Amerikas

In unterschiedlicher Verfassung

In Berlin berieten Experten aus Deutschland und Lateinamerika über die Reform der Grundgesetze im Süden - und die Lehren für den Norden

Berlin. Die Reformen der Verfassungen in Bolivien, Ecuador und Venezuela standen am Wochenende auf einer Konferenz in Berlin zur Debatte. Auf Einladung des Linkspartei-nahen Vereins "Helle Panke" waren Vertreter aus Lateinamerika nach Deutschland gekommen, um die Reformprozesse zu erklären. Schließlich seien sie "Ergebnis (...) und zu gleich Voraussetzung umfassender demokratischer Umwälzungen in diesen Gesellschaften", wie es in der Einladung hieß. Wie dieser Erfolg auch in Deutschland umgesetzt werden kann - darum drehten sich von Freitagabend bis Sonntagnachmittag die Gespräche.

Hermann Klenner zeigte sich zu Beginn der Tagung davon überzeugt, dass "Europa von Lateinamerika derzeit viel lernen kann". Der Berliner Juraprofessor verwies darauf, dass auch in Europa die bedeutenden Verfassungen aus Revolutionen heraus entstanden sind - vor allem in Frankreich. Die damals entstandenen Dokumente wie die Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte oder amerikanische Verfassungen seien bis heute wegweisend. Der zweite Blick aber zeige die Probleme dieser bürgerlichen Verfassungen: Sie nehmen abstakt auf die Menschenrechte Bezug, ohne wirtschaftliche Interessen zu beachten. Mehr noch: In Frankreich sei 1789 gar der Schutz des privaten Eigentums festgeschrieben worden. Dies sei bis heute die Basis sozialer Ungerechtigkeit. Klenner verwies auch darauf, dass Karl Marx erstmals auf die Probleme des bürgerlichen Menschenrechtsbegriffs verwiesen habe. Es müsse deswegen gerade in Europa eine Debatte über die Rolle der sozialen Rechte geführt werden. Die neuen lateinamerikanischen Verfassungen hätten diesen Schritt schon getan und seien ein positives Beispiel.

Am Sonntag standen konkrete politische Fragen auf der Tagesordnung. Joachim Wahl vom Arbeitskreis Lateinamerika der Linkspartei verwies auf die Politik der "externen Demokratieförderung" wie sie auch von der deutschen Bundesregierung gegen die progressiven Staatsführungen betrieben werde. Auch Kurt Neumann, Referent für Europapolitik der Linkspartei, wie auf die Versuche der Einflussnahme durch die USA und EU-Regierungen hin. "Die Frage ist, wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung hier entgegenwirken kann", so Neumann.

Einig war man sich in der Notwendigkeit, enge Beziehungen zu sozialen Bewegungen zu halten. Man dürfe nicht vergessen, dass in Lateinamerika linke Parteien verschwunden seien, weil sie diese Verbindung schleifen gelassen haben, sagte Hernán Ibarra aus Ecuador. In der Region sei deswegen nun eine neue Linke am Ruder. Bestätigt wurde diese Einschätzung von Silvia Lazarte, der Präsidentin der verfassunggebenden Versammlung Boliviens: "Wir wollen eine wahrhaft demokratische und partizipative Linke aufbauen", sagte sie. Zu Beginn der Tagung hatte der Hermann Klenner bereits auf das Problem hingewiesen, dass auch die Linkspartei in Deutschland das repräsentative Mandat gegenüber dem imperativen Mandat verteidigt - und damit grundsätzlich die Bildung politischer Eliten begünstigt.

Nach drei Tagen Debatten war klar: Die politischen Prozesse in Lateinamerika und Europa unterscheiden sich zwar erheblich. Trotzdem können beide Seiten aus Vergangenheit und Gegenwart viel voneinander lernen. Die deutsche Linke vor allem aus der Gegenwart.