Boliviens Außenminister bilanziert Berlinbesuch

Außenminister setzt nach "offenen Gesprächen" auf Deutschlands Prüfung von Mitgliedschaft Boliviens in UN-Antidrogenkonvention. La Paz pocht auf Vorbehalt der Legalisierung des Koka-Blattkauens

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Boliviens Außenminister im AA
Boliviens erster indigener Chefdiplomat mit Amtskollegen Guido Westerwelle im Auswärtigen Amt.

Berlin/La Paz. Nach einem eintägigen Arbeitsbesuch in der deutschen Hauptstadt hat Boliviens Außenminister David Choquehuanca

eine positive Bilanz gezogen. "Bei meinen Gesprächspartnern bin ich auf viel Respekt und Verständnis gestoßen. Bolivien will auch in Zukunft wieder Mitglied des UN-Einheitsabkommens über Betäubungsmittel von 1961 sein, jedoch unter der Bedingung, dass das Kokablatt-Kauen auf bolivianischem Staatsgebiet erlaubt ist", unterstrich der Außenminister laut Pressemitteilung der bolivianischen Botschaft in Berlin den Willen seiner Regierung zur Einhaltung internationaler Verträge.

Das internationale Anti-Drogenabkommen dürfe das Kokablatt-Kauen (Acullico) in Bolivien nicht weiter ächten, forderte der Minister in Berlin. Seit 7.000 Jahren sei das Kokablatt Teil der Kultur im Andenland. "Wir alle kauen Koka, bei der Geburt eines Kindes, zu Beginn eines Fußballturniers, bei einer Hochzeit segnen wir unsere Häuser mit Koka. Die Koka ist immer mit dabei. Unsere Verfassung hat die Koka darum zum nationalen Kulturerbe erklärt. Kein Land schließt sich einem internationalen Mechanismus an, wenn dieser die eigene Verfassung bricht. Dafür soll die internationale Gemeinschaft Verständnis aufbringen", erläuterte Boliviens erster indigener Chefdiplomat seit der spanischen Eroberung vor 500 Jahren im Interview mit der Tageszeitung Neues Deutschland. Koka sei kein Kokain. Von Bolivien wurde das Abkommen in Zeiten der Militärdiktatur in den 70er Jahren unterzeichnet. Choquehuanca gegenüber ND: "In der Diktatur wurden Bürger- und Indigenenrechte mit Füßen getreten. Heute stehen wir für unsere Kultur ein. Das Unrecht der Militärdiktaturen wird korrigiert. Die internationale Gemeinschaft sollte uns dabei begleiten."

Zudem forderte er eine Außenpolitik auf Augenhöhe. "Auch die USA behalten sich doch vor, alle internationalen Verträge an ihrer Verfassung auszurichten. Das wird akzeptiert. Warum also für Bolivien keine Ausnahme? Leider gibt es oft Missverständnisse, was mangelnder Kommunikation und mangelndem Austausch auf diplomatischer Ebene geschuldet ist", so der 51-Jährige im ND-Interview. Außenminister Guido Westerwelle habe er aus diesem Grund nach Bolivien eingeladen. Nachdem ein Legalisierungsgesuch des Koka-Blattkauens auf UN-Ebene im vereinfachten Veränderungsverfahren im Jahr 2011 von einer Ländergruppe unter Führung der USA, Großbritannien und Deutschland abgelehnt worden war, hatte Präsident Evo Morales mit einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon den Austritt des Andenlandes aus dem Abkommen ab 2012 erklärt.

Derweil kündigte die Bundesregierung eine Prüfung der bolivianischen Position an. Bis spätestens Ende 2012 erwartete Ergebnisse einer von der Europäischen Union (EU) teilfinanzierten Studie über das Kokablatt würden bei der Entscheidungsfindung helfen, so Vertreter des deutschen Gesundheitsministeriums gegenüber dem Minister aus La Paz. Für Boliviens Kampf gegen den Drogenhandel kündigte Berlin zudem eine Vertiefung der Zusammenarbeit im EU-Rahmen an. Erst kürzlich hatten die Vereinten Nationen in einem Jahresbericht die Erfolge der bolivianischen Anti-Drogenpolitik gelobt.

Im Ibero-Amerikanischen Institut (IAI) hatte der Politiker der regierenden "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) am Freitag auch das bolivianische Konzept des "Vivir Bien" vorgestellt. Der Einladung waren Botschafter (Mexiko, Ecuador, Peru, Argentinien u.a.), der europapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Diether Dehm und sein Parteigenosse Wolfgang Gehrcke, Obmann im Auswärtigen Ausschuss, der Vorsitzende des Lateinamerika-Referats im Auswärtigen Amt, Journalisten, Wissenschaftler, Stiftungsvertreter, Studenten und zahlreiche Interessierte gefolgt. Wegen der hohen Besucherzahl wurde der Event auch auf einer Großbildleinwand übertragen. Auf eine Publikumsfrage zum Zielkonflikt zwischen Naturschutz und den Bau einer Straße im TIPNIS-Nationalpark erinnerte der MAS-Politiker an die Verantwortung der Regierung die Bedürfnisse der Bürger in einem der ärmsten Länder des Kontinents zu erfüllen. Auch könne Boliviens Wirtschaft nicht auf die Industrialisierung seiner Rohstoffe wie Lithium und Erdgas verzichten, ohne deren Abbau es "sofort Bankrott" wäre.