Brasilien / Politik

Protest gegen "parlamentarischen Putsch" in Brasilien erreicht nicht die Wahlurnen

Bei Kommunalwahlen erreichen Konservative die meisten Stimmen. PT verliert mehr als 60 Prozent der Bürgermeisterämter. Sozialist in Rio de Janeiro in Stichwahl

marcelo_freixo.jpg

Grund zu feiern: Marcelo Freixo (rechts im Bild) von der Partei "Sozialismus und Freiheit" kommt in Rio de Janeiro in die Stichwahl. Insgesamt geht die PSOL mit Zugewinnen gestärkt aus den Kommunalwahlen hervor
Grund zu feiern: Marcelo Freixo (rechts im Bild) von der Partei "Sozialismus und Freiheit" kommt in Rio de Janeiro in die Stichwahl. Insgesamt geht die PSOL mit Zugewinnen gestärkt aus den Kommunalwahlen hervor

Brasília. Bei den landesweiten Kommunalwahlen am 2. Oktober gibt es vor allem einen Gewinner: die Nichtwähler. In 18 der 50 größten Städte und Gemeinden ist die Anzahl der ungültigen Stimmen höher als die abgegebenen Stimmen. Dies trifft auch für die beiden größten Städte São Paulo und Rio de Janeiro zu. In Brasilien herrscht Wahlpflicht.

Die bürgerlich-konservativen Parteien PMDB, der auch De-facto-Präsident Michel Temer angehört, und PSDB gewinnen in den meisten Wahlkreisen. Die PMDB wird zukünftig 7.568 Abgeordnete in den Kommunalparlamenten stellen, die PSDB 5.731. Bei 213 der gewählten Kandidaten der PMDB ist bisher nicht geklärt, ob sie die Wahl auch annehmen werden können, weil gegen sie wegen Korruption ermittelt wird. Dies trifft auch auf 146 Kandidaten der PSDB zu.

Der Protest gegen den "parlamentarischen Putsch" drückt sich nicht in einem Stimmenzuwachs für die Arbeiterpartei PT aus, die bis zur Amtsenthebung von Dilma Rousseff am 31. August die Präsidentin stellte. Die PT verliert 60 Prozent der Bürgermeisterämter. Wurden bei den Wahlen vor vier Jahren noch 638 PT-Mitglieder zu Bürgermeistern gewählt, so werden es ab 2017 nur noch 263 sein. Nur in Rio Branco im nordwestlichen Bundesstaat Acre gewinnt der Kandidat Marcus Alexandre von der PT bereits den ersten Wahlgang mit 54 Prozent der Stimmen.

Besonders schwer ist die Niederlage in São Paulo: Dort erhält der Millionär João Dória von der konservativen PSDB 53 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang. Er ist einer von 23 Millionären, die als Bürgermeister der Großstädte gewählt wurden. Der PT-Kandidat und jetzige Bürgermeister Fernando Haddad erlitt mit nur 16 Prozent der Stimmen eine deutliche Niederlage. Haddad steht für eine eher fortschrittliche Stadtpolitik im Bereich Mobilität und Korruptionsbekämpfung und war in den vergangenen Monaten eine der entschiedensten Stimmen gegen den "parlamentarischen Putsch".

In vielen Gemeinden kandidierte die PT gemeinsam mit der PMDB und anderen Parteien, die die Amtsenthebung Rousseffs aktiv betrieben hatten. In den Großstädten schlossen vor allem die PMDB und PSDB Allianzen, die in den letzten Jahren gegen einander angetreten waren.

In Rio de Janeiro erreicht der Kandidat von der Partei "Sozialismus und Freiheit" (PSOL), Marcelo Freixo, mit 18,4 Prozent der Stimmen überraschend deutlich die Stichwahl für das Amt des Bürgermeisters in der 6,5-Millionen-Stadt. Freixo engagiert sich seit vielen Jahren als Aktivist und Wissenschaftler für die Stärkung der Menschenrechte in allen Stadtteilen. Er lebte jahrelang unter Morddrohungen der sogenannten "Milícias", paramilitärische, oft evangelikale, Kampfeinheiten mit Verbindungen ins Drogengeschäft, die in Armemnvierteln "Schutzgelder" erpressen. Bei der Stichwahl am 30. Oktober steht ihm Marcelo Crivella (PRB) gegenüber, ein Bischof der evangelikalen Igreja Universal do Reino de Deus, der im ersten Wahlgang 27,6 Prozent der Stimmen erhält. Auch in der amazonischen Millionenstadt Belem kommt der Kanditat der PSOL, Edmilson Rodigues, mit fast 30 Prozent der Stimmen in die Stichwahl. Insgesamt geht die 2005 von PT-Dissidenten gegründete Partei mit Zugewinnen gestärkt aus den Kommunalwahlen hervor. In der politischen Krise dieses Jahres ist es der PSOL gelungen, zahlreiche integere Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft als Kandidaten zu gewinnen.

Die starke politische Polarisierung und Personalisierung der Wahlen in Brasilien zeigt sich auch an Ergebnissen für die Abgeordneten der Stadtparlamente, die in den größten Städten die meisten Stimmen erhalten. In Rio de Janeiro ist dies der Faschist Carlos Bolsonaro (PSC), vor Tarcísio Motta von der PSOL. In São Paulo erhält der ehemalige Bundesabgeordente Eduardo Suplicy von der PT die meisten Stimmen, obwohl die PT nicht nur die Bürgermeisterwahl verliert, sondern auch einen Abgeordnetensitz im Stadtparlament.

Wenn Sie über diesen Artikel mitdiskutieren wollen, nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion auf unserer Facebook-Seite oder folgen Sie einfach diesem Link