Venezuela

Kriegserklärung an Venezuela

Nach dem Massaker an einer Fußballmannschaft erklären Paramilitärs "soziale Säuberungen". Zwei Nationalgardisten wurden am Montag ermordet

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Kriegserklärung an Venezuela
Abgeordnete Iris Varela: Maßnahmen gegen Paramilitärs in Tachira ergreifen

Caracas. Im venezolanischen Bundesstaat Tachira, an der Grenze zu Kolumbien, eskaliert die politische Situation. Eine Woche nach dem Massaker an einer Fußballmannschaft zwangen Paramilitärs hunderte örtliche Geschäfte zur Schließung. Als daraufhin venezolanische Behörden Angehörige paramilitärischer Gruppen verhafteten, schossen am Montag Unbekannte auf einen Posten der Nationalgarde und töteten zwei der Gardisten. Auch wenn ein direkter Zusammenhang zwischen den Ereignissen bisher nicht belegt zu sein scheint, spricht die venezolanische Regierung von einer "Terrorkampagne" und macht die kolumbianische Regierung sowie den rechten Gouverneur von Tachira für die Ereignisse verantwortlich. Präsident Hugo Chávez überlegt öffentlich, die Grenze zu Kolumbien völlig zu schließen und empfahl dem oppositionellen Gouverneur in Peru Asyl zu beantragen.

Die aktuellen Auseinandersetzungen begannen am 11. Oktober mit der Entführung einer Gruppe von kolumbianischen Straßenhändlern, die sich zu einem Fußballturnier auf der venezolanischen Seite der Grenze getroffen hatte. Während das Amateur-Derbie lief, fuhren Kleintransporter auf den Platz und 25 Bewaffnete in schwarzen Uniformen umstellten die Spieler. Mit Namenslisten wurden 12 Männer ausgesondert, auf die Autos geladen und mitgenommen. Die Entführung machte zu diesem Zeitpunkt nur in den lokalen Medien Schlagzeilen. Erst als die Entführten zwei Wochen später in der Ortschaft Chururú erschossen aufgefunden wurden, beachtete auch die internationale Presse den Fall. Am schnellsten äußerte sich der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe. Er behauptete, die Mörder seien Mitglieder der kolumbianischen Guerilla ELN und Venezuela biete den Aufständischen Unterkunft. Ihm sekundierte der Gouverneur des Bundesstaates, César Pérez Vivas. Der Oppositionspolitiker der christlich-sozialen Partei COPEI hatte vor wenigen Wochen Schlagzeilen gemacht, als der behauptete der venezolanische Innenminister sei ein Kommandant der ELN.

Inzwischen steht Pérez Vivas selber im Mittelpunkt der Ermittlungen. Der Gouverneur hat in seinem Bundesstaat ein Gesetz erlassen, dass paramilitärische Sicherheitsinitiativen legalisiert und soll sich laut Informationen der Bundesregierung in Kolumbien mit Vertretern der dortigen Paramilitärs getroffen haben. "Wir werden nicht zulassen, dass Pérez Vivas die Souveränität des venezolanischen Staates untergräbt", kündigte Vizepräsident Ramón Carrizales schon im September an. Auch Iris Varela, in Sicherheitsfragen stets gut informierte Parlamentarierin, beschuldigt den Gouverneur, die Paramilitärs zu unterstützen. Es würden Foto- und Tonaufnahmen existieren, die Funktionäre der Landesregierung Tachira zusammen mit Paramilitärs zeigen. "César Pérez Vivas ist dabei, informelle Sicherheitsstrukturen aufzubauen und den Privatunternehmen zur Verfügung zu stellen." Dabei würde die Regionalregierung auf die selben kolumbianischen Paramilitärs zurückgreifen, die in der Region Flugblätter verteilen, in denen zu Sozialen Säuberungen aufgerufen wird.

