FIFA-WM der Männer in Russland: Südamerika ist raus - Latinos gingen K.o.

Raus, Raus, Raus, hieß es für Argentinien, Mexiko und Kolumbien bereits im Achtelfinale. Uruguay und Brasilien scheiden im Viertelfinale aus

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Logo der FIFA-WM der Männern2018 in Russland
Logo der FIFA-WM der Männern2018 in Russland

Zum vierten Mal, seitdem die k.o.-Runde vor 32 Jahren wieder eingeführt wurde gab es ein rein europäisch-südamerikanisches Viertelfinale. Uruguay und Brasilien, der erste Weltmeister und der Rekordweltmeister, trafen auf Frankreich bzw. Belgien, die sich - zumindest was Brasilien betrifft - wider Erwarten gegen die Südamerikaner durch setzten. Von den sechs noch verbleibenden, europäischen Teams, gewann außer England und Frankreich, niemals je einer eine WM.

Die gestrigen Viertelfinale waren eine eher traurige Angelegenheit. Bei Uruguay wurde offensichtlich, dass ohne das kogeniale Sturmpaar Suárez - Cavani das Tore schießen schwierig würde. Edinson Cavani, der beim Spiel gegen Portugal beide Tore schoss, sich aber verletzte und verletzungsbedingt für das Viertelfinale ausfiel, fehlte schmerzlich. Suárez war im gegnerischen Strafraum komplett absent. Ab der 44 Minute gelang der Celeste kein einziger Torschuss mehr. Frankreich gewann mit 2:0. Das Team hat keines seiner letzten zehn WM-Spiele gegen Südamerikaner verloren. Allein in diesem Turnier gewannen sie alle drei Spiele gegen südamerikanische Teams. In der Gruppenphase schlugen sie Peru mit 1:0, im Achtelfinale Argentinien im Elfmeterschießen mit 4:3 und im Viertelfinale knockten sie Uruguay aus. 

Kann Uruguay sich trösten, zumindest vom zukünftigen WM-Sieger rausgeschmissen worden zu sein? Nicht unwahrscheinlich. Jedesmal, wenn Peru an einer WM teilnahm, gewann einer aus ihrer Gruppe die WM. In Russland: Frankreich.

Das Ende von Brasilien war bitter. Spielerisch war Brasilien den Belgiern haushoch überlegen, nur beim Tore schießen haperte es. Die Brasilianer verzweifelten am belgischen Torwart Courtois, waren aber auch angesichts eines freien Tores derart Abschluss schwach, dass es am Ende 2:1 für Belgien hieß. Das entscheidende Tor für Belgien versenkte ausgerechnet ein Brasilianer. Nach einer Ecke von Belgien nickte Fernandinho den Ball per Kopf unhaltbar ins eigene Tor. Es ist erst das zweite Eigentor Brasiliens bei einer WM (2014 hatte Marcelo gegen Kroatien getroffen).

Für Belgien ist es erst der zweite Länderspielsieg gegen Brasilien. Zuvor gewannen sie 1963 ein Testspiel in Brüssel. Für Brasilien ist es bereits das vierte Mal hintereinander, dass sie durch europäische Teams aus dem Turnier gekegelt wurden. 2006 gegen Frankreich, 2010 gegen die Niederlande, 2014 von Deutschland und 2018 heißt der Brasilien Schreck Belgien.

Bei der k.o-Runde trafen Uruguay und Brasilien, der erste Weltmeister und der Rekordweltmeister, auf sechs europäische Teams. Beide südamerikanischen Teams setzten sich im Achtelfinale souverän durch. Uruguay schlug Portugal mit 2:1 durch Tore von Stürmerstar Edinson Cavani. Vier Siege hintereinander, das gelang Uruguay bisher erst einmal: Beim WM-Sieg 1930.

Brasilien kam mit Toren von Neymar und Firmino gegen Mexiko weiter. Für die Tri scheint es eine gläserne Wand im Achtelfinale zu geben. In der Gruppe setzten sich die Mexikaner bei den letzten sieben WM-Teilnahmen immer durch, um dann genauso konsequent im Achtelfinale Adios zu sagen.

