Venezuela

Wem gehört das Land?

Der Kampf gegen Großgrundbesitz in Venezuela geht in die nächste Runde

Caracas. Die Agrarreform sorgt mal wieder für Streit in Venezuela. Oppositionspolitiker und Unternehmensverbände werten die jüngsten Aussagen von Hugo Chávez zum Thema Land als Angriff auf das Privateigentum. "Das Land gehört denen, die es bearbeiten", hatte der venezolanische Präsident vergangenen Sonntag in seiner Fernsehshow Aló Presidente gesagt, die dieses Mal aus dem südwestlichen Flächenstaat Barinas übertragen wurde. Die Besitztitel der meisten großen Ländereien seien aufgrund von "Raub und Gewalt" gegenüber Kleinbauern und -bäuerinnen zustande gekommen. Wer Land produktiv bearbeite, dürfe dieses zwar nutzen, sei aber deswegen nicht Besitzer des entsprechenden Bodens, der wie Luft, Wasser oder Erdöl allen gehöre. "Wenn sie es nicht ordentlich bebauen, verlieren sie das Recht auf das Land", sagte Chávez und gab bekannt, dass die Regierung mit der gerade beginnenden Aussaat in Barinas über 10.000 Hektar Boden von Großgrundbesitzern zurückgewinnen werde.

Die Kritik der Opposition ließ nicht lange auf sich warten. Antonio Ledezma, der Oberbürgermeister von Caracas, bezeichnete die Aussagen als "Putsch gegen die Verfassung" und rief dazu auf, das Recht auf Privateigentum zu verteidigen. Der Präsident des oppositionellen Unternehmerverbandes Fedecámaras, José Manuel González, forderte den Obersten Gerichtshof (TSJ) zu einer Klärung darüber auf, ob es in Venezuela Privateigentum gebe oder "Chávez über der Verfassung steht". Der venezolanische Präsident selbst hatte sich in der Vergangenheit hingegen immer wieder dafür ausgesprochen, Privateigentum an Produktionsmitteln prinzipiell erhalten zu wollen, sofern es nicht gegen die Interessen der Bevölkerung eingesetzt werde. Wenige Tage nach Aló Presidente forderte er den Privatsektor erneut zur Zusammenarbeit auf: "Die wahrhaftigen Produzenten,[...], die den Boden bearbeiten, brauchen keine Angst zu haben. Ihr könnt auf uns zählen", versicherte der Staatschef.

Die im Jahr 2001 in Gang gesetzte Agrarreform wird von der Opposition, dem Viehzüchterverband Fedenaga und dem Agroindustrieverband Fedeagro von Beginn an heftig bekämpft. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Möglichkeit von Enteignungen, die laut Gesetz bei unproduktiven Ländereien gegen Entschädigung möglich sind. Ziele der Agrarreform sind unter anderem die Erlangung von Ernährungssouveränitat und -sicherheit, wobei die Verteilung von Land mit einem integralen Ansatz von finanzieller und logistischer Hilfe einher gehen soll. In der Praxis sind jedoch nur langsam Fortschritte zu verzeichnen. Hunderte gezielte Morde schwächten in den letzten Jahren zudem die politischen Organisationen von Kleinbauern und -bäuerinnen, die sich für eine Beschleunigung der Landreform einsetzen. Die landwirtschaftliche Produktion stieg laut Landwirtschaftsministerium seit 1997 zwar von knapp 14 Millionen auf über 21 Millionen Tonnen an. Aufgrund des gleichzeitig gestiegenen Konsums importiert Venezuela jedoch nach wie vor circa 70 Prozent aller Lebensmittel.

Zuletzt hatte die Regierung verstärkt in die Lebensmittelproduktion privater Firmen eingegriffen, weil diese trickreich die staatlichen Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel umgangen hatten. Vor wenigen Tagen ließ sie eine Produktionsanlage des US-Konzerns Cargill für vorläufig 90 Tage besetzen. Das Unternehmen hatte die im vergangenen März eingeführte Quote für den Verkauf regulierter Pasta nicht eingehalten.