Venezuela

20 Jahre Caracazo

In Venezuela wird heute dem Volksaufstand vor 20 Jahren gedacht. Danach veränderten sich die politischen Verhältnisse

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20 Jahre Caracazo
Toter Aufständischer in Caracas

Caracas. Menschrechtsgruppen, Vertreter sozialer Organisationen und der Regierung erinnern heute in verschiedenen Veranstaltungen an den 20. Jahrstag des als Caracazo bekannten Volksaufstands in Venezuela. "Einige Historiker beschreiben den 27. Februar als einen Tag der Unruhen und Plünderungen. Nein! Es war der Tag, an dem die venezolanische Bevölkerung sich gegen den IWF und den Neoliberalismus erhoben hat." erklärte Präsident Hugo Chávez die Bedeutung des Tages für die aktuelle Politik.

Am Morgen des 27. Februar endete in Venezuela ein Entwicklungsmodell. Die Bevölkerung aus den Armenvierteln der Stadt, die jahrzehntelang für die offizielle Politik unsichtbar war, strömte aus ihren Stadtvierteln ins Zentrum und begann Geschäfte und Einkaufszentren zu plündern. Anlass für den Aufstand war die Erhöhung der Transportkosten durch die neu gewählte Regierung. Die Gründe lagen tiefer. Seit 1984 hatte die Regierung öffentliche Ausgaben reduziert. Bildung, Gesundheit und öffentliche Sicherheit wurden für eine Mehrheit unerreichbare Dienstleistungen. Die steigende Inflation und hohe Teuerungsraten hatten die Lebensumstände in der einstigen "Vorzeigedemokratie" massiv verschlechtert.

In dieser Situation gewann der Sozialdemokrat Carlos Andrés Pérez das zweite Mal die Präsidentschaftswahlen. Mit seinem Sieg verbanden viele die Hoffung auf einen sozialen Wechsel in der Wirtschaftspolitik, denn immerhin galt seine erste Amtszeit Ende der 1970er Jahre als die "goldene Epoche" Venezuelas. Nicht so 1989. Als erste Amtshandlung kündigte der Sozialdemokrat ein strenges neoliberales Programm nach den Vorgaben des IWF an. Die Bevölkerung betrachtet dies als Wahlbetrug. Als schließlich die Preiserhöhung für den Nahverkehr angekündigt wird, ziehen Hunderttausende in die Innenstadt, bauen Barrikaden und plündern die Geschäfte. Zeitzeugen berichten, dass in den Armenvierteln das erste Mal seit Monaten wieder Fleisch auf den Grill kommt.

Die zweite dramatische Entscheidung der Regierung betrifft den Einsatz der Armee und der Nationalgarde gegen die aufständische Bevölkerung. Menschenrechtsgruppen zählen später über 250 Tote, aber die genaue Zahl wird niemals festgestellt. Inoffizielle Schätzungen gehen von bis zu 2.000 Verschwundenen aus. Am Abend des 27. Februar dringen Zivilpolizisten und Kommandos des Geheimdienstes Disip in die Armenviertel ein und begleichen alte Rechnungen mit politischen Gegnern oder Geschäftspartnern aus dem kriminellen Milieu. Die Jugendgangs versuchen ihre Stadtteile mit Schusswaffen zu verteidigen. Für mehrere Tage herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände in der Hauptstadt des ehemaligen Ölparadieses Venezuela.

Nach dem Aufstand und seiner blutigen Niederschlagung ändern sich die Verhältnisse in der venezolanischen Politik, zunächst langsam aber mit langfristigen Folgen. Carlos Andrés Pérez regiert zwar weiter, bis er nach Korruptionsvorwürfen 1993 zurücktreten muss und seinen Wohnsitz in die USA verlegt. Aber der Ruf der traditionellen politischen Parteien ist schon 1989 ruiniert. In den Armenvierteln beginnen sich Bürgerinitiativen und Menschenrechtsgruppen um die Forderung nach der Aufarbeitung des Massakers zu organisieren. Kritische Offiziere im Militär beginnen einen Staatsstreich gegen die Regierung vorzubereiten, der schließlich 1992 scheitert. Mit den Worten "Por Ahora" (Fürs Erste) ruft der junge Offizier Hugo Chávez seine Mitverschwörer zurück und wird sechs Jahre später zum Präsidenten des Landes gewählt, unterstützt durch die Volksbewegungen, die sich nach dem Caracazo gebildet hat.