1. Mai: Millionen gehen in Lateinamerika auf die Straßen

Bessere Arbeitsbedingungen und Kritik neoliberaler Politik im Zentrum der Proteste. Linke Regierungen kündigen weitere Reformen zur Verbesserung der Lage von Arbeiter:innen und Armen an

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Boliviens Präsident Luis Arce (Bildmitte) an der Spitze der Demonstration am 1. Mai
Boliviens Präsident Luis Arce (Bildmitte) an der Spitze der Demonstration am 1. Mai

Buenos Aires et al. Millionen Menschen sind am 1. Mai den Aufrufen von Gewerkschaften, linken Parteien und Regierungen gefolgt, an Demonstrationen und Kundgebungen zum internationalen Kampftag der Arbeiter:innenklasse teilzunehmen. Überall forderten Demonstrant:innen bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sowie höhere Löhne. In Ländern wie Argentinien, Ecuador, El Salvador, Paraguay und Peru richteten sich die Proteste auch gegen die neoliberalen und autoritären Politiken der Regierungen.

Nachfolgend kurze Berichte aus einigen Ländern.

In Buenos Aires folgten tausende Arbeiter:innen einem Aufruf der Gewerkschaften unter dem Motto "Das Vaterland verkauft man nicht" (La Patria no se vende). Die Proteste richteten sich vor allem gegen die Regierung des ultrarechten Präsidenten Javier Milei. Am Vortag hatte das Parlament seiner neoliberalen Arbeitsreform  zugestimmt. "Wir sehen uns gezwungen, eine Arbeitsreform zu verurteilen, die die Rechte der Arbeiter:innen zurückschraubt", erklärte Maia Volcovinsky von der Leitung des größten argentinischen Gewerkschaftsverbands, der Confederación General del Trabajo (CGT), bei der Demonstration.

Der Gewerkschaftsdachverband Boliviens, die Central Obrera Boliviana (COB), rief im ganzen Land zu Demonstrationen auf. In Cochabamba nahm Präsident Luis Arce teil. Er kündigte an, den Mindestlohn um 5,8 Prozent zu erhöhen. "Die Einheit der Regierung mit den Arbeiter:innen ist besiegelt", sagte der linke Präsident. Die Erhöhung auf ein Äquivalent von 359 US-Dollar wird etwa 20 Prozent der Beschäftigten des Landes zugutekommen.

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Lula bei der Kundgebung in São Paulo
Lula bei der Kundgebung in São Paulo

In Brasilien kamen Tausende Menschen zu der Hauptveranstaltung der Gewerkschaften in der Metropole São Paulo im Stadion des beliebten Vereins Corinthians. Der Präsident und ehemalige Gewerkschaftsführer Luiz Inácio Lula da Silva nahm ebenfalls daran teil. Zuvor hatte er ein Dekret unterzeichnet, das Einkommen bis 2.842 Real (rund 547 US-Dollar) von der Einkommenssteuer befreit. Er versprach, diese Schwelle bis auf 5.000 Real (rund 962 US-Dollar) zu erhöhen.

In Chiles Hauptstadt Santiago nahmen etwa 5.000 Personen an einer von der Central Unitaria de Trabajadores (CUT) einberufen Demonstration teil und marschierten durch das Stadtzentrum. Sie forderten bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen. Auch wurde ein entschlosseneres Eintreten der Mitte-Links-Regierung von Gabriel Boric für die Arbeiter:innenklasse eingefordert. Bei einer anderen Demonstration in Santiago kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Wasserwerfer und Tränengas einsetzte und 16 Personen festnahm. Boric sprach auf einer Veranstaltung am Krankenhaus des Arbeiters. "Wir müssen das Recht auf Teilhabe ins Zentrum stellen, dass man nicht lebt, um zu arbeiten, sondern arbeitet, um zu leben", sagte er. In der Vorwoche begann die erste Phase eines Gesetzes, das die Arbeitszeit von 45 auf 40 Stunden reduziert.