Unmittelbar nach dem spektakulären Mord an den Straßenhändlern verteilten Paramilitärs in der Region Flugblätter. Menschen, die "mit den Streitkräften kollaborieren", werden mit "Sozialen Säuberungen" bedroht - ein Begriff, der in Kolumbien für die Ermordung sozial unerwünschter Personen verwendet wird. Außerdem forderten die anonymen Verfasser die Ladenbesitzer, Unternehmen und Schulen in der Region auf, am vergangenen Freitag, den 30. Oktober, zu schließen. Wer der Forderung nicht nachkomme, müsse die Konsequenzen tragen. Die Drohung wirkte: Etwa tausend Läden in den Orten an der Grenze zu Kolumbien blieben geschlossen. Nach Einschätzung der örtlichen Nationalgarde ist dies ein einmaliger Vorgang. Zwar habe es in den letzten Monaten immer wieder Drohungen gegeben, aber niemals hätten sie eine solche Wirkung gehabt. Nach Schätzungen lokaler Medien standen 90 Prozent der Geschäfte still. Das Militär verstärkte am Wochenende die Präsens in drei der betroffenen Gemeinden und verhaftete acht Kolumbianer sowie zwei Venezolaner. Unter den Verhafteten befindet sich ein bekannter Führer der Paramilitärs.

Bereits am Montag kam es zum nächsten Zwischenfall: In der Gemeinde Pedro María Ureña schossen unbekannte Motorradfahrer auf einen Kontrollpunkt der Nationalgarde. Die Kugeln trafen zwei der Gardisten in den Rücken. Sie starben an den Verletzungen. Der für die Region zuständige Brigadegeneral Franklin Márquez bezeichnete die Täter als Angehörige von "irregulären Gruppen, die Angst und Unsicherheit in der Region verbreiten wollen" - ein deutlicher Hinweis auf Paramilitärs. Kurz nach dem Überfall verhaftete die Nationalgarde einen 20 jährigen Motorradfahrer, der eine Waffe bei sich trug. Dieser Überfall brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Seit gestern schlagen in der öffentlichen Debatte die Wellen hoch. Präsident Hugo Chávez forderte César Pérez Vivas auf, die Konsequenzen seines Handelns zu bedenken und riet dem Oppositionspolitiker, sich um ein Asyl in Peru zu kümmern. Dort sind mehrere venezolanische Oppositionspolitiker untergetaucht, gegen die in Venezuela Strafverfahren laufen.

Die Vorgänge weisen darauf hin, dass sich irreguläre rechte Milizen an der Grenze zu Kolumbien so fest etabliert haben, dass sie die sozialistische Regierung in Caracas offen herausfordern können. Damit rückt das Problem des Paramilitarismus nun ins Zentrum der venezolanischen Politik. Untrennbar verbunden ist der Konflikt mit dem Nachbarland Kolumbien. Die venezolanischen Behörden sprechen zwar von "irregulären Kräften", "Bandenkriminalität" oder "Paramilitärs". Gemeint sind aber die Nachfolgeorganisationen der Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC), welche dort nach einer aktuellen Bilanz der Staatsanwaltschaft für mindestens 25.000 Morde verantwortlich sind. Als scheinbar unabhängiger Kriegsakteur haben sie im Auftrag der Regierung Uribe den Konflikt mit Guerilla entscheidend beeinflusst. Beobachter fühlen sich unterdessen an die 1980er Jahre in Nicaragua erinnert. Dort hatten mit den Contras ähnliche informelle Verbände von den rechts regierten Nachbarländern aus die sozialistische Regierung der FSLN in einen zermürbenden Kleinkrieg verwickelt. Auch aktuell kann die rechte Regierung in Kolumbien mit Unterstützung der USA rechnen. Erst am Freitag unterzeichneten Barack Obama und Alvaro Uribe eine Vereinbarung über sieben neue Militärstützpunkte für die USA in Kolumbien.