Offener Brief von Edward Snowden an Brasilien

Schreiben ist Teil einer Onlinekampagne. Whistleblower beantragt kein Asyl in Brasilien. Amerika21.de dokumentiert den Brief

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Titelblatt vom Folha de São Paulo: "Enthüller von Spionage wird in Brasilien Asyl beantragen"
Titelblatt vom Folha de São Paulo: "Enthüller von Spionage wird in Brasilien Asyl beantragen"

São Paulo/Moskau. Der Whistleblower und ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat sich in einem offenen Brief "an das brasilianische Volk" gewendet. In dem Schreiben, das die Tageszeitung Folha de São Paulo am Dienstag vorab auf Englisch und Portugiesisch veröffentlichte, bietet der in Russland lebende US-Amerikaner der brasilianischen Regierung seine Hilfe bei der Aufklärung und Abwehr von NSA-Massenüberwachung brasilianischer Bürger und Politiker an. Laut dem brasilianischen Blatt ist der Brief Teil einer künftigen Online-Kampagne auf der internationalen Petitionsplattform Avaaz.

Entgegen der Titelstory "Enthüller von Spionage wird in Brasilien Asyl beantragen" und sich darauf beziehende Medienberichte – etwa in den USA und Deutschland – enthält der von amerika21.de übersetzte und dokumentierte Snowden-Brief keine explizite Bitte, Asyl in dem südamerikanischen Land zu erhalten.

So heißt es in dem Schreiben: "Ich bin in dem Wissen vor die Kamera getreten, dass mich diese Entscheidung meine Familie und mein Land kosten wird, und dass ich mein Leben riskieren würde". Er sei von der Idee motiviert gewesen, dass die Bürger dieser Welt es zu verstehen verdient haben, in welchem System sie leben, schreibt Snowden weiter. "Meine größte Sorge dabei war, dass niemand meinen Warnungen Gehör schenken würde", gesteht der Whistleblower. Doch die Reaktionen in einigen Ländern seien für ihn "eine echte Inspiration" gewesen. Brasilien sei eines dieser Länder gewesen.

Mit einer expliziten Warnung richtet sich der 30-jährige Mann, der in Russland im Exil lebt, an die brasilianische Bevölkerung: "Wenn Sie heute in São Paulo mit dem Handy telefonieren, kann die NSA Ihren Aufenthaltsort bestimmen, was sie auch macht: Sie machen das bei Menschen rund um den Globus über fünf Milliarden Mal täglich."

Es gebe einen großen Unterschied zwischen legalen Programmen, rechtmäßiger Spionage und Strafverfolgung – bei denen Individuen auf Grundlage eines nachvollziehbaren, individualisierten Verdachts ins Visier geraten – und solchen Programmen, bei dem mit Massenüberwachung ganze Bevölkerungen überwacht würden.

"Sollte ich Brasilien eines mit auf den Weg geben können, dann dies", schreibt Snowden am Ende des Briefes: "Wenn wir uns alle gegen Ungerechtigkeit und für die Verteidigung der Privatsphäre und grundlegenden Menschenrechte verbünden, dann können wir uns sogar gegen die mächtigsten Systeme der Welt verteidigen."