Das letzte Achtelfinal Spiel England gegen Kolumbien erhitzte schon im Vorfeld die Gemüter. Gewohnt brachial titelte das englische Boulevardblatt “The Sun”: Go Kane”, was sich liest wie “cocaine”, das englische Wort für Kokain. Im Text heißt es, England treffe auf eine "Nation, die der Welt Shakira, großartigen Kaffee und, äh, andere Sachen geschenkt hat... wir sagen: Go Kane".

In Kolumbien war man darüber not amused, wieder mal auf seine Rolle im Drogenhandel reduziert zu werden. In den sozialen Netzwerken gab es Kritik und der kolumbianische Botschafter in London, Néstor Osorio Londoño, sagte der Zeitung The Independent: "Es ist traurig, dass sie ein so feierliches und freundliches Umfeld wie die Fußball-Weltmeisterschaft dazu nutzen, um ein Land anzugreifen und zu stigmatisieren mit einem Thema, das überhaupt nichts damit zu tun hat".

"Schiedsrichter Scheiße, beide Teams Scheiße, Moderator Scheiße. Das schlechteste Spiel der WM", so fasste es mein Sitznachbar treffend zusammen. Der Schiedsrichter Mark Geiger war eine Katastrophe und nicht annähernd in der Lage, das Spiel gut zu leiten. In seiner TV-Sendung bei Telesur echauffierte sich die argentinische Fußball Legende Maradona, der Schiedsrichter habe den Strafstoß für England "erfunden". "Ich habe heute einen monumentalen Raub auf dem Platz gesehen. Ich entschuldige mich bei allen Kolumbianern, aber die Spieler trifft keine Schuld."

Kolumbiens Nationaltrainer José Pékerman zeigte sich ob der Entwicklung des Fußballs bei dieser WM in Russland irritiert. Nach der 3:4-Niederlage (nach Elfmeterschießen) beklagte der 68-jährige Argentinier die Zunahme von Reklamationen, Foulspielen und Nickligkeiten. Seiner Meinung nach wurde die Partie im Moskauer Spartak-Stadion zu oft unterbrochen. "Wenn ein Team einen bestimmten Stil spielt, sind solche Unterbrechungen nicht zu begrüßen. Das hat uns sehr weh getan", sagte der frustrierte Coach. Das Elfmeterschießen war bisher immer das absolute Trauma für die Engländer. Sie konnten nie eins gewinnen. Englands jetziger Trainer Gareth Southgate verschoss 1996 bei der Heim-EM im Halbfinale den entscheidenden Treffer gegen Deutschland. Das sollte diesmal nicht passieren. Bereits seit März lässt er Elfmeter trainieren. Ein Mann, der aus seinen Fehlern lernt.

Bei Pekerman anscheinend Fehlanzeige. Schon 2006 verlor er mit Argentinien gegen Deutschland im Elfmeterschießen das WM-Viertelfinale. 2014 schied er mit Kolumbien gegen Gastgeber Brasilien ebenfalls im Viertelfinale aus.

Nach dem Aus gegen Frankreich ist das argentinische Nationalteam zurück in der Heimat. Weiter unklar, die Zukunft von Lionel Messi. Der 31 Jahre alte Superstar äußerte sich bisher nicht. Sein Verbleib wird abhängig sein vom Verbleib des ungeliebten Trainers Jorge Sampaoli. Die argentinische Sportzeitung “Ole” wünscht sich ein Team, das rund um "la Pulga" (Floh) reibungslos funktioniert und den Star in Szene setzt. In einer Online-Umfrage sprach sich eine erdrückende Mehrheit gegen den 58-Jährigen Trainer aus. Sampaoli, der das Team vor gut einem Jahr übernahm, wirkte konfus. In fünfzehn Spielen ließ er jedes Mal eine andere Startelf auflaufen. Seine Bilanz bei der WM ist geprägt durch Misserfolge und Negativ-Schlagzeilen. Als Lieblings-Nachfolger hoch gehandelt: Pep Guardiola, der dürfte, wie sein bisheriger Vorgänger dann, ähnlich üppig entlohnt werden wollen.