In Ecuador war der 1. Mai Anlass für Kritik an der neoliberalen Politik von Präsident Daniel Noboa. In der Hauptstadt Quito nahmen etwa 5.000 Personen an einer Demonstration teil, zu der die Gewerkschaften aufgerufen hatten und forderten bessere Arbeitsbedingungen und mehr Arbeitsplätze. "Es ist schwer, Arbeit zu finden, und alles ist teurer geworden", sagte Luis Morales, ein Händler, der seit zwei Jahren keine formelle Beschäftigung hat. Die Regierung erhöht derzeit die Verbrauchssteuern, so die Mehrwertsteuer von zwölf auf 15 Prozent, um Mittel für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu mobilisieren. Eine Woche zuvor hat sie die Aufnahme eines Kredits vom Internationalen Währungsfonds in Höhe von vier Milliarden US-Dollar angekündigt.

In El Salvador standen die Proteste im Zeichen des seit März 2022 geltenden Ausnahmezustands. In San Salvador forderten Gewerkschaften und regierungskritische soziale Organisationen ein Ende des Ausnahmezustandes, der zur Festnahme von knapp 80.000 Personen geführt hat, die beschuldigt werden, Mitglieder krimineller Banden zu sein. Außerdem protestierten sie gegen den Abbau der Arbeitsrechte unter Präsident Nayib Bukele. "Wir schließen uns diesem Marsch am 1. Mai an, um die unschuldigen Opfer des Ausnahmezustands sichtbar zu machen", sagte Alfredo Mejía vom Movimiento de Víctimas del Régimen. Parallel gab es auch eine Demonstration der Unidad Sindical Salvadoreña, die nach Presseberichten die Regierung unterstützt. An dieser Demonstration nahm auch Arbeitsminister Rolando Castro teil. 

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Unterstützung für Petros soziale Reformen bei der 1. Mai-Demonstration in Pueblo Bello, Departamento Cesar, in der Sierra Nevada
Unterstützung für Petros soziale Reformen bei der 1. Mai-Demonstration in Pueblo Bello, Departamento Cesar, in der Sierra Nevada

Tausende Gewerkschafter:innen und Aktivist:innen nahmen auf dem zentralen Bolívar Platz in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá an einer Kundgebung teil, zu der Präsident Gustavo Petro aufgerufen hatte. Er betonte erneut, dass seine Gegner versuchten, ihn aus dem Amt zu putschen. "Wenn sie einen Staatsstreich versuchen, dann werden sie das Volk auf den Straßen antreffen", sagte er. Seit August 2022 ist Petro Präsident. Die Reformvorhaben seiner Regierung im Gesundheits-, Renten- und Arbeitssystem werden jedoch im Parlament meist blockiert. Auch in zahlreichen weiteren Großstädten sowie in ländlichen Gebieten gingen Tausende auf die Straßen, um für die sozialen Reformen der Linksregierung zu demonstrieren

Die paraguayischen Gewerkschaftszentralen mobilisierten ihre Mitglieder zu einem Sternmarsch in der Hauptstadt Asunción. Dabei wurde Respekt für die Gewerkschaftsfreiheit das Streikrecht sowie angemessene Löhne gefordert, da die derzeitigen Lohnsteigerungen weit unterhalb der Inflation liegen. Derzeit berät das Parlament einen Gesetzentwurf, der das Streikrecht einschränken und das Recht auf Tarifverhandlungen gefährden würde, so Santiago Ortiz von der Gewerkschaft der Journalisten von Paraguay.

In Peru richteten sich die Demonstrationen gegen Präsidentin Dina Boularte, die das Land seit dem Sturz des linken Präsidenten Pedro Castillo im Dezember 2022 regiert. Unter den Demonstrant:innen waren auch Angehörige von Personen, die – größtenteils durch Schüsse der Ordnungskräfte – bei den Anti-Regierungsprotesten in den Jahren 2022 und 2023 getötet wurden. Sie forderten Gerechtigkeit für ihre Toten. In der Hauptstadt Lima kam es zu Zusammenstößen mit der Bereitschaftspolizei.