Havanna. Mit politischen und moralischen Appellen auf beiden Seiten ist am Mittwoch der zweitägige Besuch von Papst Benedikt XVI. in Kuba zu Ende gegangen. Nach einer Messe am Dienstag in Santiago de Cuba, der zweitgrößten Stadt des Landes, hatte der amtierende Papst, der Deutsche Josef Ratzinger, am Mittwoch zu einem Gottesdienst auf dem Platz der Revolution in Havanna aufgerufen. Gekommen waren zu der Messe unter den haushohen Reliefs der Guerilla-Kommandanten Ernesto Che Guevara und Camilo Cienfuegos sowie der Statue des Nationalhelden José Martí Hunderttausende Zuschauer, die für die Veranstaltung von der Arbeit befreit worden waren. Tausende Kubaner kamen aus dem Ausland, unter anderem aus den USA. Vor dem Besuch in Kuba hatte der sichtlich gebrechliche Benedikt XVI. Mexiko einen ebenfalls zweitägigen Besuch abgestattet.
Seine deutlichste politische Botschaft gab das katholische Kirchenoberhaupt einem Agenturjournalisten auf dem Flug nach Kuba zu Protokoll. "Die marxistische Ideologie entspricht nicht mehr der Realität", sagte Ratzinger. Doch der Skandal blieb aus. "Wir respektieren alle Meinungen", entgegnete Kubas Außenminister Bruno Rodríguez. Havannas Chefdiplomat erinnerte zugleich daran, dass die ideologischen Wurzeln der kubanischen Revolution "mehr als ein Jahrhundert zurückreichen" und sich das politische System zudem stetig verändere.
Bei seiner ersten Messe in Santiago rief der 84-jährige Papst am Dienstag indes zur "Versöhnung" zwischen allen Kubanerinnen und Kubanern auf und erwähnte dabei auch jene, "die ihrer Freiheit beraubt und von ihren Liebsten getrennt" sind. Auch in Havanna schlug Ratzinger politische Töne an: "Die Wahrheit ist ein Streben des Menschen und die Suche nach ihr erfordert die Ausübung authentischer Freiheit", sagte er.
Die kubanische Führung ging mit den vielfach deutbaren Appellen des Papstes entspannt um. Bei beiden Gottesdiensten nahm Staats- und Regierungschef Raúl Castro, bekleidet in einer weißen Guayabera, einem traditionellen Hemd, teil. Begleitet wurde er von Mitgliedern des Staats- und Ministerrates und des Zentralkomitees der regierenden Kommunistischen Partei Kubas (PCC).
In der Nacht zum Mittwoch war Raúl Castro bereits mit Benedikt XVI. zusammengekommen. Bei dem rund 40-minütigen Treffen sei es, so berichtete Vatikan-Sprecher Federico Lombardi später, auch um "humanitäre Fragen" gegangen.
Zum Ende des Besuches traf der amtierende Papst den ein Jahr älteren Revolutionsführer Fidel Castro. Dieser hatte zuvor in einem Kommentar indirekt um das Treffen gebeten: "Gerne werde ich Seine Exzellenz Papst Benedikt XVI. begrüßen. Er ist ein Mensch, bei dem der Kontakt mit den Kindern und den ärmlichen Bürgern des Volkes unveränderlich Gefühle der Zuneigung geweckt hat. Deshalb habe ich mich entschieden, ihn um einige Minuten seiner sehr knappen Zeit zu bitten", so Fidel Castro, der zugleich für gemeinsame Anstrengungen in der Friedensarbeit appellierte: Marxisten und Christen müssten sich gemeinsam gegen die existenziellen Gefahren für die Menschheit einsetzen, schrieb der 85-jährige ehemalige Staatschef in einem Kommentar, der neben der Rede Ratzingers in der Tageszeitung Granma, dem Zentralorgan der PCC, veröffentlicht wurde. Über das Treffen zwischen Josef Ratzinger und Fidel Castro am Mittwochnachmittag wurde inhaltlich zunächst nichts bekannt.
Kurz vor seiner Abreise aus Kuba verurteilte der Papst indes auch die Blockadepolitik der USA gegen das sozialistische Kuba und fordert eine politische Lösung des bilateralen Konfliktes ein. Kuba leide offensichtlich unter "restriktiven wirtschaftlichen Maßnahmen, die dem Land von außen aufgezwungen werden und die Bevölkerung negativ beeinflussen", gab das Kirchenoberhaupt im VIP-Saal des internationalen José-Martí-Flughafens von Havanna zu Protokoll.
Die katholische Kirche hat in Kuba in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Schon auf dem vierten Parteitag der PCC 1991 war die gleichzeitige Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei und einer Religionsgemeinschaft wieder zugelassen worden. Auch der Besuch von Benedikt XVI. steht im Zusammenhang der Annäherung zwischen Staat und Kirche in Kuba nach Jahrzehnten der Konfrontation und Distanzierung. In den vergangenen Monaten hatte die kubanische katholische Kirche zur Freilassung von inhaftierten Oppositionellen beigetragen. Dennoch erklärte Vatikan-Sprecher Lombardi vor dem Besuch des katholischen Kirchenoberhauptes unmissverständlich, dass es kein Treffen zwischen Benedikt XVI. und Vertretern regierungsfeindlicher Gruppen geben werde. Vereinzelte Aktionen während des Papstbesuches und von Aktivisten des antikubanischen Exils in den USA hatten keine weiteren Auswirkungen.
Mit dem zweiten Besuch eines Papstes binnen 14 Jahren nach einer Visite von Johannes Paul II. im Jahr 1998 versucht der Vatikan weiterhin, seinen Einfluss auf Kuba wiederzuerlangen. Der Kirchenstaat hat in Kuba seit der Revolution 1959 erheblich an Wirkungskraft verloren. Nach der Ausweisung von gut 120 rechtsgerichteten Priestern Anfang der 1960er Jahre und der folgenden Nationalisierung des Bildungswesens – darunter den kirchlichen Schulen – wurden die vatikanischen Strukturen zerschlagen. Bis heute hat der Kirchenstaat den Einfluss auf katholischen Strukturen in Kuba nicht zurückerlangt, was sich auch in unterschiedlichen Positionen der Kirche in dem Karibikstaat und dem Vatikan widerspiegelt.