaften sorgt für erfrischende Konkurrenz. Gegründet werden Papier- und Zuckerfabriken, eine staatliche Lebensmittelkette, eine Telefongesellschaft. Auch der Energiekonzern YPFB hat sich gefestigt, ausländische Investoren stehen Schlange.