Bisher läßt sich sagen, dass es bei der argentinischen Nationalmannschaft wohl vor allem ums Geld geht.

Argentinien war nach Russland mit breiter Brust gereist. Sie galten als Favorit und wollten den Titel. Frankreich machte der Albiceleste jedoch bereits im Achtelfinale eine Strich durch die Rechnung.

Vom Standpunkt der spielerischen Schönheit ist diese WM ein Desaster und trostlos zum Zuschauen. Ballbesitz heißt gar nichts. Spanisches Tiki-Taka ist fade und total berechenbar. Beim Ballbesitz überzeugte Argentinien mit 60 Prozent. Gewonnen hat Frankreich mit drei Kontern, wenig Ballbesitz und einer knallharten Defensivtaktik.

Wie man diese Taktik perfekt fährt, hat der La-Plata Nachbar Uruguay vorgemacht. In der zweiten Halbzeit gegen Portugal stand die Celeste wie eine Wand. Ballbesitz 30 Prozent. Der einzige Torschuss in der zweiten Hälfte war Cavanis Siegtreffer zum 2:1. Brutal effektiv.
Nun bangt die mit seinem 3,5 Millionen Einwohnern die kleinste Teilnehmernation der k.o.-Phase um ihren Stürmer. Cavani hatte sich im Achtelfinale an der Wade verletzt. Nach bisherigem Waden-Standbericht wird er aber am Freitag gegen Frankreich auflaufen können. Wenn es ihnen dann gelänge Frankreich aus dem Turnier zu werfen, werden vielleicht sogar ein paar Argentinier jubeln.

Aufgrund seiner Größe gilt Uruguay als der natürliche Außenseiter. Seit jeher versucht das Land seine Nachteile mit Härte zu kompensieren. Die “Urus” galten lange Zeit als Treter und unfaire Spieler. Als Luis Suárez bei der WM 2014 seinen italienischen Gegenspieler Chillini in die Schulter biss, war das Klischee wieder aufgefrischt, aber schon damals stimmte es nur bedingt.

Aktuell gehört Uruguay zu den fairsten Teams der WM in Russland. In vier Spielen sah die Mannschaft nur eine Verwarnung.

Der legendäre Kampfgeist "Garra charrua" steht heute weniger für die physische, denn die mentale Stärke des Teams. Der von allen respektierte und gemochte Trainer Óscar Tabárez beschwört unermüdlich das Kollektiv: "Das Besondere der Partie war die Hingabe, die die Spieler gezeigt haben. So sehen wir Fußball."

Der ehemalige Grundschullehrer Tabárez sieht aber nicht nur sein Team, sondern auch sein Land in der Pflicht. In einem offenen Brief schreibt er: "Es hilft nicht, Weltmeister zu werden, wenn unsere jungen Leute nicht wissen, wo Russland liegt, oder warum in der französischen Nationalmannschaft so viele Spieler in Afrika geboren sind oder afrikanischen Eltern haben."

Unbedingt Weltmeister werden will Neymar, der im Gegensatz zu Messi auch das für ihn passende Team um sich herum hat.

Den alleinigen WM-Torrekord haben sich die Brasilianer schon geholt. Nach dem frühen Vorrunden-Aus der Deutschen führt die Seleção nun mit 227 Treffern bei Weltmeisterschaften.

Der bärbeißige Eric Cantona, Ex-Fußballstar mit Witz, hat Neymar zu einem seiner "Lieblinge” erkoren. Ob er sich Spaghetti aufs Haupt legt, um Neymars Frisur zu kopieren oder anhand eines gelben Rollkoffers vorführt, wie er sich nach einem Foul dreht.

Nach dem Spiel gegen Mexiko äußerte sich Mexikos Trainer Juan Carlos Osorio diplomatisch ohne Namen zu nennen. Seine Mannschaft habe lange Zeit sehr gut gespielt. "Aber leider haben wir viel Zeit verschwendet wegen eines Spielers. Es ist eine Schande für den Fußball".

Die Meme, die zu Neymar im Netz kursieren sind größtenteils sehr lustig. Seiner zweiten Karriere als Telenovela Superstar steht nichts im Weg.