Venezuela

Chávez unterzeichnet neues Bildungsgesetz

Größere Beteiligung der Familien und der kommunalen Räte am Bildungswesen

Caracas. Die venezolanische Nationalversammlung hat am Donnerstag ein neues Bildungsgesetz verabschiedet, das Präsident Hugo Chávez am heutigen Samstagabend (Ortszeit) im Rahmen eines Festakts unterzeichnen wird. Die Verabschiedung des Gesetzes wurde überschattet von Übergriffen auf Journalisten, die dagegen protestierten.

Das neue Bildungsgesetz soll eine weitere Grundlage bieten, um den Geist der Bolivarianischen Revolution zu verankern und den vor zehn Jahren begonnenen Umgestaltungsprozess weiter voranzubringen. Dieser drückt sich in erster Linie durch die partizipative Demokratie aus, der die 1999 verabschiedete Bolivarianische Verfassung einen besonderen Stellenwert einräumt. Sie drückt sich einerseits durch die Abwählbarkeit des Präsidenten und aller anderen gewählten Volksvertreter aus, die zur Hälfte ihrer Legislaturperiode mittels eines Referendums aus ihren Ämtern entfernt werden können. Andererseits hat die partizipative Demokratie einen organisatorischen Unterbau durch die Consejos Comunales, den kommunalen Räten, erhalten, die es den Armenvierteln erlauben, sich parallel zum örtlichen Bürgermeisteramt selbst zu verwalten. Die logische Fortsetzung dieser Politik der aktiven Bürgerbeteiligung stellt das Bildungsgesetz dar.

Es nimmt die Familien zum einen in die Pflicht, zum anderen gibt es ihnen das Recht und die Verantwortung "bei der Schaffung von Werten, Prinzipien, Ansichten, Handlungsweisen, Normen und Umgangsformen bei Kindern, Heranwachsenden, Jugendlichen und Erwachsen" mitzuwirken. Das ist insofern ein Novum, weil in Lateinamerika das öffentliche Bildungswesen in der Regel schlecht organisiert ist und die als "gut" erachteten Bildungseinrichtungen einen elitären Charakter besitzen, da es sich in der Regel um Privatschulen handelt, deren Besuch sich die mehrheitlich arme und folglich schlecht ausgebildete Bevölkerung nicht leisten kann. Vielfach werden die Privatschulen von der katholischen Kirche getragen, die in den meisten lateinamerikanischen Länder dazu beigetragen hat, dass die soziale Ungerechtigkeit von der europäischen Conquista (Eroberung) der beiden Amerikas im 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart fortbestehen konnte. Je nach Land kann man von einem katholischen Bildungsmonopol sprechen.

Daher unterstreicht das neue Gesetz, dass man die ideologische Pluralität respektiert. Diese basiert auf dem Bolivarianismus, der sich, was die Bildung betrifft, auf den venezolanischen Pädagogen Simón Rodríguez beruft. Der Zeitgenosse von Simón Bolívar, dem Befreier Südamerikas vom spanischen Joch, plädierte schon im 19. Jahrhundert für eine allgemeine und kostenfreie Bildung für alle Klassen.

Zu den Neuerungen des bolivarianischen Bildungsgesetzes zählt, dass im Jahr an 200 Tagen Unterricht stattfinden muss; 60 Tage stehen für Ferien zur Verfügung. Damit schiebt die Regierung dem des Öfteren willkürlichen Unterrichtsausfall einen gesetzlichen Regel vor. Außerdem regelt das Gesetz die Beteiligung der kommunalen Räte an den lokalen Bildungseinrichtungen. Den Consejos Comunales erhalten eine Vorreiterrolle "bei der Bildung einer neuer Staatsbürgerschaft und dem Aufbau sozialer Subjekte", die die Transformation des venezolanischen Gemeinwesen fortführen sollen. Dagegen wehren sich die alten Bildungsstrukturen, die jetzt der Kontrolle dieses neuen Akteurs ausgesetzt sind.

Ein weiterer Streitpunkt im Gesetz ist der Paragraph 50, der den Medien verbietet, Informationen zu veröffentlichen, "die Kinder in Schrecken versetzen, zum Hass aufstacheln, gegen die gesunden Werte des venezolanischen Volkes, die mentale und physische Gesundheit der Bevölkerung verstoßen".

Gegen diesen Passus demonstrierten am Mittwoch etwa fünfzig Journalisten in Caracas, als mehrere Personen sie angegriffen und zusammenschlugen. Sechs Journalisten kamen mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Verschiedene Medien berichteten, die Täter seien Mitarbeiter des bolivarianischen Fernsehsenders Ávila TV gewesen. Das Bürgermedium dementierte diese Unterstellung umgehend.