Haiti

"Nun haben wir also Haiti entdeckt"

Ehemaliger UNESCO-Direktor Federico Mayor Zaragoza kritisiert Westen wegen der Tragödie in Haiti

haiti-220110.jpg

"Nun haben wir also Haiti entdeckt"
Federico Mayor Zaragoza

Madrid. Der ehemalige Generaldirektor der UNESCO, Federico Mayor Zaragoza, macht die reichen Länder für das Unglück verantwortlich, von dem Haiti seit Jahrzehnten heimgesucht wird und das sich durch das verheerende Erdbeben vor neun Tagen noch verschärft hat. Mit einem kritischen Blick auf die Situation, die der karibische Inselstaat derzeit durchlebt, beklagte der renommierte Hochschullehrer am gestrigen Donnerstag, diese sei ein Ergebnis der Ausbeutung und Verarmung durch ein weltweites autoritäres und ungleiches politisch-ökonomisches System.

Mehr als ein Jahrzehnt lang (1987-1999) leitet Federico Mayor Zaragoza die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Vor seinem Vortrages in der spanischen Stadt Ávila zum Thema "Die Kultur des Friedens: über die Kraft des Wortes", betonte der Spanier zudem die Hoffnung, dass die Tragödie des haitianischen Volkes die Aufmerksamkeit in der Welt auf sich zieht und von nun an die Bürger der verwüsteten Insel auch ohne Erdbeben wahrgenommen würden.

Die Art und Weise wie bei den Tsunamis reagiert wurde, müsse nun ein Ende haben, warnte der gegenwärtige Präsident der Stiftung für eine Friedenskultur (Fundación para una Cultura de Paz) in Bezug nehmend auf die Naturkatastrophe, die 2005 die Region um Indonesien erschütterte - ein Land, von dem später nie wieder die Rede war. "Nun haben wir also Haiti entdeckt", bemerkte Mayor Zaragoza ironisch, als er daran erinnerte, wie sehr die ernste Lage des kleinen Inselstaates schon vor Jahren innerhalb der internationalen Gemeinschaft bekannt gewesen sei und trotzdem nichts oder nur sehr wenig getan wurde, um sie aus ihrer misslichen Lage heraus zu holen.

Er hob die Millionensummen hervor, die der Rüstungsindustrie zugewiesen werden und das Vorhandensein von "allen Arten von F-16 und F-18 (Kampfflugzeugen)", während es an Maschinen und Fachkräften mangele, um die Auswirkungen dieser Art von Katastrophen zu verringern.

Er wandte sich gegen die Asymmetrien und Ungleichgewichte, die in der herrschenden Wirtschaftsordnung begründet sind. Diese machte er dafür verantwortlich, dass 20 Prozent der Weltbevölkerung ein würdiges Leben führten, während die übrigen 80 Prozent unter unmenschlichen Bedingungen lebten. Mayor Zaragoza bedauerte, dass anstatt uneigennützige Hilfen zu leisten die entwickelten Nationen weiterhin nur Darlehen an die Ärmsten vergäben, ohne dabei in der Lage zu sein, auch nur 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes aufzuwenden.

In Bezug auf die aktuelle Wirtschaftskrise kritisierte er, dass zu gegebener Zeit kein Geld zur Bekämpfung der Armut vorhanden sei, nun aber in den Vereinigten Staaten und Europa hunderte von Milliarden US-Dollars auftauchten, um gerade die Finanzinstitutionen zu retten, die das ganze Debakel hervorgebracht haben. Er stellte diese Handlungsweise der Tatsache gegenüber, dass die Gesellschaft sich als unfähig erwiesen habe, die Menschen zu retten, die vor Hunger sterben. Das bezeichnete er als beschämend.

Trotz dieser Lage vertrat der vormalige Generaldirektor der UNESCO die Auffassung, dass jede Krise auch eine Chance darstelle. Seiner Meinung nach ist die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts dazu in der Lage, den Kurs der Menschheit zur verändern und in Richtung auf eine nachhaltige Wirtschaft voranzuschreiten.


Bildquelle: Prensa Latina