Caracas. Die Initiative der venezolanischen Regierung für eine verfassunggebende Versammlung hat zu teils heftigen Reaktionen geführt. Am Dienstag übersandte [2] Präsident Nicolás Maduro dem Nationalen Wahlrat (CNE) die Grundlagen für die Zusammensetzung der Versammlung und kurz darauf kündigte [3] dieser die entsprechenden Wahlen für Ende Juli an.
Nach Vorstellung der Regierung soll sich die Versammlung aus insgesamt 540 Mitgliedern zusammensetzen. Zwei Drittel davon sollen bei Wahlen in den 335 Munizipien des Landes bestimmt werden. Die restlichen 176 Mitglieder sollen Vertreter aus acht sozialen Gruppen sein, darunter Arbeiter, Bauern und Fischer, Studenten, Menschen mit Behinderungen, Indigene, Rentner, Unternehmer sowie Vertreter kommunaler Selbsverwaltungsstrukturen (sogenannte Consejos Comunales und Comunas).
Oppositionspolitiker reagierten umgehend ablehnend auf die Regierungsinitative. Der Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles Radonski, nannte [4] sie einen "Betrug" und bezeichnete die Einberufung durch den Präsidenten als "verfassungswidrig". Parlamentspräsident Julio Borges kündigte [5] an, dass sich die Opposition an keiner verfassunggebenden Versammlung beteiligen werde, die nicht durch ein Referendum einberufen wurde. Bislang weigert sich die Regierung jedoch, eine entsprechende Volksabstimmung abzuhalten, bei der auch über die Art der Zusammensetzung der Versammlung entschieden würde.
Auch aus anderen Bereichen der Gesellschaft sind kritische Stimmen laut geworden. So hatte die Initiative Maduros bei der katholischen Bischofskonferenz Venezuelas und der Generalstaatsanwältin Ablehnung hervorgerufen.
Der langjährige Minister und aktuelle Vorsitzende der Regierungskommission für die verfassunggebende Versammlung, Elias Jaua, war vergangene Woche mit Vertretern der Bischofskonferenz zusammengekommen. Das Treffen war auf Bitten von Papst Franziskus zustande gekommen. Jaua sagte angesichts der angespannten politischen und ökonomischen Situation im Lande, das Referendum solle "einen politischen Raum schaffen, in dem sich Venezolaner begegnen können, um die rechtliche und konstitutionelle Ordnung abzuwägen." Es gehe um eine solide Basis für ein Zusammenleben, das auf gegenseitiger Anerkennung beruhe, unabhängig von ethnischen, kulturellen, sozialen, politischen oder ideologischen Unterschieden, so Jaua weiter.
Die Vertreter der Bischofskonferenz hatten schon vor Beginn des Treffens ihre ablehnende Haltung bekundet. Ihr Vorsitzender, Diego Padrón, betonte, dass das Referendum unnötig sei. Die Verfassung von 1999 gehöre bereits zu den "besten der Welt" und die venezolanische Bevölkerung fordere eher Nahrungsmittel, Medizin, Sicherheit, Frieden und gerechte Wahlen, anstatt einer neuen Verfassung.
Diese Haltung überrascht: Die katholische Kirche hatte die Verfassung von 1999 stets abgelehnt, da sie das "Leben ab der Empfängnis" nicht schütze. Auch die Umsetzung der darin festgelegten Religionsfreiheit, Schritte zur Gleichsetzung von Kulten und die Kürzung der Subventionen für die katholische Kirche stießen auf heftige Ablehnung. Im April 2002 unterstützten der Erzbischof von Caracas, Ignacio Antonio Velasco García (1929-2003) und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Baltasar Porras (1999-2006), aktiv den Putschversuch gegen Präsident Hugo Chávez.
Die venezolanische Generalstaatsanwältin, Luisa Ortega Díaz, äußerte [6] sich ebenfalls kritisch. Sie erinnerte daran, dass der Sinn einer verfassunggebenden Versammlung die Umformung des Staates samt seiner rechtlichen Ordnung sei. In ihren Augen würde dies in der aktuellen Lage die Krise verschärfen. Dabei verwies sie auf die "selektive Auswahl" der Repräsentanten für die Versammlung. Es ist bereits das zweite Mal in kurzer Zeit, dass Díaz eine kritische Haltung zur Regierung einnimmt. Im März hatte sie nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugunsten der Regierung temporär Kompetenzen des von der Opposition dominierten Parlaments an sich zu ziehen, von einem "Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung" gesprochen.
Auch innerhalb des Chavismus werden Brüche deutlich, die sich unter anderem in der Bewertung der verfassunggebenden Versammlung widerspiegeln. So richten sich verschiedene ehemalige Minister unter Chávez, linke Intellektuelle und Mitglieder der aus der regierenden Sozialistischen Partei herausgedrängten [7] Strömung "Marea Socialista" klar gegen die Regierungsinitiative. Sie haben sich in der "Plattform zur Verteidigung der Verfassung" zusammengeschlossen und kritisieren [8] die Form der Einberufung als verfassungswidrig. Ohne ein konsultives Referendum sei es unmöglich, eine gültige Versammlung einzuberufen, kritisierte für die Gruppe Santiago Arconada.