Haiti / Politik

Parlamentsbelagerung nach Polizistenmord in Haiti

Polizisten fordern Untersuchungsverfahren gegen Parlamentsabgeordneten wegen Mordes. Neue Korruptionsaffäre um Präsidenten verschärft Krise

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Haitis Präsident Michel Martelly
Neue Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Michel Martelly verschärfen politische Krise des Landes

Port-au-Prince. Der Mord an einem Verkehrspolizisten hat in Haiti zu wütenden Protesten der Ordnungskräfte und der zeitweisen Belagerung

des Parlaments geführt. Der Tod des 27jährigen Staatsbediensteten, der in Ausübung seines Amtes am 17. April von Unbekannten ermordet wurde, erhielt deshalb besondere Brisanz, da bekannt geworden war, daß der Polizist wenige Stunden vor seiner Ermordung den Fahrer eines Parlamentsabgeordneten bei einer Fahrzeugkontrolle wegen illegalen Waffenbesitzes hatte festnehmen lassen. Der Abgeordnete hatte daraufhin wüste Drohungen gegen den Polizisten ausgestoßen.

Nach Bekanntwerden der Tat stürmten ein paar Dutzend Kollegen des Ermordeten voller Empörung in das Parlamentsgebäude und forderten die sofortige Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Rodriguez Séjour, den sie für die Tat verantwortlich machten. Zudem forderten die Polizisten die Anhörung Séjours durch eine parlamentarische Untersuchungskomision. Um ihrer Forderung nach Eröffnung eines Strafverfahrens Nachdruck zu verleihen, blockierten die Kollegen eine der wichtigen Ausfallstraßen im Südwesten der Hauptstadt (Carrefour) und lösten damit einen veritablen Verkehrskollaps aus. Mit brennenden Autoreifen und quer gestellten Bussen und Autowracks haben sich die Unruhen auf das gesamte Stadtgebiet ausgedehnt und zwischenzeitlich dazu geführt, daß für viele Menschen weder Schulen noch Arbeitsplätze erreichbar waren.

Der Mord an dem Verkehrspolizisten reiht sich in ein Klima zunehmender Gewaltverbrechen ein. Über 150 Menschen sind in den letzten 4 Monaten in Haiti ermordet worden. Darunter befinden sich einfache Bürger, deren Angehörige nach Entführungen kein Lösegeld zahlen konnten, mindestens 10 Polizisten, aber auch ein prominenter Radioreporter, dessen Reportagen aus dem Elendsviertel von Cité Soleil offensichtlich den Zorn organisierter Banden weckte, und der deshalb auf offener Straße vor seinem Büro erschossen wurde.

Neben den Protesten gegen die Straflosigkeit von Gewaltverbrechen hatte die spontane Belagerung des Parlamentsgebäudes durch die Polizisten zudem die Folge, daß eine Anhörung des designierten neuen Premierministers - des bisherigen Außenministers Laurent Lamothe - vor der Abgeordnetenkammer nicht stattfinden konnte.

Seit zwei Monaten befindet sich das Land erneut in einem Übergangszustand ohne ordentliche Regierung. Der frühere Ministerpräsident Gary Conille trat im Februar von seinem Amt zurück, und der von Präsident Martelly designierte, vom Senat bereits akzeptierte Nachfolger Lamothe muß noch von der Abgeordnetenkammer ratifiziert werden. Lamothe vertrat Martelly bereits auf dem Amerika-Gipfel in Cartagena und gilt als der kommende starke Mann Haitis. 

Währenddessen wächst die Kritik am haitianischen Präsident Martelly. Während sich Martelly in den vergangenen Wochen laut offizieller Begründung wiederholt in medizinische Behandlung nach Florida begeben musste, gelangten immer mehr Indizien an die Öffentlichkeit, die auf eine doppelte Staatsbürgerschaft hinweisen. Die haitianische Verfassung verbietet dem Präsidenten den Besitz einer weiteren Staatsbürgerschaft neben der haitianischen.

Zudem konnte eine Journalistin aus der Dominikanischen Republik anhand zahlreicher Bankauszüge nachweisen, daß schon im Vorfeld der haitianischen Präsidentschaftswahlen erhebliche Summen an Bestechungsgeldern an Martelly geflossen waren. Der dominikanische Baulöwe und Senator Felix Bautista soll den zukünftigen Präsidenten mit Millionensummen davon "überzeugt" haben, dass anstehende Bauaufträge im Rahmen der Wiederaufbauprogramme am sinnvollsten an seine Firmen ergehen sollten. Die Journalistin, die bereits mehrfach Morddrohungen erhalten hat, ist inzwischen untergetaucht.